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Politik

Geimpft ist Trumpf?

6. August 2021

Kino, Konzert, Restaurant - künftig nur für Corona-Geimpfte. Das stellt sich Gesundheitsminister Jens Spahn vor. Nicht alle finden das richtig. Streit gibt es auch innerhalb der Regierung.

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Symbolbild Coronavirus Spielkarten
Ist die Impfung der Corona-Trumpf?Bild: Sascha Steinach/dpa/picture-alliance

Sollen Geimpfte und Ungeimpfe künftig unterschiedlich behandelt werden? Über diese Frage wird derzeit heftig debattiert. Ausgelöst haben die Kontroverse vor allem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtsminister Helge Braun. Beide gehören der CDU an. Die Vorschläge sind auch als Anregung für ein Treffen am kommenden Dienstag gedacht. Dann wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Bundesländer beraten, welche Maßnahmen gegen eine drohende neue Corona-Welle ergriffen werden können.

Spahn hat im "Münchner Merkur" verschiedene Stufen möglicher Einschränkungen aufgeführt: "Für essenzielle Dinge wie öffentliche Verkehrsmittel oder den Rathaus- oder Krankenhausbesuch muss es die Möglichkeit geben, auch nur mit einer Maske oder mit Test Zugang zu haben. Aber für Discos, Stadien oder Theater, also Bereiche, die nicht zur Grundversorgung gehören, kann ich mir auch einen Zutritt nur für Geimpfte oder Getestete vorstellen."

Kanzleramtschef Braun hatte bereits vor rund einer Woche angeregt: Sollte sich die Lage weiter verschärfen, könne man Ungeimpften zum Beispiel den Zugang zu Kinos, Restaurants oder Stadien verwehren.

Deutschland Coronavirus - Menschen in Restaurants und Bars in Berlin
Berliner Ausgehviertel: Zutritt bald nur noch für Geimpfte?Bild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Widerstand (nicht nur) aus der Opposition

Besonders harsche Kritik an diesen Überlegungen übte FDP-Oppositionspolitiker Wolfgang Kubicki: Er warf der Regierung Wortbruch vor, die Spahn-Ideen kämen einer Impfpflicht gleich. Die aber habe die Regierung immer ausgeschlossen.

Allerdings: Noch im Frühjahr war die FDP für gesonderte Lockerungen für Geimpfte eingetreten. Christian Bäumler von der CDU jedenfalls reagierte auf Kubickis Kritik mit Gegenvorwürfen: Der FDP-Politiker liege "auf der Linie der Corona-Verharmloser"; damit sei die FDP "nicht regierungsfähig". Ein bemerkenswerter Vorwurf angesichts der Tatsache, dass die FDP nach der Bundestagswahl Ende September grundsätzlich als Koalitionspartner der Union infrage kommt.

Deutschland I Bundesparteitag FDP I Wolfgang Kubicki
FDP-Politiker Kubicki: Regierung plant WortbruchBild: Stefan Zeitz/imago images

In Bayern hat der Streit noch eine besondere Note. Dort regieren die Freien Wähler unter Hubert Aiwanger als Juniorpartner der CSU, der bayerischen Schwesterpartei der CDU. Aiwanger, der als Spitzenkandidat seiner Partei in den Bundestag einziehen will, hat sich bislang nicht impfen lassen. Dafür bekommt er eine Menge öffentliche Schelte vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder - und beklagt sich öffentlich über den Druck, dem er ausgesetzt sei.

Welche Bereiche sind unantastbar?

Skeptisch zu Spahns Ideen äußern sich besonders SPD-Politiker auf Bundes- und Länderebene. Die SPD regiert in Berlin zusammen mit der Union. Im Fahrt aufnehmenden Bundestagswahlkampf versuchen die Sozialdemokraten aber, sich immer deutlicher von CDU/CSU abzusetzen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht etwa will von unterschiedlichen Rechten für Geimpfte und Ungeimpfte nichts wissen.

Deutschland Coronavirus - Saarland: Trennwände und ein Klimagerät schützen zusätzlich zu Mund-Nasen-Schutz einen Mann und eine Frau bei ihrem Training in einem Fitnessstudio vor Viren.
Schwierige Abgrenzung: Gehören Fitnessstudios auch zur Grundvorsorge?Bild: Harald Tittel/dpa/picture alliance

Bremens SPD-Regierungschef Andreas Bovenschulte hält es für schwierig zu bestimmen, von welchen Bereichen des öffentlichen Lebens man Ungeimpfte ausschließen könne. Besuche von Gottesdiensten, von Volkshochschulkursen und von Fitnessstudios zum Beispiel sind in seinen Augen rechtlich gesehen unbedingt zuzulassen. Schon jetzt müssten sich Ungeimpfte häufiger testen lassen und sie unterlägen einer Quarantänepflicht nach der Rückkehr aus Hochinzidenzgebieten, sagte Bovenschulte am Freitag im ARD-Morgenmagazin. Statt noch mehr Druck aufzuwenden, sollten möglichst viele mit "der Kraft des Arguments" für eine Impfung gewonnen werden.

Mehrheit der Deutschen trägt Ungleichbehandlung mit

Justizministerin Lambrecht hat allerdings auch darauf hingewiesen, dass für private Veranstalter und Geschäftsinhaber Vertragsfreiheit gilt: Sie könnten zum Beispiel Angebote nur für Geimpfte machen. Hier könne die Politik nicht eingreifen.

Unterstützt werden Spahns Vorschläge unterdessen vom Humangenetiker Wolfram Henn, der Mitglied des Deutschen Ethikrats ist: "Wer sein Recht auf Unvernunft wahrnehmen will, der muss damit rechnen, dass sich andere vor ihm schützen", erklärte Henn am Freitag im Radiosender Bayern 2.

Infografik Deutschlandtrend Corona-Impfbereitschaft
Die Impfbereitschaft der Deutschen ist hoch. Das Verständnis für mehr Rechte für Geimpfte auch

Eine deutliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung scheint ebenfalls kein Problem mit einer Ungleichbehandlung zu haben: Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der "Augsburger Allgemeinen" sind 72,8 der Befragten dafür, dass Geimpfte mehr Rechte haben als Ungeimpfte. 22,4 Prozent sind dagegen, der Rest ist unentschieden.

Tests wohl bald kostenpflichtig

Eine andere Frage ist, ob Ungeimpfte künftig die bisher kostenlosen Corona-Tests selbst bezahlen müssen. Das hat Spahn ebenfalls vorgeschlagen. Ihm schwebt als Einstieg dafür Mitte Oktober vor. Bis dann, so hofft der Gesundheitsminister, wird jeder Bürger ein Impfangebot erhalten haben.

Auch Kritiker der Ausschluss-Ideen für Ungeimpfte sind dafür, dass die Tests kostenpflichtig werden. Darunter ist auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Sobald alle ein Impfangebot haben, sollte man die Tests selbst bezahlen, fordert Scholz. Ausnahmen möchte er nur für Menschen machen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können sowie für Kinder und Jugendliche.

Menschen stehen vor einem Corona-Testzentrum am Alexanderplatz
Bisher sind Corona-Tests gratis - wohl nicht mehr langeBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Einer der wenigen Politiker, die für dauerhaft kostenlose Tests sind, ist Janosch Dahmen von den Grünen. Im ARD-Morgenmagazin sagte er am Donnerstag: "Wir haben ja gerade erst gelernt in der dritten Welle, wie wichtig Tests sind." Sie jetzt kostenpflichtig zu machen sei nicht nur "unfair", sondern "vor allem schlecht, weil es uns in einen neuerlichen Blindflug in der Pandemie bringt - und das sollten wir unbedingt vermeiden", so Dahmen.

Bisher hat der Staat nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums 3,7 Milliarden Euro für die kostenlosen Tests ausgegeben. Zum Vergleich: Die finanzielle Unterstützung von Studenten und Schülern ließ sich der Bund 2020 nur knapp drei Milliarden kosten. 

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik