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Gesellschaft

Der verbotene Abschied

10. April 2020

Tod in der Isolation. Einsam, stumm, digital. Verbote, sich von seinen sterbenden Familienangehörigen zu verabschieden, stürzen viele Menschen in Verzweiflung. Sie hoffen auf neue, menschlichere Regeln.

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Spanien Corona-Pandemie Beerdigung in Santa Margarida de Montbui
Vor nur zwei Trauergästen schieben Friedhofsmitarbeiter im spanischen Santa Margarida de Montbui den Sarg in ein GrabBild: Imago-Images/Agencia EFE/S. Saez

Es ist ein Aufschrei. Aber er ist stumm. Stumm wie der Tod und still wie das Leid der Angehörigen. "Ich kenne viele Menschen, die sich nicht mehr von ihrem verstorbenen Vater oder ihrer verstorbenen Mutter verabschieden konnten", klagt der Bischof von Bergamo, Francesco Beschi, jüngst in einem Interview mit der ZEIT-Beilage "Christ &Welt".

Ende März sprach Beschi auf dem Friedhof von Bergamo ein Fürbitten-Gebet für die mehr als 1800 in Bergamo Verstorbenen und deren Angehörige, die sich nicht mehr verabschieden konnten. "Wir dürfen diejenigen nicht mit ihrem Schmerz alleine lassen, die sehen, wie ihre Lieben im Nichts verschwinden", warnt der Bischof.

Handy auf dem Sarg

Und dennoch geschieht genau dies. Trauern in Corona-Zeiten verlangt von Angehörigen und Sterbenden schier Unvorstellbares: Sie können und dürfen sich nicht voneinander verabschieden.So lauten die Vorschriften in vielen Krankenhäusern und Alten- oder Pflegeheimen, auch wenn es immer wieder Ausnahmeregelungen gibt. Der letzte Atemzug wird deshalb häufig nur noch digital registriert. Niemand hält die Hand.

Der Bericht der italienischen Reporterin Francesca Borri, die am 25. März in einem weißen Schutzanzug die Intensivstation der Poliklinik San Pietro besuchte, löst Schaudern aus: "In Bergamo stirbt man alleine. Und alleine wird man beerdigt, während ein Priester den Sarg segnet, auf dem ein Handy liegt, damit die Familie zuhören kann", schreibt die Reporterin in der italienischen Zeitung "Il Fatto quotidiano".

Italien Intensivversorgung von Corona-Patienten
Auf dem Gang einer überfüllten Intensivstation im Krankenhaus von Brescia behandeln Ärzte einen PatientenBild: picture-alliance/dpa/Zuma/LaPresse/C. Furlan

Nicht nur in Italien dürfen in Corona-Zeiten Patienten auf der Intensiv-Station nicht mehr von ihren Angehörigen besucht werden. In fast allen von der Pandemie betroffenen Ländern ist ein persönlicher Abschied von Sterbenden nur in absoluten Ausnahmefällen erlaubt - auch in Deutschland. In jedem Bundesland gelten andere Regeln, auch wenn sie ähnlich streng sind.  

Schuldgefühle und Schmerz

Auch auf Friedhöfen sind seit Corona keine Andachten mehr in der Kapelle erlaubt. Abschiedsfeiern sind nur noch unter freiem Himmel möglich, teilnehmen dürfen maximal zwischen fünf und 20 Personen, Bestatter, Pastor und Sargträger inklusive. Auf dem Internetportal vom Bundesverband der Bestatter sind die unterschiedlichen Regelungen in jedem Bundesland aufgelistet.

Für Angehörige, die sich schon am Krankenbett nicht verabschieden durften, ist das ein erneuter Schlag ins Gesicht. Ein 86-jähriger Musiker aus Hamburg, der nicht an der Beerdigung seines an Krebs verstorbenen Bruders teilnehmen konnte, ist von Schuldgefühlen geplagt: "Ich denke jeden Tag, ich hätte doch fahren sollen, auch wenn ich zur Risikogruppe gehöre", sagt er der DW.

Nicht nur die Angehörigen hoffen darauf, dass die strikten Regelungen überdacht werden. "Wir plädieren sehr dafür, dass die Besuchsverbote für diese Fälle gelockert werden", erklärt Mathilde Langendorf von Caritas Deutschland gegenüber der DW. Das Thema Begleitung am Lebensende sei gerade den katholischen Einrichtungen ein wichtiges Anliegen.

Coronavirus | Spanien |  Palacio de Hielo wird zur Leichenhalle
In Madrid wird eine Eissporthalle wegen der Überlastung von Bestattungsunternehmen provisorisch als Leichenhalle eingerichtetBild: picture-alliance/Geisler-Fotopress

"Äußerst belastend"

Auch bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft räumt man ein, dass "die Lage für viele Patienten und ihre Angehörigen derzeit leider äußerst belastend ist", so ein Sprecher. "Die meisten Kliniken beschränken im Augenblick die Besuchsmöglichkeiten sehr stark, um zu verhindern, dass das Virus in die Klinik hineingetragen wird."

Einheitliche Regeln beim Besuch von Angehörigen in Krankenhäusern oder Alten- und Pflegeheimen gibt es in Deutschland nicht. Die meisten Einrichtungen orientieren sich an den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Ausnahmen können "Fall für Fall" bei Gesundheitsämtern beantragt werden.

Bei vielen Angehörigen verursacht der verbotene Abschied lebenslange Schmerzen und Schuldgefühle. "Wenn man während der letzten Stunden nicht bei seinen Angehörigen ist, gilt dies in unserer Kultur als ein Verstoß gegen familiäre Pflichten", meint der Psychologe Javier Barbero, Mitglied der spanischen Gesellschaft für Palliativmedizin.

Spanien Madrid Coronavirus Beerdigung
Träger mit Mundschutz bringen den Sarg eines an COVID-19 Verstorbenen auf dem Friedhof Carabanchel in Madrid an die Grabstätte. Der Sarg muss versiegelt sein Bild: Reuters/J. Medina

Trauerbegleitung online

"Ohne Begleitung und Riten scheint es, als sei nichts passiert. Es stellt sich ein Gefühl der Unwirklichkeit ein", erklärt er in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung "El País". Gemeinsam mit 60 Psychologen und einigen Bestattungsunternehmen in Madrid hat er eine Trauerbegleitung für die Angehörigen auf die Beine gestellt, bei der auf Fragen, Wünsche und Ängste per E-Mail eingegangen wird.

In Italien haben sich viele Krankenhäuser der Kampagne "Das Recht, Abschied zunehmen" angeschlossen. Die nicht unumstrittene Initiative der Demokratischen Partei (PD) sammelt dafür Tablets von Spendern ein, die in Krankenhäusern an Sterbende verteilt werden, damit sie sich zumindest digital von ihren Angehörigen verabschieden können.

Mathilde Langendorf von Caritas Deutschland plädiert dafür, dass Angehörige zumindest in Schutzkleidung Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen betreten dürfen. Sie räumt allerdings ein, dass dies schwierig sei, solange selbst beim Personal Mangel an Schutzkleidung herrsche. "Wäre ausreichend Schutzkleidung vorhanden, würde sich die Frage nach Besuchen ganz anders stellen", ist sie sicher.

"Man muss menschlich bleiben"

In der Bestatter-Branche, die hierzulande mittlerweile als systemrelevant eingestuft wurde, versuchen einige die strengen Vorschriften so großzügig wie möglich auszulegen. So erspart der Einsatz von Senkgeräten auf dem Grab die Hilfe von Trägern und ermöglicht, dass doch noch ein Verwandter mehr zum Begräbnis kommen kann.

"Man kann am Grab Mikrofone aufbauen, damit die Trauerfeier auch in 600 Metern Entfernung mit verfolgt werden kann", erklärt ein Bestatter, der anonym bleiben möchte. Es könne einem niemand verbieten, sich irgendwo auf dem Friedhof hinzustellen. Sein Fazit: "Man muss menschlich bleiben."