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GesellschaftAsien

Chronist des kosmopolitischen Iran: Hamid Dabashi

18. März 2021

Historische Kräfte stehen einem dauerhaften Erfolg der Islamischen Revolution im Iran entgegen. Davon ist der Kultursoziologe Hamid Dabashi überzeugt.

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Hamid Dabashi Columbia University New York Iranist Iran
Bild: http://hamiddabashi.com

Der Vater mochte seinen Wodka und seine Zigaretten. In der Regel reichten sie für drei Wochen. Während dieser Zeit gab er sich zu Hause als überzeugter iranischer Nationalist und sang Hohelieder auf den 1953 gestützten iranischen Premier Mohammad Mossadegh. Mit Beginn der vierten Woche aber waren die Vorräte für den laufenden Monat aufgebraucht, was den unbefriedigten Genießer veranlasste, seine sozialistisch gefärbte Begeisterung für den ägyptischen Staatschef Nasser kundzutun. Kamen mit dem nächsten Gehalt auch wieder Wodka und Zigaretten, besann er sich wieder auf Mossadegh.

NIMANY, Iranische Mode
Irans Premierminister Mossadegh 1951-53 auf einem T-Shirt von 2015 Bild: Nima Behnoud

Multikultureller Hintergrund

Mit dieser Anekdote über seinen 1970 verstorbenen Vater eröffnet der aus dem Iran stammende und in den USA lebende Historiker und Kulturwissenschaftler Hamid Dabashi (Artikelfoto) sein Buch "Iran without Borders: Towards a Critique of the Postcolonial Nation", in der er sich mit der multikulturellen - oder, in Dabashis Worten: kosmopolitischen - Identität des Iran auseinandersetzt.

Auch durch die Mutter, eine fromme, aber nicht dogmatische Schiitin, kamen ägyptische Einflüsse in das Haus: Sie war eine große Bewunderin der in der arabischen Welt berühmten ägyptischen Sängerin Umm Kulthum. Das Elternhaus war im Einzugsbereich der Großstadt Ahwas am Nordende des Persischen Golfes, wo viele Einwohner Arabisch sprechen. Auch Dabashi, Jahrgang 1951, spricht Farsi und Arabisch.

Später kam Englisch hinzu, bevor er Mitte der 70er Jahre in die USA auswanderte. Von dort aus beobachtete der später an der Columbia University  lehrende Kultursoziologe und Islamwissenschaftler die dramatische Entwicklung in seinem Land: Zunächst die letzten autoritären Regierungsjahre von Schah Reza Pahlavi, dann, 1979, die Revolution und Errichtung der Islamischen Republik Iran.

Teheran  1978 Iraner demonstrieren für Ajatollah Khomeini
Demonstration in Teheran für die Rückkehr Chomeinis aus dem Pariser Exil 1978Bild: picture-alliance/dpa/UPI

Die gekaperte Revolution

Es ist das Drama nicht nur der Generation Dabashis, dass diese Revolution ganz anders ausging, als viele Iraner zunächst vermutet hatten. Denn ursprünglich entsprang sie einem breiten, auch linke und sozialistische Ideen umspannenden politischen Bündnis, das dann aber von radikalen Islamisten gekapert wurde. In zahlreichen Büchern legt Dabashi dar, dass sich der Iran seit dem persischen Reich der Antike nie auf eine Identität allein gegründet hat. Das gilt auch und gerade heute noch, ungeachtet der staatlichen Ideologie, die den Staat schon in seinem Namen als islamisch deklariert und alle abweichenden ethnischen, konfessionellen und weltanschaulichen Identitäten unterdrückt.

"Tatsächlich konnte keines der regierenden Regime jemals einen exklusiven Anspruch auf die Vorstellung Irans als Nation, als Volk, als Gesellschaft erheben", schreibt Dabashi in "Iran without Borders". Im Gegenteil: In dem Land herrsche eine "kulturelle Erregung, die auf ihre politische Erfüllung noch wartet." Eben diese Erregung habe den Iran seit jeher ausgezeichnet, ergänzt er im DW- Gespräch. Diese Erfahrung präge das Land bis heute. "Und die Iraner sind sich der Langlebigkeit und des bis heute andauernden Nachhalls ihrer langen Geschichte in hohem Maß bewusst."

Iran Tehran | Feuer Festival | Chaharshanbe Souri
Alt-Persische Tradition: Feuerfest vor dem Neujahrsfest Bild: Ebrahim Noroozi/AP Photo/picture alliance

Literarischer Humanismus

In seinen Büchern zieht Dabashi diese Geschichte in ebenso großen wie detailliert umrissenen Bahnen nach. In "The World of Persian Literary Humanism" widmete er sich vor allem den mittelalterlichen Spielformen der kosmopolitischen Identität des Landes, gespiegelt in der Dichtung des Landes. Deren persischsprachigen Teil beschreibt er als "literarischen Humanismus", der im Kontrast zur in der Regel auf Arabisch geschriebenen "islamischen Scholastik" stehe.

Diese Spannung, erläutert er im Interview, wirke bis heute nach, teils in offen politischen Debatte, teils aber auch auf eine höchst subtile Form, die Debashi mit dem Vokabular der Psychoanalyse beschreibt: "Dieses deutlich feminine Unterbewusstsein einer entschlossen maskulinen Zivilisation hat dem persischen literarischen Humanismus eine Tendenz zum Subversiven gegeben. Diese äußert sich über eine versteckte und verleugnete, unterdrückte und darum auf paradoxe Weise schillernde und herausfordernde Weise."

Nima Yushij
Nima Youschidsch (1897-1960): "Die Welt ist mein Zuhause"Bild: IICSH

Kosmopolitische jüngere Geschichte

Die gesellschaftlichen Spannungen der Gegenwart, die sich in der "Grünen Bewegung" von 2009 und folgenden landesweiten Protesten äußerten, sieht Dabashi im Zusammenhang mit der Geschichte des modernen Iran und ihren Einflüssen von außen. Dazu zählt die konstitutionelle Reform von 1905/06, in dessen Folge sich das erste Parlament des Landes bildete. Dazu zählen der Nationalismus des 1953 gestürzten Premiers Mohammad Mosaddegh und die sozialistischen Experimente der 60er und 70er Jahre. Kulturell gehört dazu die Literatur des Lyrikers Ali Esfandiari alias Nima Youschidsch (1897-1960), einem der Begründer der modernen persischen Lyrik. "Die Welt ist mein Zuhause", schreibt er in den 1920er Jahren.

Hamid Dabashi erinnert sich seine eigenen kosmopolitischen Erlebnisse zu Beginn der 1970er Jahre: "Als junger Student in Teheran habe ich die ganze Nacht (mit einer Gruppe anderer Enthusiasten) vor der Rudakai-Halle geschlafen, um früh morgens aufzustehen und Karten für ein Konzert mit Herbert von Karajan zu kaufen, auf dem Programm Beethovens Fünfte Sinfonie. Ich erinnere mich an einen Plattenladen in der Pahlavi Avenue namens "Beethoven", in dem wir eine riesige Sammlung von Klassik- und Popmusik hören und kaufen konnten, von Mozart bis Ravi Shankar, von Edith Piaf bis Ella Fitzgerald."

Dabashi konstatiert, dass es der Islamischen Republik nicht gelungen sei, einen "Homo Islamicus zu hervorzubringen". Vielmehr sei der "herausfordernde Geist der kosmopolitischen Kultur Irans" in den vergangenen Jahren wieder an die Oberfläche getreten und werde sich nicht wieder zurückdrängen lassen.

Die Deutsche Welle hat Hamid Dabashi  in diesem Artikel auf Grundlage seiner wissenschaftlichen, in renommierten englischsprachigen Verlagen erschienenen Werke vorgestellt. Erst nach der Veröffentlichung ist der DW zur Kenntnis gelangt, dass Dabashi sich in Kolumnen und auf Vorträgen massiv israelfeindlich geäußert hat und historisch indiskutable Vergleiche zog. Die DW distanziert sich von entsprechenden Äußerungen ausdrücklich.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika