Christopher Clark erhält europäischen Medienpreis
19. Mai 2022Die Karlsmedaille für europäische Medien wird seit dem Jahr 2000 an renommierte Persönlichkeiten oder Institutionen aus dem Medienbereich verliehen, die zur europäischen Einheit und Identität beitragen. Zu den bisherigen Preisträgern gehören der niederländische Journalist Geert Mak (2020/21), das Erasmus Student Network (2019) und der Autor und Historiker Ian Kershaw (2018).
Auch der Eurovision Song Contest, den in diesem Jahr das ukrainische Kalush Orchestra gewann, wurde 2016 mit dem Preis ausgezeichnet.
Die diesjährige "Médaille Charlemagne pour les Médias Européens" geht an den Historiker und Autor Christopher Clark. Am Donnerstag wurde der Preis in der westdeutschen Stadt Aachen überreicht.
Das Kuratorium der Karlsmedaille will "die Verdienste Clarks als einer der wichtigsten Chronisten der europäischen Geschichte und seinen Einsatz für ein geeintes Europa sowie die transatlantischen Beziehungen" würdigen, heißt es von Seiten des Vereins.
Bahnbrechende Analyse
Der 1960 geborene "australische Europäer" wurde bereits 2015 von Queen Elizabeth II. für seine Verdienste um die deutsch-britischen Beziehungen in den Ritterstand erhoben. Derzeit ist er Professor für moderne europäische Geschichte an der Universität Cambridge.
Clarks wohl bekanntestes Buch heißt "Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog" und erschien 2013 in deutscher Übersetzung. Darin wirft der Historiker einen differenzierten Blick auf die Ereignisse, die 1914 zum Ersten Weltkrieg führten. Clark beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, welche Mächte zum Ausbruch des Krieges beigetragen haben: War nur das deutsche Kaiserreich Schuld oder "schlafwandelten" die meisten europäischen Nationen in die Schlacht? Welche Rolle spielten die anderen vier Großmächte Frankreich, England, Russland und Österreich-Ungarn?
Das Sachbuch erregte nach seiner Erscheinung viel Aufmerksamkeit und erreichte ein breites Publikum. Die meisten Leser verglichen es mit Barbara Tuchmans "August 1914" (1962), das lange als eine der besten Darstellungen des Ersten Weltkriegs galt.
Differenzierter Blick auf den Ersten Weltkrieg
In ihrem Buch hatte Tuchman die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie nur kurz erwähnt und die Einzelheiten der Julikrise 1914 ausgelassen, schreibt der Historiker Thomas Laqueur in einem Aufsatz in der Literaturzeitschrift London Review of Books. Clark hingegen erkläre die Krise in einem größeren Zusammenhang. Sie sei nicht - wie bei Tuchman dargestellt - durch die Konfrontation zwei gegnerischer Machtblöcke entstanden. "Die Schwäche und Unzuverlässigkeit der Bündnisse und die Ungewissheit darüber, wer auf wessen Seite stehen würde", habe die Krise verschlimmert, so Laqueur.
Was Clarks Werk so spannend macht, ist die Tatsache, dass er den Ersten Weltkrieg aus der heutigen Perspektive beleuchtet. "In seiner Einleitung stellt Clark bereits einen der interessantesten Thesen auf. Er definiert den Ersten Weltkrieg als ein 'modernes Ereignis'", so die die Zeitschrift Temoigner/ Getuigen. Die Existenz von Selbstmordattentaten erinnere an die Terrorakte, die die "Welt in den 2000er-Jahren so tief erschüttert haben".
Die "historische Wahrheit" im Blick behalten
Wie Macht und Geschichte miteinander zusammenhängen, untersucht Clark in weiteren Publikationen wie "Preußen. Aufstieg und Niedergang" (2007). Darin beschreibt er die Geschichte Preußens von seinen Anfängen bis zum Dritten Reich und wie es sich im späten 19. Jahrhundert zu einer europäischen Großmacht entwickelte. Clark erörtert die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges - und die "Blut und Eisen"-Politik Bismarcks und ihre Auswirkungen auf das 20. Jahrhundert.
In seinem Buch "Von Zeit und Macht: Herrschaft und Geschichtsbild vom Großen Kurfürsten bis zu den Nationalsozialisten" (2018) zeigt Clark, wie stark Macht von der Wahrnehmung der Zeit geprägt ist. Er stützt sich auf vier Schlüsselfiguren: Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Friedrich der Große, Otto von Bismarck und Adolf Hitler. Clark beschreibt unter anderem, wie Adolf Hitler versuchte, sich der Geschichte gänzlich zu entziehen, indem er zeitlose rassische Archetypen und eine prophetisch vorausgesagte Zukunft erfand.
In seinem 2020 erschienenen Buch "Gefangene der Zeit", einem Kompendium von Essays, wirft Clark Fragen darüber auf, wie wir über die Vergangenheit denken und welchen Wert und welche Fallstricke die Geschichte hat. Ein Essay mit dem Titel "Der Traum von Nebukadnezar" ist laut der britischen Tageszeitung "The Guardian" "eine bravouröse Erkundung der Rolle der politischen Macht in der Geschichte... Die Geschichte ist sowohl eine Fabel der Macht als auch, wie Clark erklärt, der Beginn des Verständnisses von Geschichte als einer vorherbestimmten Abfolge von Hegemonien".
"The Guardian" zitiert aus dem Buch und kommt zu dem Schluss: "Das Vergnügen an Clarks Schreiben besteht darin, dass es ein beeindruckendes Spektrum von Gedanken umfasst, ohne jemals den Blick für die historische Wahrheit oder die Schwierigkeit, sie zu erreichen, zu verlieren."
Adaption aus dem Englischen: Maria John Sánchez