Andy Warhols "Marilyn" erzielt Rekordpreis
10. Mai 2022Die Versteigerung in der Zentrale des Auktionshauses Christie's in New York dauerte gerade mal vier Minuten, dann wechselte Andy Warhols Porträt den Besitzer. Laut mehreren Beobachtern im vollbesetzten Saal kam das letzte Gebot von dem US-Kunsthändler Larry Gagosian, der persönlich anwesend war. Es ist allerdings unklar, ob er das Werk für die eigene Galerie oder im Auftrag eines Kunden kaufte. Christie's äußerte sich nicht dazu.
Der Wert von Andy Warhols Werk "Shot Sage Blue Marilyn", 1964 als Siebdruck entstanden, war im Vorfeld auf 200 Millionen Dollar (rund 189 Millionen Euro) geschätzt worden. Der erzielte Kaufpreis von 195 Millionen Dollar (knapp 185 Millionen Euro) lag bei der Versteigerung nur knapp darunter. Noch nie kam ein Werk aus dem 20. Jahrhundert zu einem so hohen Preis unter den Hammer. Den bisherigen Rekord erzielte Pablo Picassos "Les femmes d'Alger (Version 0)" ("Die Frauen von Algier"); das Werk wurde im Mai 2015 für 179,4 Millionen Dollar versteigert. Der bisherige Rekord für ein Warhol-Gemälde lag bei 105,4 Millionen Dollar für "Silver Car Crash (double disaster)".
Das bis heute teuerste versteigerte Gemälde aller Zeiten, Leonardo da Vincis "Salvator Mundi", war 2017 im Vorfeld auf 100 Millionen US-Dollar geschätzt worden und brachte schließlich 450 Millionen ein.
"'Marilyn' ist der Höhepunkt des American Pop"
Bei "Shot Sage Blue Marilyn" handele es sich um "eines der seltensten und außergewöhnlichsten Bilder, die es gibt", teilte Christie's vor der Auktion mit. "Andy Warhols 'Marilyn' ist der absolute Höhepunkt des American Pop und das Versprechen des amerikanischen Traums, das Optimismus, Zerbrechlichkeit, Berühmtheit und Ikonographie in sich vereint", so Alex Rotter, Abteilungsleiter für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts bei Christie's.
Seinen Namen verdankt das Bild einem Missverständnis in Warhols Atelier: 1964 fragte die Künstlerin Dorothy Podber, ob sie Warhols Bilder "schießen" dürfe. Warhol verstand darunter, dass sie Fotos davon machen wollte. Stattdessen zog Podber einen Revolver und schoss mit echten Kugeln auf vier Bilder der Serie. Die Spuren des Vorfalls sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen.
Der Siebdruck "Shot Sage Blue Marilyn" basiert auf einem Pressefoto Marilyn Monroes für den Film "Niagara" von 1953 und zeigt die Schauspielerin mit rosa Gesicht, rubinroten Lippen, gelbem Haar und blauem Lidschatten vor einem blauen Hintergrund. Andy Warhol hatte das Porträtfoto 1962, nur wenige Tage nach Monroes Tod, erworben und die untere Partie des Brustbildes abgeschnitten. Dann ließ er davon eine Siebdruckvorlage herstellen.
Prägend für Andy Warhols Stil
Warhol war zu jener Zeit begeistert vom fotografischen Siebdruck, die Technik führte schließlich zu seinem berühmten Stil. Sie war einfach und schnell, und Warhol konnte immer wieder kleine Veränderungen an ein- und demselben Foto vornehmen.
In den Folgejahren gab Warhols "Factory" immer wieder Siebdrucke mit dem Marilyn-Motiv heraus - als Einzelbilder, Serien, Diptychen und so weiter. Sie hängen heute weltweit in Galerien und Museen. Neben "Campbell's Soup Cans" gehören die Marilyn-Monroe-Porträts zu Andy Warhols bekanntesten und meist ausgeführten Motiven und zu den wichtigsten Werken der Pop-Art.
Mit den wechselnden, teils grellen Farben und der Wiederholung des immergleichen Motivs kommentierte Warhol Marilyn Monroes Status als Ikone der westlichen Popkultur und gleichzeitig spiegelte er damit die Besessenheit mit Stars, die immer mehr um sich greifende Massenindustrie und den Konsum. "Shot Sage Blue Marilyn" gilt als die begehrteste von Warhols zahlreichen Marilyns. Ihr Name rührt daher, dass die Performancekünstlerin Dorothy Podber einmal mit einem Revolver auf die gestapelten Leinwände der Reihe geschossen hatte.
Verkauf für einen guten Zweck
Dass der Verkauf der "Shot Blue Sage Marilyn" astronomische Summe einbringen würde, galt als sicher. 1998 hat das Auktionshaus Sotheby's die orangefarbene Version aus derselben Marilyn-Reihe für 17 Millionen Dollar versteigert. Christie's verkaufte das Werk im Auftrag der Thomas-und-Doris-Ammann Stiftung mit Sitz in Zürich, die mit dem Erlös Sozialprojekte für Kinder in aller Welt finanzieren will. Der Verkauf des Gemäldes sei "die größte philantropische Auktion seit dem Verkauf der Sammlung von David und Peggy Rockefeller im Jahr 2018", hieß es in einem Statement von Christie's.
Das Geschwisterpaar Ammann gehörte zu den weltweit wichtigsten Kunsthändlern. Thomas Ammann, der 1993 verstarb, war 1977 von Warhol selbst mit der Erstellung eines Werkverzeichnisses betraut worden. Nach Ammanns Tod führte seine Schwester Doris die Galerie bis zu ihrem Tod im März 2021 weiter.
pj/suc/pg/ka (mit afp, dpa, artnet.com, kurier.at)