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Politik

CCC: "Blinder Fortschrittsglaube nie gut"

Friedel Taube
27. Dezember 2018

16.000 Teilnehmer treffen sich derzeit in Leipzig beim Jahreskongress des "Chaos Computer Club". Dessen Sprecher macht klar, warum die Tagung inzwischen längst nicht mehr nur für Spezialisten interessant ist.

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Bild: DW/J. Linke

Deutsche Welle: Das Motto des 35. Chaos-Computer-Club-Kongresses lautet "refreshing memories": Welche Erinnerung wollen Sie denn auffrischen?

Linus Neumann: Wir glauben, dass es vielleicht sinnvoll wäre, ein paar Erinnerungen aufzufrischen in Zeiten, wo ein Donald Trump davon redet, Amerika solle wieder groß werden. Wir haben den Eindruck auch in Europa gibt es politische Bewegungen, die viel über die Vergangenheit reden - eine Vergangenheit, die es in unserer Erinnerung so nie gab. Deswegen wollen wir ein bisschen die Erinnerung auffrischen, aber auch erfrischende Erinnerung schaffen um weiterhin mit einer positiven Weltsicht die Zukunft zu gestalten.

Das prägende Thema ist diesmal die IT-Sicherheit - beispielsweise von biometrischen Verfahren. Welche Risiken sehen Sie da?

Biometrische Methoden werden ja oft auf zwei Weisen eingesetzt. Die eine ist zur Überwachung von Menschen - auch mehr oder weniger gegen ihren Willen. Und das andere ist bei Sicherheitssystemen, da werden die zur Zugangskontrolle benutzt. Jetzt ist das Problem bei solchen biometrischen Verfahren, dass Menschen ja nur zwei Hände, zwei Augen und zehn Finger haben. Die können wir nicht austauschen, wenn jemand in der Lage war, sie zu kopieren. 

Die Venen-Erkennung war der Versuch, ein biometrisches Merkmal zu nehmen, was die Menschen nicht die ganze Zeit öffentlich im Gesicht oder an den Händen tragen. Hier geht es nämlich um die Anordnung der Venen in der Hand selber. Und dieses Verfahren galt bisher immer als besonders sicher und wird auch für Zugangskontroll-Systeme verwendet. Zwei Forscher werden bei uns allerdings einen Vortrag halten und zeigen, wie man diese im Körper befindlichen Bilder abnehmen kann. Und wie man eine Attrappe baut, die dann wiederum Zugangssysteme überlistet und ihm vorgaukelt die tatsächliche Hand wäre dort.

Ein Thema auf dem Kongress sind auch Wahlcomputer. Wieso machen wir in Deutschland bei Wahlen unser Kreuz immer noch mit Bleistift auf Papier?

Zum einen, weil es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben hat, an dem auch der Chaos Computer Club maßgeblich beteiligt war. In Deutschland ist es gesetzlich vorgegeben, dass die Wahl frei, geheim und nachvollziehbar sein muss. So muss eine demokratische Wahl ablaufen. Dient der Computer als Wahlcomputer, dann ist er ja eine programmierte Maschine, die Daten speichern muss. Entweder ist der Computer so programmiert, dass die Wahl nachvollziehbar ist - das bedeutet für jede einzelne Stimme, dass der Computer mir sagen kann, wie sie zustande gekommen ist. Das kann man zwar machen, in dem Moment opfere ich aber die Geheimhaltung der Stimme. Und in dem Moment, wenn ich sage, dass die Stimme geheim bleiben muss, kann der Computer nicht mehr nachvollziehbar beweisen, wie alle einzelnen Stimmen zustande gekommen sind.

Deswegen ist es grundsätzlich in unseren Augen und auch in den Augen des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich, ein Wahlsystem zu bauen, das beide Eigenschaften hat. Unsere Überzeugung ist, dass wir im Namen der Demokratie und der Sicherheit auch das sicherste Verfahren brauchen. Und daran kann ein Computer nicht beteiligt werden.

Linus Neumann Sprecher des Chaos Computer Club
Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer ClubsBild: Luca Melette

Die angesprochenen Technologien sind in anderen Ländern seit Jahren erfolgreich, beispielsweise Estland gilt als Vorzeigeland und brüstet sich gern mit den Erfolgen. Ist der "CCC" ein Club von Bedenkenträgern?

Zunächst muss ich sagen: Estland hat mit seiner Vorreiterschaft in der Digitalisierung der Gesellschaft und der Politik durchaus einige herbe Rückschläge erlitten, die auch auf unseren Veranstaltungen über die Jahre immer wieder vorgetragen wurden. Was die Rolle des Chaos Computer Clubs betrifft: Es geht hier nicht darum Bedenken zu tragen, sondern es geht darum Probleme, die ganz offensichtlich sind, zu vermeiden. Wir alle sind technikbegeisterte Menschen, was Sie auf unserer Veranstaltung auch sehen. Hier wird der Spaß am Gerät gelebt, hier werden Systeme gehackt, hier werden neue Dinge gebaut, hier werden Dinge verbessert. Wir haben nur unsere generellen Befürchtungen, in welchen Bereichen diese Technologien der Gesellschaft zur Anwendung kommen. Zum Beispiel wenn es um Gesundheitsdaten geht, die die wahrscheinlich sensibelsten Daten sind, die wir sammeln.

Oder bei Wahlen, die der wichtigste und heiligste Akt der Demokratie sind. Da ist einfach im Moment Vorsicht angesagt, um nicht etwas zu bauen, was man später bereut. Blinder Fortschrittsglaube hat noch nie jemandem gut getan und den finden sie bei technisch kompetenten Leuten auch nicht. Insofern werden wir da auch weiterhin mahnen und warnen, wenn wir Probleme schon vorher sehen. Bisher hatten wir auch immer, wenn es um das Voraussehen von Problemen geht, einen relativ guten Riecher.

Früher galt ihr Kongress als Veranstaltung für einige ausgewählte Spezialisten. Jetzt stellen Sie regelmäßig Besucherrekorde auf, so auch dieses Jahr mit 16.000 verkauften Karten. Wie erklären Sie sich den Erfolg?

Der Erfolg der Veranstaltung ist sicherlich dadurch begründet, dass die Themen, die wir hier behandeln, immer mehr Interesse und Relevanz in der Gesellschaft haben. Vor 35 Jahren hatten sehr wenige Menschen Computer und niemand ein Smartphone. 35 Jahre später ist das anders. Diese Themen beschäftigen nicht mehr nur gesellschaftliche Randgruppen, sondern die ganze Gesellschaft. Des Weiteren bin ich natürlich davon überzeugt, dass wir hier eine äußerst interessante Veranstaltung bieten, die in ihrer programmatischen Vielfalt natürlich auch auf ein sehr viel breiteres Publikumsinteresse stößt. Insofern hat sich der Kongress wahrscheinlich gewandelt von einer Veranstaltung von Hackern für Hacker zu einer Veranstaltung von Hackern für Hacker und gesellschaftlich Interessierte.

 

Linus Neumann ist Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC). In dem 1981 gegründeten Verein haben sich Hacker zusammengeschlossen. Er ist inzwischen stark engagiert, wenn es um Fragen der Computersicherheit geht.

 

Das Interview führte Friedel Taube.