1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Cannabis: Erster Schritt Richtung Legalisierung

16. August 2023

Die Regierung hält Verbote für gescheitert - und will den Besitz von Cannabis erlauben. In Modellregionen soll es Geschäfte für Marihuana geben, ein Paradigmenwechsel.

https://p.dw.com/p/4VEqz
Gesundheitsminister Karl Lauterbach steht am 16. 8. 2023 in Berlin vor einem Plakat, auf dem die Cannabis-Legalisierung gefordert wird und streckt den Daumen nach oben.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach stellt das Cannabis-Gesetz vor - und eine Aufklärungskampagne über die Gefahren der Droge Bild: Michele Tantussi/Getty Images

Zwei Cannabispflanzen streckten ihr zartes Grün auf dem Balkon eines 74-jährigen Bonners in die Sonne. Bis die Polizei kam. Anfang August wurde der Marihuana-Gärtner zu einer Geldstrafe von über 8.000 Euro verurteilt. Dabei war der Mann seiner Zeit voraus. Wenn es nach dem Willen der Berliner Regierungskoalition geht, soll das Hanfgärtnern künftig straffrei sein. Der Anbau von bis zu drei Pflanzen für den Eigenbedarf und der Besitz von bis zu 25 Gramm Marihuana zu Genusszwecken sollen künftig jedem Erwachsenen erlaubt sein.

Wer keinen grünen Daumen hat und trotzdem Kiffen will, soll sich einer sogenannten Anbauvereinigung anschließen können. Diese oft Cannabis-Social-Clubs genannten Vereine sollen ihre Mitglieder mit Cannabis-Produkten aus eigenem Anbau versorgen.

Schritt eins: Entkriminalisierung

Einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von Cannabis hat das Bundeskabinett am Mittwoch gebilligt. "Konsumentinnen und Konsumenten wird durch den Gesetzentwurf ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis erleichtert", wird das Ziel des neuen Gesetzes gleich auf der ersten Seite des 183 Seiten umfassenden Entwurfs formuliert. In Kraft treten soll es spätestens am 1. Januar 2024 - vorausgesetzt, es wird auch vom Parlament beschlossen. Betreffen würde die Liberalisierung jeden zwanzigsten Deutschen: Laut Zahlen der Bundesregierung haben im letzten Jahr 4,5 Millionen Erwachsene mindestens einmal Cannabis konsumiert.

Teilnehmer der Hanfparade in Berlin am 2. 8. 2023 mit Transparenten
Demonstrieren für die Legalisierung: Hanfparade in Berlin im August 2023Bild: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Angesichts des geplanten Cannabis-Gesetzes spricht Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD vor der Presse von einem Richtungswechsel in der Drogenpolitik. Notwendig geworden sei der aus drei Gründen. Erstens steige unter den Bedingungen des derzeitigen Verbots seit Jahren der Konsum, auch bei Kindern und Jugendlichen. Das sei, zweitens, mit umfänglicher Drogenkriminalität verbunden. Und drittens drohten auf dem Schwarzmarkt wegen toxischer Beimengungen und wechselnder Wirkstoffkonzentrationen Gesundheitsschäden.

Mit dem Gesetzentwurf nähert sich Lauterbach dem, was sich SPD, Grüne und FDP in ihr gemeinsames Regierungsprogramm geschrieben hatten: Legalize it! Als politisches Vorhaben ist im Koalitionsvertrag festgehalten: "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein."

Im Juni 2022 kauft ein Mann in einem Cannabis-Geschäft in Bangkok getrocknete Cannabis Blüten.
Bald auch in Deutschland? Ein Cannabis-Fachgeschäft in BangkokBild: Manan Vatsyayan/AFP/Getty Images

Große Pläne und Blütenträume

Die Koalition plante ursprünglich den großen Wurf. Sie wollte die Legalisierung von Cannabis vom Anbau bis zum Verbraucher. Die Ziele: Den Kinder- und Jugendschutz stärken, den Gesundheitsschutz in den Vordergrund stellen, den Schwarzmarkt bekämpfen. Das Gesundheitsministerium übernahm die Abstimmung mit den fünf Bundesministerien, die auch mitreden beim Thema Legalisierung: Die Ministerien für Inneres, Justiz, Landwirtschaft, Wirtschaft und das Auswärtiges Amt. Und es organisierte umfangreiche Anhörungen mit Experten.

Dort trat unter anderen Julius Haucap auf. Der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler spricht sich schon seit Jahren für eine Legalisierung von Cannabis aus. Gegenüber der DW schätzte der Ökonom den Markt auf einen Wert zwischen vier und fünf Milliarden Euro. Mögliche Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben sowie Einsparungen bei Polizei und Justiz addierte der Wirtschaftsprofessor auf jährlich knapp fünf Milliarden Euro. 

Der erwartete Boom bei Anbau und Vertrieb nach einer Legalisierung ließ sogar eine neue Berufsbezeichnung entstehen: Die Landwirtschaftskammer des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen stellte Vorüberlegungen für Lehrgänge zum "Cannabis-Fachkultivierer" an. 

Hemmschuhe Europarecht und internationale Abkommen

Im letzten Oktober legte Lauterbach als zuständiger Minister Eckpunkte für ein Cannabisgesetz vor. Die aber schienen den Vorschriften der EU zu widersprechen sowie internationalen Drogenkontrollabkommen zuwiderzulaufen. Seither tobt sowohl in der Politik wie in der juristischen Fachwelt die Diskussion, wie viel Spielraum rund ums Kiffen das Europarecht hergibt.

Fest steht: Inzwischen fallen die Pläne bescheidener aus. Der große Wurf wurde eingedampft und auf zwei Säulen verteilt. Säule eins beinhaltet die jetzt vom Kabinett verabschiedete Entkriminalisierung. Säule zwei sieht vor, dass Fachgeschäfte Cannabis und THC-haltige Produkte verkaufen. Allerdings nicht flächendeckend, sondern nur in ausgewählten Kreisen und Städten, sogenannten Modellregionen, befristet auf fünf Jahre.

Die erwarteten Steuereinnahmen und Einsparungen bei Polizei und Justiz sind deutlich nach unten korrigiert. Der Gesetzentwurf rechnet nicht in der Größenordnung von Milliarden, sondern mehreren Hunderttausend Euro. Denen stehen allerdings Mehrausgaben für die Evaluierung des Gesetzes sowie Aufklärungs- und Präventionsangebote gegenüber.

Wachsender Widerstand

Zugleich wächst der Widerstand gegen die Legalisierungspläne. In einer gemeinsamen Stellungnahme warnten gleich fünf Verbände von Medizinern für Kinder und Jugendliche vor "einer Gefährdung der psychischen Gesundheit und der Entwicklungschancen junger Menschen in Deutschland." Auch die Gewerkschaft der Polizei ist gegen den Gesetzentwurf. Und der Deutsche Richterbund warnte wegen der vielen kleinteiligen Regelungen zu den Cannabis-Clubs und der Abgabe der Drogen vor Mehrarbeit für die Justiz. Selbst Abgeordnete des Koalitionspartners FDP sprechen von einem "Bürokratiemonster".

Politiker der oppositionellen Christdemokraten schimpfen, das Vorhaben sei "medizinisch nicht verantwortbar" oder verteufeln es als "Anschlag auf den Jugend- und Gesundheitsschutz".

Auch Legalisierungsbefürworter sind unzufrieden. Ihnen ist die Neuregelung zu kleinteilig und nicht weitreichend genug. Gesundheitsminister Lauterbach hält die Kritik von beiden Seiten für ein gutes Zeichen und spricht von einem "Gesetz mit Augenmaß". Der Sozialdemokrat will der Kritik unter anderem mit einer groß angelegten Aufklärungskampagne unter Kindern und Jugendlichen zu den Gefahren des Kiffens begegnen.

Für den bestraften Cannabis-Gärtner aus Bonn hält das neue Gesetz immerhin einen kleinen Trost bereit: Es sieht die Tilgung seiner Verurteilung aus dem Bundeszentralregister vor.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein