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Bundestag: Der Haushalt 2022 gibt Rätsel auf

22. März 2022

Der Krieg und die Pandemie zwingen Deutschland erneut, Kredite aufzunehmen, um den Bundeshaushalt zu finanzieren. Die Höhe ist nicht absehbar, vieles bleibt vage. Im Bundestag sorgt das für Ärger.

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Deutschland | Haushaltsdebatte im Bundestag, Olaf Scholz und Christian Lindner
Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Finanzminister Christian LindnerBild: Kay Nietfeld/dap/picture alliance

Wie viel Geld darf der Bund 2022 ausgeben und wofür? Es wird absehbar bis Ende Juni dauern, bis diese Frage beantwortet ist. Drei Monate werden sich die Parlamentarier mit dem ersten von der neuen Bundesregierung aufgestellten Haushalt beschäftigen. Allerdings ist der von Finanzminister Christian Lindner vorgelegte Entwurf in wichtigen Punkten bereits überholt.

Der Krieg in der Ukraine und dessen Kosten für Deutschland fehlen. Weder sind die finanziellen Auswirkungen der steigenden Energiepreise berücksichtigt noch die Folgekosten der Sanktionen gegen Russland. Kosten für humanitäre Hilfe in der Ukraine sind in dem Zahlenwerk zwar zu finden, nicht aber für die Versorgung der Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland flüchten.

"Es sind Zeiten, die klare Prognosen erschweren, Zeiten der Unsicherheit", so Lindner im Bundestag. Es sei noch nicht absehbar, welche Auswirkungen der Krieg in der Ukraine auf die weltweite ökonomische Lage haben werde. "Auch die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land ist von großer Unsicherheit geprägt."

Corona und der Krieg hebeln die Schuldenbremse aus

Der Finanzminister reagiert auf die Unwägbarkeiten, indem er dem Parlament lediglich einen Kernhaushalt vorlegt. Darin sind Ausgaben von 457,6 Milliarden Euro und 99,7 Milliarden Euro neue Schulden vorgesehen. Im dritten Jahr in Folge muss dafür die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ausgesetzt werden und damit die Auflage, dass nur so viel Geld ausgegeben werden darf, wie der Staat auch einnimmt.

Deutschland | Haushaltsdebatte im Bundestag
Bundesfinanzminister Christian LindnerBild: Kay Nietfeld/dap/picture alliance

2022 soll die erneute Ausnahme von der Schuldenregel nicht nur mit der Corona-Pandemie, sondern auch mit dem russischen Angriff auf die Ukraine begründet werden. Der entsprechende Antrag an den Bundestag werde angepasst, so Lindner, der nun so schnell wie möglich einen Ergänzungshaushalt vorlegen will, in dem er den Finanzbedarf beziffert, der sich aus dem Krieg ergibt. "Wir hoffen auf baldigen Frieden", so Lindner im Bundestag. Deutschland werde die Ukraine beim Wiederaufbau unterstützen. Dafür brauche es einen internationalen Wiederaufbauplan.

250 Milliarden Euro Schulden, das wäre neuer Rekord

Während Lindner keine genauen Prognosen über den Ergänzungshaushalt abgeben will, rechnet die oppositionelle CDU mit rund 50 Milliarden Euro. Weitere Kredite sind nötig,um die 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehrzu beschaffen. Das Geld soll in ein Sondervermögen fließen, also nicht über den normalen Haushalt laufen.

Für die Regierung hat das mehrere Vorteile: Erstens ist ein Sondervermögen zeitlich nicht befristet, verfällt also nicht am Jahresende wie ein Haushaltsbudget. Zweitens belasten die 100 Milliarden Euro nicht die allgemeine Schuldenquote.

Der Haushalt, eine Seifenblase?

Die Union empört das. Der haushaltspolitische Sprecher der CDU, Christian Haase, warf dem Finanzminister vor, die Schuldenbremse mit immer neuen Tricks zu umgehen, statt sie zu verteidigen. 250 Milliarden Euro seien neue Rekordschulden. "Vor aller Augen erleben wir gerade das Ende der Schuldenbremse", wetterte Haase. Lindners Entwurf gehe zudem von zu optimistischen Erwartungen mit Blick auf Steuereinnahmen und Arbeitsmarkt aus:  "Dieser Haushalt zerplatzt so schnell wie eine Seifenblase."

Tatsächlich haftet den Berechnungen zu den Einnahmen eine große Unsicherheit an. Im Finanzministerium wurde mit Konjunkturprognosen aus dem Januar gerechnet, also aus der Zeit vor dem Krieg. DieSteuerschätzung ist sogar noch älter, sie stammt aus dem November 2021. Neuere Zahlen lägen leider noch nicht vor, heißt es dazu lapidar aus dem Finanzministerium.

Streit um die Finanzierung der Bundeswehr

Kritik übt die Union auch am geplanten Sondervermögen für die Bundeswehr. CDU und CSU fürchten, dass die 100 Milliarden Euro nicht ausschließlich der Truppe zugutekommen könnten und fordern, dass nur große Rüstungsprojekte aus dem Sondervermögen finanziert werden sollen. Der Rest müsse über den normalen Haushalt abgebildet werden. Die Ampel-Regierung will das Sondervermögen im Grundgesetz verankern. Das ist aber nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Parlament möglich, also nur mit den Stimmen der Union.

Der Chef der bayerischen CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, kritisierte zudem, dass nicht festgeschrieben sei, wie die Sonderschulden zurückgezahlt werden sollten. "Das wird unsere Zustimmung nicht haben. Schuldentilgung ist ein Teil von solider Haushaltspolitik." Angesichts des nur rudimentären Kernhaushalts und der fehlenden Zahlen zur weiteren Verschuldung sprach Dobrindt von einem "Haushaltsrätsel".

Finanzieller Schwebezustand

Doch warum hat der Bundesfinanzminister einen Haushalt vorgelegt, der die tatsächlichen Kosten nicht abbildet? Christian Lindner steht unter Druck. Wegen des Regierungswechsels ist 2021 kein Etat für das Folgejahr beschlossen worden. Seit dem 1. Januar arbeiten Ministerien, Behörden und alle Institutionen, die vom Bundeshaushalt abhängen, mit vorläufiger Haushaltsführung. Sie wissen also nicht, was sie ausgeben dürfen.

Schuldenuhr Deutschlands I Berlin
Aufnahme aus dem Juli 2021 - inzwischen sind die Schulden weiter gewachsenBild: Daniel Kalker/dpa/picture alliance

Teuer wird vor allem die Energieversorgung. Die Preise für Gas und Heizöl steigen weiter, an den Tankstellen kostet der Liter Benzin und Diesel inzwischen weit über zwei Euro. In den Haushaltsentwurf eingerechnet ist ein Heizkostenzuschuss für Bedürftige, für Gasreserven sind 1,5 Milliarden eingeplant. Doch wenn die Preise weiter steigen, wird das nicht ausreichen.

Tankrabatt für alle oder nur für Bedürftige?

Der FDP-Politiker Lindner will außerdem die Autofahrer entlasten und hat dafüreinen zeitlich befristeten Rabatt für Tankkunden vorgeschlagen. Bei den Koalitionspartnern ist das hoch umstritten. SPD und Grüne halten nichts von einer pauschalen Entlastung für alle, sondern wollen vor allem einkommensschwache Bürger finanziell unterstützen. Die Grünen wollen zudem den Energieverbrauch insgesamt reduzieren und schlagen ein Tempolimit vor.

Streit zeichnet sich auch beim Thema Schuldenbremse ab. Der Bundesfinanzminister will schon ab 2023 nur noch so viel ausgeben, wie der Staat auch einnimmt. Immer wieder erwähnte er das in seiner rund 45 Minuten langen Rede im Bundestag. Die Schuldenbremse sei keine "politische Forderung oder ein Wunsch" von ihm. "Die Schuldenbremse steht in der Verfassung und ich sehe nicht, dass es eine verfassungsändernde Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat dafür gäbe, sie aufzuweichen."

Geld erst erwirtschaften, dann ausgeben

Eine Ausnahme von der Schuldenbremse erlaubt das Grundgesetz nur in Notlagen. "Wir wollen alle hoffen, dass es im kommenden Jahr keine Notlage mehr gibt", sagte Lindner, der für 2023 nur noch mit 7,5 Milliarden Euro Schulden plant - das ist exakt die Summe, die die Verfassung erlaubt. Um damit auszukommen, müssten alle Ausgaben auf den Prüfstand und strikt Prioritäten gesetzt werden, heißt es im Ministerium.

In der SPD rumort es bereits. Der linke Flügel fordert eine Aussetzung der Schuldenbremse auch 2023 und höhere Steuern für Vermögende. Doch das lehnt die FDP strikt ab. Das einzige Zugeständnis des Finanzministers betrifft die Rückzahlung der in der Corona-Pandemie aufgehäuften Schulden. Statt 2026 soll die Frist erst 2028 anlaufen und sich dann über 30 Jahre hinziehen.

Dieser Artikel wurde erstmals am 16. März veröffentlicht und am 22. März aktualisiert.