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Bundesregierung will Strompreis für Wirtschaft senken

9. November 2023

Monatelang hat die Regierung darum gerungen, wie der Strom für die Industrie günstiger werden kann. Die Befürchtung: Große Konzerne könnten sonst abwandern. Jetzt steht ein Konzept.

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Hochspannungsmasten, Symbolfoto Stromkosten und Energiekrise
Bild: Christian Ohde/CHROMORANGE/picture alliance

Die Bundesregierung will den Strompreis für die Wirtschaft durch eine Steuerreform drücken. Geplant ist unter anderem eine deutliche Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe und eine Ausweitung der bisherigen Strompreiskompensation für Konzerne, die besonders unter hohen Strompreisen leiden. Zuerst hatte das Handelsblatt über die Pläne berichtet.

Die geplante Senkung der Stromsteuer soll zunächst für die Jahre 2024 und 2025 gesetzlich geregelt werden. "Es besteht Einigkeit, dass die Absenkung weitere drei Jahre gelten soll, sofern für die Jahre 2026 bis 2028 eine Gegenfinanzierung im Bundeshaushalt dargestellt werden kann", teilte die Bundesregierung am Donnerstag in Berlin mit - also, wenn sich Geld dafür findet. Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hätten sich auf zusätzliche Entlastungen für Unternehmen für die nächsten fünf Jahre verständigt, hieß es. "Insbesondere Unternehmen mit besonders stromintensiver Produktion werden von dem Strompreispaket profitieren, auch das produzierende Gewerbe wird entlastet."

Haben sich auf eine Senkung der Stromsteuer geeinigt: Finanzminister Linder, Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck (von links, hier im August nach einer Regierungsklausur)
Haben sich auf eine Senkung der Stromsteuer geeinigt: Finanzminister Linder, Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck (von links, hier im August nach einer Regierungsklausur) Bild: TOBIAS SCHWARZ/AFP

Die Stromsteuer soll auf den europäischen Mindestsatz von 0,05 Cent pro Kilowattstunde fallen. Derzeit liegt sie bei rund zwei Cent pro
Kilowattstunde. Unternehmen des produzierenden Gewerbes konnten allerdings schon bisher einen reduzierten Satz von 1,537 Cent pro Kilowattstunde geltend machen. Davon profitieren nicht nur große Industriekonzerne, sondern auch der Mittelstand. 

350 Konzerne, die besonders im internationalen Wettbewerb stehen und unter den hohen Strompreisen leiden, sollen zusätzliche Hilfen erhalten. Die bestehende Strompreiskompensation soll für fünf Jahre verlängert und ausgeweitet werden. Eine weitere Entlastung hatte das Bundeskabinett vor Kurzem beschlossen: So will die Bundesregierung einen Zuschuss zur anteiligen Finanzierung der Übertragungsnetzkosten von bis zu 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Das soll am Ende auch den Strompreis dämpfen. Netzentgelte sind Gebühren für die Nutzung von Strom- und Gasnetzen, die an die Verbraucher weitergegeben werden. Alle Entlastungen sollen sich allein im kommenden Jahr auf einen zweistelligen Milliardenbetrag summieren.

Strompreis in Deutschland einer der höchsten

Über Wege, die Industrie beim Strompreis zu entlasten, hatte die Bundesregierung monatelang gestritten. Im internationalen Vergleich ist der deutsche Strompreis aktuell ziemlich hoch - sowohl für Verbraucher, als auch für Unternehmen, die teils enorme Mengen an Energie benötigen. Besonders gilt das zum Beispiel für die Chemieindustrie, für Aluminiumwerke und Hersteller von Baustoffen. Nach Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) zahlt die Industrie in Deutschland fast dreimal so viel pro Megawattstunde wie in den USA oder Kanada. In der EU liegt Deutschland im Mittelfeld: Teurer ist Strom etwa in Dänemark und Italien, deutlich günstiger aber in Frankreich. Der hohe Preis in Deutschland liegt zum einen an der ehemals starken Abhängigkeit von russischem Gas. Deutschland hat nur wenig eigene Öl- und Gasvorkommen, auch Wasserkraft und Sonne können anderswo besser zur Stromerzeugung genutzt werden. Dazu kommen der CO2-Preis, Steuern und Abgaben.

Ein Mitarbeiter schaufelt im Stahlwerk der Salzgitter AG Sand in eine Abstichrinne am Hochofen
Stahl- und Aluminiumwerke brauchen besonders viel Energie. Sie könnten abwandern. Bild: Hauke-Christian Dittrich/dpa/picture alliance

Bundesregierung fürchtet Abwanderung von Unternehmen

Immer mehr große Industriekonzerne denken gerade laut darüber nach, ihre Produktion in Länder mit niedrigeren Strompreisen zu verlagern. Das könnte Deutschland Arbeitsplätze kosten. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat deshalb bereits im Mai vorgeschlagen, den Strompreis für die Industrie durch staatliche Subventionen künstlich zu drücken. Das sollte vorübergehend bis 2030 passieren - bis die Erneuerbaren Energien so stark ausgebaut sind, dass die Strompreise von alleine sinken. Kostenpunkt: rund 25 bis 30 Milliarden Euro. Die Pläne des Grünen-Politikers wurden jedoch scharf kritisiert, weil nur rund 2500 besonders energieintensive Unternehmen von den günstigen Preisen profitieren sollten. Der Mittelstand, viele Handwerker und kleinere Firmen würden leer ausgehen. Außerdem bestehe die Gefahr, eine Industrie staatlich zu unterstützen, die gar nicht zukunftsfähig wäre.

"Seit langer Zeit mal wieder begeistert"

Die Ökonomin Veronika Grimm - sie gehört dem Beratungsgremium der sogenannten Wirtschaftsweisen an -  sagte nach Bekanntwerden der Entscheidung: "Die Reduktion der Stromsteuer auf das europäische Minimum von 0,05 Cent je Kilowattstunde fordert der Sachverständigenrat schon lange. Es ist gut, dass die Bundesregierung diesen Weg nun endlich geht."

Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, begrüßte den Entschluss ebenfalls: "Es ist gut, dass der Staat die Stromsteuer für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes soweit wie möglich senkt. Auf Dauer sind die Strompreise für alle Unternehmen aber nur wettbewerbsfähig, wenn hierzulande mehr Strom produziert wird. Dazu muss der Ausbau der erneuerbaren Energie viel schneller vorangehen." Außerdem bräuchte es für Dunkelflauten eine zuverlässige Grundlast, die durch das Abschalten der Kernkraftwerke jedoch geschwächt worden sei. "Das Energieproblem der deutschen Wirtschaft ist noch lange nicht gelöst, die Unternehmen sind zu Recht beunruhigt."

Für ING-Chefvolkswirt Carsten Brezski ist die Entscheidung der Regierung "endlich mal ein gutes und starkes Zeichen. Fünf Jahre geben Planungssicherheit und verhindern die weitere Erosion des Standorts Deutschland. Ich bin seit langer Zeit mal wieder begeistert."

hb/nm (dpa, rtr)