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Warum von den Männern billig kopieren?

Alina Schwermer
15. Mai 2022

26 Tore in sechs Partien: Der 22. und damit letzte Spieltag der Bundesliga war sehenswert, offenbart jedoch erneut die eklatanten Qualitätsunterschiede im Frauenfußball. Zeit für fünf Thesen zur Saison.

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Mit 7:1 siegten die Wolfsburgerinnen am letzten Spieltag gegen Leverkusen
Mit 7:1 siegten die Wolfsburgerinnen am letzten Spieltag gegen LeverkusenBild: Swen Pförtner/dpa/picture alliance

Corona hat die Meisterschaft entschieden

Vor zwei Jahren noch hätte es einen Aufschrei gegeben, nun ist es nicht viel mehr als ein Achselzucken: Corona entscheidet Titel. Was wäre gewesen, wenn sich beim FC Bayern nicht in der entscheidenden Saisonphase elf Spielerinnen gleichzeitig mit Corona infiziert hätten? Wie wäre das Spitzenspiel um die deutsche Meisterschaft ausgegangen, in dem die dezimierten Münchnerinnen mit 0:6 gegen Wolfsburg kollabierten? Oder das Pokalhalbfinale kurz darauf, das viele frisch Genesene bestritten? Niemand wird diese Fragen beantworten können, und kurioserweise stellt sie kaum jemand. Die Show muss weitergehen, Geld will ja schließlich verdient werden. In einem Geschäft, in dem es keinen fairen Wettbewerb gibt, ist das Thema Fairness auch bei Corona auffällig diskret behandelt worden. Ein Diskurs fehlte völlig. Beim FC Bayern war man derweil in der ungewohnten Lage, als tragische Heldinnen mal Sympathiepunkte zu kriegen.

Wolfsburg war trotzdem besser

Nach allem, was wir wissen, hat das bessere Team den Titel geholt. Die Wolfsburgerinnen, die die Spielzeit gewohnt überlegen mit 7:1 gegen Leverkusen abschlossen, waren vor allem in der Rückrunde souveräner und spielerisch kreativer als die Bayern – und hatten die größere individuelle Klasse auf dem Platz. Mit Tabea Waßmuth und Sveindis Jonsdottir schrieben sie zwei der großen Erfolgsgeschichten, mit der Niederländerin Jill Roord als Herz fanden sie eine, die wirkt, als sei sie ewig in Wolfsburg. Und ja, da gab es vor der Saison ja auch noch einen Trainerwechsel zu Tommy Stroot. Dass man den so schnell vergaß, sagt eher Gutes. Zuletzt darf man auch die Bilanz heranziehen: Die Wolfsburgerinnen haben bekanntlich auch im Pokal mit 3:1 und in der Hinrunde mit 1:0 gegen die Bayern gesiegt. Wer die direkten Konkurrentinnen dreimal hinter sich lässt, steht zurecht oben, sagt der Stammtisch. Mit den Neuzugängen Merle Frohms, Jule Brand und Sara Agrež unterstreicht der VfL: Wer was werden will, für den ist Wolfsburg immer noch die erste Adresse.

Wunder gibt es nicht mehr

Wunder gibt es immer wieder? Schon möglich, aber nicht mehr in der Frauen-Bundesliga. Am letzten Spieltag hat sich alles erwartbar gefügt: Die Frankfurterinnen siegten mit 4:0 gegen Bremen und ziehen damit auf den Champions-League-Platz 3, Turbine Potsdam verlor deutlich mit 0:5 in München. Der immer noch erfolgreichste Verein im deutschen Frauenfußball rutscht damit langsam, aber sicher in den Endplatzierungen weiter nach unten. Und die Liga folgt schnellen Schrittes dem neoliberalen Modell: Bloß keine Regulierung, bloß keine separaten Töpfe für unabhängige Frauenvereine. Wer hat, dem wird gegeben. Frankfurt ist gerade noch rechtzeitig unter das Dach der Eintracht geschlüpft: Die Champions League schafft neuen Adel. Warum man ein dysfunktionales System kopiert? Gute Frage, die irgendwann auftauchen wird. Immerhin: Sobald die erste Liga der Männer und Frauen relativ deckungsgleich besetzt sind, wird die Liga erstmal wieder gleicher. Die, die sich früh ernsthaft für Frauenfußball interessierten, werden das nur noch von unten beobachten. Das gilt auch für den SC Sand, dem selbst das 3:3 in Hoffenheim nicht reichte, um den Abstieg zu verhindern.

Vom Boom profitiert man nur oben

Fußball | Frauen | Leere Tribüne
Volle Stadien gibt es nur selten in der Frauenfußball-BundesligaBild: Carlotta Erler/picture alliance

Die halbherzige Goldgräberstimmung hat es durch die Pandemie geschafft. Klubs wie Union Berlin kündigen Erstligapläne an, die EM in England soll das größte Event in der Geschichte des Frauenfußballs werden, die große Kulisse in Barcelona wurde viel beachtet. Und nicht nur dort, auch etwa in Paris gibt es immer mehr Verknüpfungen zwischen Fanszenen der Männer und der Frauen. Mehr Sichtbarkeit, mehr Respekt, ein gutes Auskommen: Langjährige Forderungen erfüllen sich. In den nationalen Ligen sieht der Alltag allerdings anders aus. Glücklich, wer immerhin 1.000 Menschen im Schnitt begrüßt, die Publikumszahlen schrumpfen eher. Und die regionalen Ligen finden kaum überhaupt genug Teams. Viel Geld bedeutet nicht unbedingt viel Interesse. Sichtbarkeit im TV ist nicht alles. Es braucht, was den Männerfußball groß gemacht hat: lokale Bedeutung und Bindung, Bewegung von unten, eine kritische Szene. 

Trainer: Vom Schaukelstuhl zum Schleudersitz

Es ist noch nicht lange her, da waren Frauenklubs dankbar, wenn ein männlicher Trainer sich erbarmte, sie zu trainieren. Die Attraktivität des Jobs im Vergleich zur Männer-Bundesliga ist ja auch weiterhin wie das Knäckebrot zum Big Mac. Die Sichtbarkeit nahe Null, die Bezahlung vergleichsweise gering: Über lange Jahre war der Rauswurf nur in höchster Abstiegsnot eine Option. Denn man muss ja nachher wieder wen finden, der den Job macht. In dieser Hinsicht ist die Entlassung von Jens Scheuer beim FC Bayern eine Zeitenwende. Ein Trainer wird auf dem zweiten Platz der Bundesliga gefeuert, tatsächlich. Den ehrgeizigen Auftrag, national die Wachablösung des VfL Wolfsburg voranzutreiben, konnte er nicht erfüllen. Der Trainerstuhl wird auch hier zum Schleudersitz. Wer auch immer Scheuer nachfolgt, der FC Bayern wird für einen größeren Namen und bei größerem Berufsrisiko dafür mehr Geld auf den Tisch legen müssen.