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Zwischen Moskau und Brüssel

Alexander Andreev25. März 2014

Die Krise in der Ostukraine und die Annexion der Krim haben die bulgarische Gesellschaft tief gespalten. Die Bandbreite der Stimmungen reicht von der Sympathie für die Russen bis zur Angst vor dem Machtstreben Putins.

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Ukraine-Demo in Sofia (Foto: AP)
Bild: picture alliance/AP Photo

Durch Schrift, Religion und Geschichte verbunden, empfinden viele Bulgaren Sympathie für die Russen. Gleichzeitig aber werden auch Ängste wach, Moskau könnte wieder versuchen, Bulgarien in seine geopolitische Machtsphäre zu ziehen. An einem bekannten russischen Sprichwort ist das Misstrauen vieler Bulgaren gegenüber dem mächtigen Nachbarn festzumachen. Das Sprichwort besagt: "Die Henne ist kein Vogel, Bulgarien ist kein Ausland". Das südosteuropäische Land mit einer Fläche von rund 111.000 Quadratkilometern und einer Bevölkerung von 7,3 Millionen hat zwar keine gemeinsame Grenze mit Russland, dafür aber lange und komplizierte Beziehungen mit dem "großen Bruder".

Russland - Befreier oder Besatzer?

Die Konfrontation von "Russophilen" und "Russophoben", die in Bulgarien eine lange Geschichte hat, hat gerade einen neuen Schub bekommen. In der offiziellen bulgarischen Geschichtsschreibung gilt Russland nämlich als "Befreier vom türkischen Joch", weil die bulgarische Staatlichkeit nach dem Russisch-Türkischen Krieg von 1877/78 wiederhergestellt wurde. Der Geschichtswissenschaftler Plamen Tzvetkov sieht darin allerdings ein reines Propagandaklischee, das in Geschichtsbüchern und Medien unkritisch wiedergegeben werde. "Die meisten Bulgaren wissen überhaupt nicht, dass der Friedensvertrag von 1878 keine 'Befreiung' war. Vielmehr besiegelte er die dauerhafte Besetzung Bulgariens durch die russische Armee und diente der Durchsetzung russischer Machtinteressen am Bosporus", so Tzvetkov.

War es also eine "Befreiung", oder eher eine Okkupation? Darüber ist die öffentliche Meinung in Bulgarien immer noch tief gespalten. Genauso kontrovers werden die aktuellen Entwicklungen auf der Krim interpretiert, stellt der Meinungsforscher Parvan Simeonov fest:"Wir haben die Frage gestellt: 'Welche Kräfte in der Ukraine unterstützen Sie: die pro-europäischen oder die pro-russischen?' 43 Prozent der Befragten waren unentschlossen, 30 Prozent unterstützten die EU-Ausrichtung der Ukraine und 27 Prozent die Russland-Orientierung", erklärt der Mitarbeiter des Meinungsforschungsunternehmens Gallup.

Bulgarien Shipka Kirche (Foto: vsulov - Fotolia)
Russische Kirche in SofiaBild: Fotolia/vsulov

Enttäuschte EU-Bürger unterstützen Putin

Bulgarien ist zwar EU-Mitglied und trägt offiziell die EU-Position zur Ukraine mit, gleichzeitig ist das Land aber extrem abhängig von russischen Energielieferungen und wird von einem Kabinett regiert, das von den traditionell russlandfreundlichen Sozialisten dominiert ist. Die stille oder laute Unterstützung für Putins Politik hat nicht nur geschichtliche und energiepolitische Wurzeln. Viele Bürger des ärmsten EU-Landes sind von der EU-Mitgliedschaft enttäuscht und empfinden eine gewisse Genugtuung über die neue Eiszeit zwischen dem Kreml und der EU. Die antieuropäische Stimmung in Bulgaren hat sich einfach mit der Russophilie gepaart, fasst der Politikwissenschaftler Daniel Smilov zusammen:

"An sich ist das Gefühl der Nähe zu Russland nichts Verwerfliches. Es ist allerdings überraschend, dass nicht nur die Sozialisten, sondern auch die bulgarischen Nationalpopulisten das Putin-Regime unterstützen", meint Smilov.

Keine verfestigten politischen Identitäten

Die heutigen Verhältnisse seien tatsächlich sehr merkwürdig. Ex-kommunistische Sozialisten, bulgarische Nationalisten, aber auch überzeugte Antieuropäer und Antiamerikaner machten gemeinsam Stimmung für Wladimir Putin und seine Politik, obwohl diese Politik die Sicherheit Bulgariens gefährde und mit linken Ideen wenig zu tun habe. Das sei ein Beweis dafür, dass die meisten Bulgaren keine verfestigte politische Identität haben, meint der Kulturwissenschaftler Ivailo Ditschev:

Ivailo Ditschev (Foto: BGNES)
Kulturwissenschaftler Ditschev: "Antieuropäische Stimmung hat sich mit Russophilie gepaart"Bild: BGNES

"Die bulgarischen 'Russophilen' bezeichnen sich als Linke, gleichzeitig aber unterstützen sie ein Imperium, das 200 Jahre lang Revolutionen und nationale Befreiungsbewegungen zerschlagen hat. Als 'rechtsorientiert' gelten in Bulgarien diejenigen, die auf Russland schimpfen, und als 'linksorientiert' die Russland-Unterstützer. Das ist idiotisch.“

Auch der Meinungsforscher Parvan Simeonov glaubt, die Einteilung in links und rechts sei im heutigen Bulgarien irreführend, sobald es um Russland geht: "Es ist eigentlich die ehemalige Konfrontation zwischen Ost und West, die offensichtlich in Bulgarien noch nicht überwunden ist", so Simeonov.

Russlands gefährliche Politik

Parvan Simeonov (Foto: BGNES)
Politologe Simeonov: "Einteilung in links und rechts ist im heutigen Bulgarien irreführend"Bild: BGNES

Die pro-europäischen und Russland-kritischen Stimmen im Land weisen darauf hin, dass Moskau seit Jahrzehnten Bulgarien als Exklave behandelt. Die Furcht vor dem mächtigen großen Bruder wächst: Tausende russische Bürger besitzen Immobilen in Bulgarien, russische Lobbyisten sind in Bulgariens Wirtschaft und Medien sehr aktiv und es wird befürchtet, dass die alten Seilschaften aus der Zeit des Ostblocks wieder eine Renaissance erleben könnten. Die Mitgliedschaft Bulgariens in EU und Nato sehen daher die Befürworter der Westbindung als unverzichtbare Sicherheitsgarantie für Bulgarien.

Zum zweiten Mal seit der politischen Wende 1989 bis 1990 sieht sich Bulgarien zwischen West und Ost, zwischen Moskau und Brüssel hin- und hergerissen. Damals waren die Hoffnungen der Bürger auf die EU gerichtet, heute sind viele Bulgaren enttäuscht. Ob das Land wieder in Moskaus Machtsphäre geraten könnte? Unwahrscheinlich, meinen Beobachter. Aber die antieuropäische Stimmung ist deutlich spürbar und wird sich bei der Europawahl im Mai deutlich zeigen.