Bruder Leichtfuß der Architektur
14. September 2002Berstender Stahl vor dem perfekten Blau des Himmels – niemand der diese Bilder gesehen hat, kann den Anblick der einstürzenden Türme des World Trade Centers jemals wieder vergessen. Renzo Piano saß am 11. September 2001 in seinem New Yorker Büro in der 20. Straße. In einer ersten Welle des Entsetzens proklamierte er, dessen Bauwerke immer etwas gewaltiger und raffinierter als die seiner Kollegen erschienen: "Die Twin Towers waren von vorneherein veraltet und zudem aus einem naiven Gigantismus geboren."
Und bauten einen Turm bis zum Himmel
Bisher war Renzo Piano, der als Sohn eines Genueser Baumeisters geboren wurde, nicht gerade durch seine Bescheidenheit aufgefallen. "Dies ist meine Vision: Ich sehe den Turm als eine vertikale Stadt, in der etwa zehntausend Menschen leben und arbeiten." Mit diesen Worten pries Piano im November 2000 seinen Plan, in London eine riesige Glaspyramide zu errichten. Der London Bridge Tower soll das höchste Gebäude Europas werden. Nach den Vorstellungen des Architekten wird sich die filigrane Glaskonstruktion in 310 Metern Höhe im Himmel verlieren. Die Ereignisse des 11. September haben dem Baumeister nur kurz die Fasson geraubt – die fragile Pyramide wird gebaut. "Renzo Piano gehört zu den zehn Architekten weltweit, die mit ihren aufregenden und faszinierenden Bauten zur Weltarchitektur beitragen", sagt Ingeborg Flagge, Direktorin des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt im Gespräch mit DW-WORLD.
Bruder Leichtfuß
Man würde Piano jedoch Unrecht tun, wenn man ihn eines unkontrollierbaren Größenwahns bezichtigen würde. Es ist ganz einfach nur so, dass alle Gebäude, die er entwirft, die Menschen immer wieder ins Staunen versetzt. "Bruder Leichtfuß der Architektur" soll ihn einmal ein Kritiker voller Anerkennung genannt haben. Die Bedeutung dieser Worte verdichtet sich im Angesicht des Pariser Centre Pompidou, an dessen Entwurf auch Pianos Partner Richard Rogers beteiligt war, zu einem klaren Bild: Die luftige Konstruktion aus Stahl und Glas öffnet dem Betrachter Einblicke auf sich windende Versorgungsrohre, Rolltreppen und andere funktionalen Elementen. Nichts beschwert, nichts versperrt den Blick auf das innerste des Gebäudes.
Gegen das Schicksal
Nicht minder grandios ist der von Piano entworfene weltgrößte Flughafen im japanischen Osaka. "Wie ein Segelflugzeug", so sein Schöpfer, ruhe er auf einer eigens angelegten Insel. Und wie ein Organismus führt das Werk ein Eigenleben: Die künstliche Insel droht im Meer zu versinken. Piano, der 1998 mit dem Pritzker Preis, dem 'Nobelpreis' für Architekten, ausgezeichnet wurde, gilt als kühler und umsichtiger Planer. Manchmal verschwören sich dennoch die Umstände gegen ihn. Das in Köln geplante 'Weltstadtkaufhaus', eine geometrische Formenvielfalt, geboren aus einer Liaison aus Glas und Holz, drohte lange Zeit eine Skizze auf dem Reißbrett zu bleiben. Die mit dem Bau beauftragte Firma soll die Statik falsch berechnet haben.
Eine ähnlich Pannen beladene Geschichte durchzieht die Geburt des Auditoriums in Rom. Begleitet von zahlreichen Baustopps dauerte sie nahezu acht Jahre. Im Dezember diesen Jahres soll die gewaltige Muschelkonstruktion nun offiziell eingeweiht werden. Schon jetzt lieben die Römer den ausladenden Komplex, der sich am Tiber entlang schmiegt. Das Gebäudeensemble ist dem Klangkörper alter Mandolinen nachempfundenen. "Renzo Piano entwickelt seine Bauten aus der Umgebung heraus", die sie umgibt", sagt Ingeborg Flagge.
Wanderer zwischen den Welten
Die Liste seiner Bauten ist lang und keine Welt scheint Renzo Piano fremd. Ob ein Fußballstadion zur Zerstreuung der Massen oder eine Kirche für Italiens populärsten Heiligen Padre Pio, Piano hat sie gebaut. Scheinbar mühelos bewegt sich der Architekt zwischen den Grenzen des Profanen und Sakralen. Er liebt die Gegensätze. Hier Bürotürme wie das Debis Hochhaus am Potsdamer Platz oder das Mercedes Benz Design Zentrum in Stuttgart als Zentren der ökonomischen Macht. Dort die 'community buildings' für nachbarschaftliches Wohnen in den urbanen Metropolen.
Kosmopolit der Architektur
Sydney, Paris, Osaka, Neu Kaledonien und Houston Texas: An all diesen Orten hat Renzo Piano architektonische Spuren hinterlassen. Er hat sie bereichert mit seinen Visionen, die sich in Stein und Holz, Stahl und Glas manifestiert haben. Auch New York wird durch den Freigeist Renzo Piano ein neues Gesicht erhalten. Für die New York Times will er ein Bürohochhaus bauen, dessen weiße Fassade die Farben des Himmels reflektieren soll: Nach Regenfälle wird es bläulich schimmern, am Abend wird es rötlich erstrahlen.