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Brillen aus Pappe erobern den Laufsteg

3. Januar 2011

Es begann mit einem Party-Gag: der Grafikdesigner Cantemir Gheorghiu setzte sich eine Brille aus Pappe auf. Jetzt tragen sogar Models sein ausgefallenes Accessoire. Wie hat er das geschafft?

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Der Erfinder der PappbrilleBild: DW/Scherle

Er wollte sich über die modischen Ray-Ban-Brillen und das arrogante Gehabe von durchgestylten Anzugträgern lustig machen, erzählt der 28-jährige Cantemir Gheorghiu. Also bastelte der Grafikdesigner eine Brille aus Pappe, setzte sie sich auf die Nase und ging damit in einen Berliner Club.

Die junge Frau an der Bar - die übrigens Modedesign studierte - fand die Pappbrille schick und wollte sie sofort haben. Bezahlt hat die erste Pappbrillen-Kundin mit einem Cocktail. Dass diese Brille keine Gläser hat, störte sie genauso wenig wie alle anderen Fans des ungewöhnlichen Produkts. Dafür kann man mit der Pappbrille die Trends der Modeszene auf die Schippe nehmen - und natürlich auch sich selbst.

"Schärfer aussehen" statt schärfer sehen

"Unser Slogan 'Schärfer aussehen" steht für diese Ironie", sagt Cantemir Gheorghiu. "Die Pappbrille ist ein Ausdruck von Ironie, denn sie hat ja auch keine Gläser. Und eigentlich ist sie völlig nutzlos. Aber was ist schon nützlich?"

Pappbrille Flash-Galerie
Cantemir mit Fans der Pappbrille im WM-SommerBild: Mischa Kominek

Ob nützlich oder nicht - immer mehr Berliner wollten seine Pappbrille haben. Zuerst in Clubs, später auch in verschiedenen Läden. Zusammen mit seinem Studienfreund Marc Aurel Hartung gründete der junge Grafikdesigner ein eigenes Unternehmen. Das ausgefallene Produkt verkauft er auch via Online-Shop. Zu seinen Kunden gehören inzwischen PR-Agenturen aus ganz Deutschland und sogar große Konzerne wie Universal Music: sie haben die Pappbrille als Werbeträger entdeckt.

Selbstständigkeit als beste berufliche Option

Also produziert Cantemir Gheorghiu ständig neue Modelle: "Ich habe kein Privatleben, muss man sagen… Meistens verlasse ich das Bürogebäude erst um zwei Uhr nachts. Das sollte auch nicht ewig so bleiben", meint der junge Designer. Andererseits sei diese Arbeit aber nie mühsam, sondern eine Form von positivem Stress: "Man geht mit noch mehr Kraft und noch mehr Ideen aus dem Arbeitstag heraus, deshalb ist man eigentlich nie erschöpft."

Der gebürtige Rumäne ist davon überzeugt, dass Selbstständigkeit für immer mehr Menschen die beste berufliche Option ist. Zwar hat er auch schon als Angestellter für einen Catering-Service gearbeitet, um sein Kommunikationsdesign-Studium zu finanzieren. Doch für andere Leute zu arbeiten sei nichts für ihn.

Nominiert für den Wettbewerb "Kopf schlägt Kapital"

Pappbrille
Das neue Lieblingsspielzeug der BerlinerBild: Benjamin Jehne

Die Wirtschaftskrise und die schlechtere Auftragslage in der Kreativbranche haben ihn nicht eingeschüchtert. Im Gegenteil, meint Cantemir: "Die Pappbrille ist ein Krisenprodukt – und das haben auch alle sofort verstanden. Wir waren ja immer unter dem Preis eines Biers im Lokal - und ich denke, dass das die Leute motiviert hat."

Zum Beispiel in Cantemir Gheorghius Geburtsland Rumänien. Dort ging seine Geschichte quer durch die Presse – als Beispiel dafür, dass man sich von der Krise nicht unterkriegen lassen soll. Und in Deutschland wurde er für einen Gründerwettbewerb der Stiftung Entrepreneurship aus Berlin nominiert. Der Wettkampf trägt den bezeichnenden Namen "Kopf schlägt Kapital".

Schule der Kreativität: Cantemirs Kindheit in Rumänien

Ohne viel Kapital zurechtzukommen und kreative Lösungen für Probleme zu finden hat der junge Designer schon in seiner alten Heimat Rumänien gelernt. Als Kind erlebte er dort die letzten Jahre des Kommunismus, als die meisten Regale in den Läden leer standen.

"Wenn man sich vorstellt, man lebt in einem System, in dem das wirtschaftliche Angebot an Nahrungsmitteln nicht das abdeckt, was du als Familie brauchst, dann muss man sich neue Sachen ausdenken", erzählt Cantemir Gheorghiu. "Dann wird auch mal ein Schwein gekauft und bleibt auf dem Balkon oder die Hühner kommen sonst wohin..."

Pappbrillen für Models

Pappbrille
Fans der Pappbrille können sich auf die Fashion Week freuenBild: Mischa Kominek

Die Erfahrungen aus seiner Kindheit im kommunistischen Rumänien seien auch heute eine Hilfe. Zum Beispiel, weil Improvisieren selbstverständlich wird. Und weil Cantemir Gheorghiu keine Angst vor der Zukunft als Selbstständiger in der Kreativwirtschaft hat. "Natürlich können die Pappbrillen den Leuten irgendwann langweilig werden", sagt der junge Designer. "Dann steige ich eben auf neue Projekte und Produkte um."

In Zusammenarbeit mit dem international bekannten Modedesigner Ricardo Ramos produziert er nun auch Pappbrillen für den Laufsteg. Auf der Fashion Week in Berlin (18. – 23. Januar 2010) werden sich zum ersten Mal professionelle Models mit der glaslosen Brille schmücken. Vermutlich eine gute Nachricht für Modefotografen: sie können sich ganz auf die bebrillten Schönheiten konzentrieren, ohne auf lästige Spiegelungen in den Gläsern zu achten.

Autorin: Alexandra Scherle

Redaktion: Klaus Ulrich