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Fall Bridgestone entfacht Diskussionen

Lisa Louis Paris
28. September 2020

Die Schließungspläne für die Reifenfabrik Bridgestone in Frankreich erwecken die Globalisierungsdebatte wieder einmal zum Leben. Doch diesmal könnte die Diskussion zu einer Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik führen.

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Geplante Werkschließung von Bridgestone in Frankreich
Bild: Sylvie Lefevre/abaca/picture-alliance

"Vertrauensbruch", "Verrat", "Totaler Skandal". Die Ankündigung, dass der japanische Reifenhersteller Bridgestone seine Fabrik in Bethune in Nordfrankreich nächstes Jahr schließen will, trifft im Land auf heftigen Widerstand - bei Gewerkschaften, aber auch Politikern aller Couleur.

Globalisierungskritische Stimmen scheinen so mehr Gewicht zu bekommen, gerade auch im Kontext der COVID-19-Krise, im Zuge derer die Regierung versprochen hat, gewisse Sektoren wieder zurück nach Frankreich zu verlagern.

Das Unternehmen begründet seine Entscheidung mit fehlender Rentabilität, weil die in Bethune produzierten Reifen kleineren Formats vor allem in Asien zu viel niedrigeren Kosten produziert würden. Außerdem sei die Nachfrage gesunken und habe sich auf größere Reifen, zum Beispiel für SUVs, verlagert.

Bridgestone-Mitarbeiter demonstrieren gegen Werksschließung
Bridgestone kündigte an, das Werk in Bethune im Frühjahr 2021 zu schließenBild: Maillard/MAXPPP/dpa/picture-alliance

"Wir haben alle Szenarien analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass eine Schließung des Werks der einzig wettbewerbsfähige Weg für den Konzern ist", sagt ein Bridgestone-Sprecher der Deutsche Welle (DW). Dennoch sei das Unternehmen bereit, die Situation noch einmal durch andere, von der Regierung gestellte Experten untersuchen zu lassen, um "alternative Szenarien" in Betracht zu ziehen.

So könnte man zum Beispiel die Produktion auf andere Autoteile umstellen oder aber die Fabrik könnte durch eine andere Firma übernommen werden. Bis nächsten Februar sind zahlreiche Verhandlungsrunden mit Gewerkschaftern und Politikern geplant.

Re-Industrialisierung: Bridgestone als Beispiel

Der Fall ist indes für die Regierung zum Symbol geworden. "Wir können daran zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist - und zwar der, die 863 Arbeitsplätze beizubehalten, indem man das Unternehmen umwandelt", erklärt Bruno Bonnell, Parlamentarier der Regierungspartei LREM und Mitglied des Wirtschaftsausschusses, gegenüber der DW.

Der Staat sei bereit, die Hälfte der für eine Umwandlung benötigten Investitionen beizusteuern. Bonnell meint, dass das auch im Sinne des Wirtschaftskurses sei, den Präsident Emmanuel Macron seit seiner Wahl eingeschlagen habe: eine Re-Industrialisierung Frankreichs.

Diese Tendenz habe sich seit der COVID-19-Krise insofern verschärft, als dass Letztere das Bewusstsein dafür gestärkt habe, dass Frankreich in gewissen Sektoren zu abhängig vom Ausland sei, zum Beispiel bei Medikamenten. So sollen 15 der 100 Milliarden von Frankreichs COVID-19-Konjunkturpaket die Innovation fördern und helfen, gewisse Sektoren zurück nach Frankreich zu verlagern.

"Es geht nicht darum, das Rad der Globalisierung zurückzudrehen - wir wollen es nur besser ausbalancieren. Schließlich ist unser französisches Modell der Marktwirtschaft ein anderes als das angelsächsische: Wir müssen unserer Ökonomie auch in sozialer Hinsicht einen Sinn geben. Es kann nicht nur um Profite gehen", fügt Bonnell hinzu. Dennoch gibt er zu, dass wohl nicht alle Unternehmen gerettet werden können: "Damit der Wald wachsen kann, müssen einige Bäume fallen," meint er.

Yves Veyrier, Generalsekretär der Gewerkschaft FO, hofft, dass Bridgestone tatsächlich zu den Bäumen gehören wird, die stehenbleiben. Auch für ihn ist der Fall ein Symbol - und zwar dessen, was in Zeiten der "zügellosen" Globalisierung schiefgeht.

Der Schriftzug "Continental" steht auf einem Reifen.
Auch Continental plant, ein Reifenwerk in Aachen bis Ende 2021 zu schließen - aufgrund zu hoher Kosten in der Reifensparte und eine zu geringen Auslastung der ProduktionBild: picture-alliance/dpa/O. Spata

"Der Staat ist Garant für unsere Arbeitsplätze und sollte deswegen Unternehmen nicht ohne Gegenleistung Subventionen geben", so Veyrier gegenüber der DW. Bridgestone hat nach eigenen Angaben 2018 1,7 Millionen Euro Steuererleichterungen bekommen und dieses Jahr einen Coronavirus-Zuschuss von 1,5 Millionen Euro. "Aber staatliches Geld sollten Unternehmen nur dann erhalten, wenn sie dafür die Stellen beibehalten und keine Dividenden an Aktionäre ausschütten", meint er.

Ökonomen bezweifeln große Neuausrichtung

Doch Philippe Crevel, Ökonom und Chef der Pariser Denkschmiede Cercle de l'Epargne, bezweifelt, dass die laute Debatte einen großen Einfluss auf die tatsächliche Wirtschaftspolitik haben wird.

"Es hat in Frankreich schon immer viel Widerstand gegeben, wenn man Fabriken schließen wollte, und der Staat ist dann oft eingeschritten", sagt er zur DW. "Jetzt ist der Druck auf die Regierung noch größer, etwas zu tun. Schließlich haben wir eine Gesundheits- und Wirtschaftskrise, außerdem ist die Regierungspartei wegen ihrer schlechten Umfragewerte unter Druck."

Dennoch könne man die ökonomische Realität nicht einfach ausblenden. "Manche Produktionen wie Reifenherstellung sind einfach nicht mehr rentabel in unserem Land - auch das Konjunkturpaket und die neuesten Ankündigungen der Regierung werden das nicht ändern können", so Crevel.

Infografik: Die größten deutschen Automobilzulieferer nach Umsatz

Das sieht auch Marc Touati so, Finanzökonom und Gründer der Consulting-Firma ACDEFI. Er nennt das französische Wirtschaftsmodell "archaisch".

"Wir zahlen jetzt für die Fehler der 80er und 90er Jahre. Da hat Frankreich vermehrt auf die Service-Industrie gesetzt und nichts getan, um das produzierende Gewerbe hierzubehalten", erklärt er im DW-Gespräch. "Wir haben sehr viel höhere Unternehmenssteuern und Lohnnebenkosten und einen viel unflexibleren Arbeitsmarkt als andere Länder - da ist es doch normal, dass Unternehmen auswandern."

Touati glaubt dabei kaum, dass die Regierung es schafft, diese Rahmenbedingungen zu ändern. "Für niedrigere Steuern müssten wir auch unsere Staatsausgaben senken - schließlich können wir unsere Schulden nicht unendlich weiter erhöhen. Und das ist in Frankreich praktisch unmöglich. Gegen Sparpläne gibt es hier einfach zu viel Widerstand."

Selektive Neuausrichtung möglich?

Eric Heyer vom Observatorium für Konjunktur OFCE der Pariser Universität Sciences Po glaubt dennoch, dass die Regierung die heimische Wirtschaft stärken können wird - wenn auch selektiv und in Grenzen.

"Man kann schon in gewissen Sektoren die Innovation fördern und gewisse Wirtschaftsaktivitäten zurückbringen," sagt er gegenüber der DW. "Das geht aber nur, wenn man auf Zukunftsprodukte setzt, wo man einen Wettbewerbsvorteil erringen kann. Man muss dann Spezialisten ausbilden und höhere Preise in Kauf nehmen wegen der höheren Lohnkosten hier."

Die Regierung setzt tatsächlich zum Beispiel auf Wasserstoffmotoren, die durch das Konjunkturpaket gefördert werden sollen. Sieben Milliarden Euro sollen dafür bis 2030 ausgegeben werden. Eine solche Förderung von einigen wenigen Zukunftssektoren sollte jedoch kaum Frankreichs Wirtschaftsmodell komplett neu ausrichten.