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Politik

Politik im Kornfeld

Barbara Wesel
2. Oktober 2018

Boris gibt alles, der Außenminister braucht Geschichtsunterricht, ein Hinterhalt in Salzburg, die Kunst des Zuhörens und was hat das alles mit Respekt zu tun?

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Großbritannien - Boris Johnson beim Joggen
Bild: Getty Images/L. Neal

Er gab sein Bestes und die Menge am Rande des Tory-Parteitags in Birmingham fraß ihm aus der Hand. Boris Johnson kann reden wie ein Weltmeister und um seinen Anspruch auf das Amt des Premierministers zu unterstreichen, hatte er sogar seine Haare gekämmt. Auf in den Kampf also gegen Theresa Mays "ungeheuerlichen" Chequers-Vorschlag. Das ist ihr Versuch, bei Zollunion und Binnenmarkt halb drin und halb draußen zu sein, den die EU-Regierungschefs beim Gipfel in Salzburg bereits in Stücke gerissen hatten. Aber Boris prügelt weiter auf dieses längst verstorbene Pferd ein.

"Er ist nicht pragmatisch, er ist kein Kompromiss und bietet keine Sicherheit", donnerte er gegen Mays Plan. Und wenn wir "halb-drin und halb-draußen sind, verlängern wir nur diese vergiftete und langweilige" Auseinandersetzung. Letzteres zumindest eine gute Beschreibung des Brexit-Streits unter den Tories. Außerdem sei der Chequers-Vorschlag "undemokratisch" und nicht das, wofür die Leute gestimmt hätten. Möchtegern-Populisten wie BJ legen besonders gern den Willen der Wähler in ihrem Sinne aus.

Ein zweites Referendum aber wäre desaströs und würde das Vertrauen in die Politik unterminieren. Offenbar sollte man "den Leuten" keinesfalls eine Chance geben, ihre Meinung zu ändern. Was also schlägt der Anwärter für 10 Downing Street stattdessen vor, außer dem Bau einer Brücke zwischen dem Königreich und Nordirland natürlich? Er will einen Kanada plus, plus, plus Vertrag mit der EU, der quasi alle Vorteile der Mitgliedschaft bietet. Es wäre ein Freihandelsabkommen mit allen möglichen weiteren Wohltaten, das die EU in der Form eher nicht anbietet. Aber es sieht auf Papier gut aus und klingt kämpferisch in einer Versammlung.

Themenbilder Gulag
Ist es in der EU tatsächlich so schlimm wie im sowjetischen Gulag?Bild: picture-alliance/akg

Der Außenminister braucht Geschichtsunterricht

Als Jeremy Hunt das Außenministerium in London übernahm, versuchte er zunächst einen seriöseren Eindruck zu machen als sein bekannt hemmungsloser Vorgänger. Boris Johnson hatte unter anderem den milden französischen Präsidenten Francois Hollande einmal mit einen Nazi-Gefängniswärter verglichen. Aber Hunt brauchte nur eine Rede auf dem Tory-Parteitag, um sich als Bruder im Geiste zu entblößen. Er versuchte die Menge wegen des Brexit aufzuputschen und verglich die EU mit einem sowjetischen Gefängnis, das seine Insassen daran hindert zu gehen. Was ein Mann nicht alles für seine Führungsambitionen tut.

Der Vorfall zeigt, dass der neue Außenminister entweder ein Problem mit der jüngeren Geschichte hat oder vom Ehrgeiz in den Wahnsinn getrieben wurde. Es wäre hilfreich, wenn Hunt in seinem Amt hin und wieder ein Geschichtsbuch öffnen würde, ätzte ein EU- Sprecher. Einige osteuropäische Vertreter waren weniger zurückhaltend. Die lettische Botschafterin Baiba Brazic etwa erklärte, sowjetische Herrschaft habe das Leben von drei Generationen in ihrem Land ruiniert. Die EU aber habe Wohlstand, Gleichheit, Wachstum und Respekt gebracht. Und der frühere britische Spitzendiplomat Lord Ricketts nannte Hunts Bemerkungen "Unsinn, eines britischen Außenministers unwürdig".

Was ist es nur in der kollektiven Seele der Tories, das sie dazu treibt ihre Verhandlungspartner in der EU noch vor dem Ende auf das äußerste zu beleidigen und zu reizen? Das Ganz scheint mehr wie ein Kapitel aus dem Handbuch "Wie man Freunde verliert und Menschen abstößt".

Österreich Informeller EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs
Die Salzburger Idylle half nicht bei der Verständigung zwischen EU und GBBild: picture-alliance/APA/picturedesk/B. Gindl

Ein Hinterhalt beim Abendessen?

Nach dem großen Krach beim Salzburg-Gipfel vor zehn Tagen erhob sich ein Geschrei in der britischen Presse. Es habe einen Hinterhalt beim Abendessen der Regierungschefs gegeben, die sich gegen May verbündeten. Sie hätten sich wie Bullies benommen, seien unbeweglich und hätten May geohrfeigt, hieß es. Und die "Sun", mit ihrer Gabe für herausragende Fiesheit, zeigte "EU-Ratten" auf ihrer Titelseite. Ratten mögen ja nicht liebenswert sein, sind aber Überlebenskünstler. Anders als Lemminge, die sich besinnungslos in den Abgrund stürzen und schon immer als dumm galten. 

Und dann gab es jede Menge Beschwörungen vom "Geist von Dünkirchen" und anderen großen historischen Stunden des Königreichs. Etwa als Churchill im 2. Weltkrieg schwor, man werde die Deutschen "auf den Stränden bekämpfen". Manche von den Brexiteers sind einfach im falschen Kriegsfilm.

Warum hört bloß nie jemand zu?

Das hätte alles nicht passieren müssen, wenn Theresa May, ihre Botschafter und Berater einmal die europäischen Zeitungen gelesen, europäischen Regierungschefs oder Brexit-Unterhändler Michel Barnier zugehört hätten. Emmanuel Macron, Kanzlerin Angela Merkel oder der niederländische Premier etwa haben nie Zweifel daran gelassen, dass sie den Binnenmarkt nicht zugunsten der Briten beschädigen würden.

Der Brüssel-Korrespondent des "Independent" führte acht offizielle Stellungnahmen zwischen Februar und dem fatalen Salzburg-Gipfel auf, wo hohe EU-Vertreter Mays Chequers-Plan für undurchführbar erklärt hatten. "Die vier Freiheiten sind unteilbar, Fortsetzung der Kuchen-Philosophie, muss weiter verhandelt werden, kein partielle Teilnahme am Binnenmarkt, Zollvorschläge illegal". Was gibt es da nicht zu verstehen?

Großbritannien Theresa May in der Downing Street in London
Theresa May: Hören und gehört werden...Bild: picture-alliance/Photoshot

Was hat das mit "Respekt" zu tun?

Nach ihrer Rückkehr aus Salzburg stellte sich Theresa May zu Hause vor die Mikrophone mit gleich zwei Union-Jack-Flaggen im Hintergrund. Die trotzige Stellungnahme verspätete sich dann etwas, weil es einen Stromausfall gab. Keine Symbolik natürlich.

Dann aber umklammerte May ihr Pult und erklärte, man könne sie nicht unter Druck setzen. Die EU solle mehr Respekt zeigen und einen Gegenvorschlag zu Chequers machen. Sie könne nicht einfach "Nein" sagen und keine andere Lösung anbieten. Kann sie schon, weil von Anfang an das Norwegen-Model oder ein Kanada-Abkommen auf dem Tisch lagen.

Und war das wirklich die britische Premierministerin, die da wie ein Teenage-Gangster in seinem Revier auf der Bühne "Respekt" verlangte? Ihre schlimmste Drohung ist dabei ein granitharter Brexit. Das nennt man den Ast absägen auf dem man sitzt. Dennoch wiederholte May ungerührt: Es gibt Chequers oder einen "wilden Brexit". Auf Twitter erschienen plötzlich Witze über die Titanic.

100 Jahre Untergang der Titanic
Ihr wurde ein "unbeweglicher Eisberg" zum Verhängnis: die TitanicBild: picture-alliance/dpa

@Nick Rhodes: "Der Kapitän der Titanic hält eine scharfe Rede und beklagt die Unbeweglichkeit des Eisbergs. Er versichert den Passagieren, dass er dennoch weiter fahren wird". 

Volle Kraft voraus, Frau Premierministerin!