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Alles auf eine Karte

Max Hofmann / NM30. Januar 2016

Großbritanniens Premier Cameron und Kommissionspräsident Juncker arbeiten an einem Kompromiss zwischen Großbritannien und der EU. Können sie den Brexit noch abwenden? Eine Analyse von Max Hofmann aus Brüssel.

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David Cameron und Jean-Claude Juncker (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa/EU/Creemers

Noch im Herbst oder Sommer will der britische Premierminister David Cameron seine Landsleute über den Verbleib in der EU abstimmen lassen. Vorher will er über eine EU-Reform verhandeln, um bei den Briten für die Europäische Union zu werben. Gemeinsam mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Cameron über mögliche Kompromisse beraten, die am 18. Februar den Staats- und Regierungschefs vorgelegt werden sollen.

Dieser Textentwurf muss in vielerlei Hinsicht wasserdicht sein: Er muss die Briten davon überzeugen, dass es sich lohnt, bei dem Referendum über den EU-Verbleib mit "Ja" zu stimmen. Außerdem muss der Text den übrigen EU-Mitgliedsstaaten das Gefühl vermitteln, dass sie nicht die Seele der Staatengemeinschaft verkaufen. Und er sollte die bereits absehbaren juristischen Angriffe der nächsten Jahre überstehen können.

Was Großbritannien bekommt

Der Kompromiss über eine mögliche EU-Reform, wie sie Großbritannien fordert, dreht sich im Wesentlichen um vier Themen-Pakete. Drei davon gelten als unproblematisch:

Juncker PK nach der Rede im Europaparlament (Foto: DW)
Jean-Claude Juncker zieht die Fäden bei den Hinterzimmer-GesprächenBild: DW/B. Riegert

- Keine Benachteiligung für Nicht-Euroländer: Cameron will sichergehen, dass Länder, die nicht den Euro als Währung benutzen, keine Nachteile gegenüber Euroländern haben. Diese Forderung ist eher theoretischer Natur, denn im Moment sehen EU-Abgeordnete eine solche Benachteiligung nicht.

- Die EU muss wettbewerbsfähiger werden: Zu diesem Ziel haben sich viele Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission bereits bekannt. Großbritannien braucht hier niemanden mehr zu überzeugen.

- Großbritannien will freier sein innerhalb einer "immer engeren Union" : Auch dieser Punkt ist eine Frage der Auslegung. Die "immer engere Union" gehört zu den Grundprinzipien der EU. Dennoch geht eigentlich niemand mehr davon aus, dass die Briten jemals eine ähnliche Integration in die EU vollziehen wie beispielsweise Deutschland und Belgien. Denn Großbritannien genießt bereits sehr viele Ausnahmeregelungen und Möglichkeiten, sich an bestimmten Prozessen nicht zu beteiligen.

Was Großbritannien vielleicht bekommt

Beim vierten Paket setzt Cameron alles auf eine Karte - zugleich ist es auch der strittigste Teil. Der britische Premier will für alle Einwanderer den Zugang zu gewissen Sozialleistungen beschränken. Dazu sollen auch Staatsbürger der Europäischen Union gehören. Ein Kernprinzip der EU besagt allerdings, dass die Gesetzgebung eines EU-Staates auf keinen Fall diskriminierend für Bürger eines anderen Staates sein darf. Nach bisherigen Informationen kommt die Kommission Cameron mit einem Vorschlag entgegen, ohne dabei das Kernprinzip zu verletzen.

Großbritannien David Cameron und Angela Merkel in London (Foto: AFP)
Angela Merkel ist bereit zu KompromissenBild: J. Tallis/AFP/Getty Images

- Die Beschränkung könnte zeitlich befristet sein: Die Regierung in London strebte bisher danach, Einwanderer nur für eine bestimmte Zeit aus den Sozialleistungen auszuklammern. Cameron fordert vier Jahre, und die könnte er auch bekommen.

- Eine Ausnahmesituation könnte die Beschränkungen rechtfertigen: Um damit auch vor Gericht zu bestehen, müsste Großbritannien "objektive Beweise" vorlegen, die nachweisen, dass die Einwanderung das Sozialsystem unverhältnismäßig belastet. Je nachdem wie "unverhältnismäßig" definiert wird, könnte das Land sogar die dafür notwendigen Daten vorweisen.

Was Großbritannien sehr wahrscheinlich nicht bekommt

Der oben beschriebene Vierjahresmechanismus ist eine Trumpfkarte, die Großbritannien nur einmal spielen kann. Falls er sie im Jahr 2017 aktivieren würde, liefe die Beschränkung bis 2021 - ähnlich einer Not- oder Einwanderungsbremse. Danach bekommen alle EU-Bürger wieder die gleichen Sozialleistungen wie die Briten. Dennoch wird die EU weiter die Kontrolle behalten wollen. Dementsprechend wird London nicht einfach eigenmächtig die Notbremse ziehen können. Nur der Europäische Rat wäre in der Lage, grünes Licht für den Mechanismus zu geben - nach Prüfung der Kommission. Für Cameron wäre dieser Kontrollverlust eine bittere Pille, aber eine verhältnismäßig kleine.

Akzeptieren die Mitgliedsstaaten den Kompromiss?

Die deutsche Kanzlerin hat mehrmals betont, dass die Freizügigkeit innerhalb der EU nicht verhandelbar ist. Der bisher diskutierte Kompromiss schränkt sie auf dem Papier nicht ein. Natürlich hofft Cameron darauf, dass ohne Sozialleistungen auch keine Migranten mehr kommen. Dennoch könnte Merkel dem zustimmen - auch vor dem Hintergrund, dass sie sich bereits häufig kompromissbereit gezeigt hat, um die Briten in der EU zu halten.

Die heftigste Kritik kommt aus Polen. Das ist nicht überraschend, schließlich leben und arbeiten rund 700.000 Polen in Großbritannien. So wie die Dinge momentan stehen, würden sie auch weiter Sozialleistungen beziehen können, denn die Notbremse würde nur für Neuankömmlinge gelten. So könnten auch die Polen überzeugt werden.

Fazit: Sollten die Staatschefs auf dem Februar-Gipfel ein ähnliches Paket auf den Weg bringen, hätte David Cameron genügend in der Hand, um bei seinen Landsleuten für die EU zu werben. Fast alle Forderungen hätte er dann durchgesetzt, wenn auch mit einigen verfahrensrechtlichen und zeitlichen Einschränkungen beim vierten Paket. Einige EU-Länder werden grummeln und sich über noch mehr britische Ausnahmen ärgern. Sie werden aber zu dem Schluss kommen, dass die EU aktuell - auch ohne einen Austritt Großbritanniens - in einem schlechten Zustand ist. Das Schlusswort haben am Ende dann sowieso die Briten. Ihr "Ja" wird über den Verbleib in der EU entscheiden.