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Brasilien und Deutschland: Fußball-Riesen auf Zwergen-Kurs

22. November 2023

Was ist nur los mit den einstigen Fußball-Giganten Brasilien und Deutschland? Beide schwächeln seit Längerem - und es gibt weitere Parallelen.

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Duell zwischen einem brasilianischen und einem deutschen Nationalspieler bei einem Testspiel 2018. Man sieht nur den Ball sowie die Spieler von der Hose abwärts.
Einst waren Deutschland und Brasilien Fußballrivalen auf höchstem Niveau, heute eint sie die KriseBild: Markus Ulmer/ Pressefoto ULMER/picture alliance

Sowohl in Deutschland als auch in Brasilien ist Fußball unumstritten der Nationalsport Nummer eins. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat mehr als 7,3 Millionen Mitglieder - in keinem anderen Land der Welt spielen so viele Menschen in Vereinen Fußball. Das Potential Brasiliens, Topfußballer hervorzubringen, gilt als nahezu unerschöpflich - kein anderer Staat "exportiert" so viele Profis in die Ligen anderer Länder: 2021 verdienten mehr als 10.000 brasilianische Fußballer ihr Geld im Ausland.

Jahrzehntelang drückten beide Nationen dem internationalen Fußball ihre Stempel auf. Auch wenn der letzte Triumph der Brasilianer bei einer Weltmeisterschaft - 2002 in Japan und Südkorea - schon 21 Jahre zurückliegt, dürfen sie sich mit fünf WM-Titeln weiterhin Rekordweltmeister nennen. Deutschland folgt - gemeinsam mit Italien - mit vier WM-Gewinnen. Doch aktuell läuft es bei den brasilianischen und den deutschen Fußballern alles andere als rund.

Verkorkstes Jahr 2023

Beide Mannschaften haben ihr Länderspieljahr mit Niederlagen in prestigeträchtigen Spielen beendet. Brasilien unterlag in Rio de Janeiro dem Erzrivalen, Weltmeister Argentinien, mit 0:1. Es war die erste Heimniederlage der "Selecao" überhaupt in einer WM-Qualifikation. Das Spiel wurde von Krawallen auf den Tribünen des Maracana-Stadions überschattet. Auch das DFB-Team verlor: 0:2 in Wien, nach einem erneut schwachen Auftritt gegen den Nachbarn Österreich. Vier Tage zuvor hatte die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann in Berlin gegen die Türkei mit 2:3 den Kürzeren gezogen.

Bundestrainer Julian Nagelsmann mit wütendem Gesicht während des Testspiels in Österreich.
Bundestrainer Julian Nagelsmann hat aktuell viel Grund, sich zu ärgernBild: Matthias Schrader/AP Photo/picture alliance

Während das DFB-Team also mit zwei Niederlagen in Folge das Jahr 2023 beendete, waren es bei den Brasilianern sogar drei: Vor der Pleite im "Superclasico" hatten sie in der WM-Qualifikation auch gegen Uruguay (0:2) und Kolumbien (1:2) verloren. Eine längere Niederlagen-Serie hat es in der Geschichte des brasilianischen Fußballs erst einmal gegeben: 2001 unterlag das Nationalteam viermal in Folge. Die Bilanz des Länderspieljahrs 2023 ist für beide Teams ähnlich ernüchternd. In mehr als der Hälfte der Partien hagelte es Niederlagen: Brasilien verlor fünf seiner neun Spiele, Deutschland sechs von elf Länderspielen.

Wendepunkt 2014

Für das DFB-Team lässt sich der Beginn der Krise relativ genau benennen. Nach dem WM-Triumph 2014 in Brasilien ging es abwärts. Bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich war das Halbfinale Endstation, bei der paneuropäischen EM 2021 das Achtelfinale. Noch schlimmer lief es bei den Weltmeisterschaften 2018 in Russland und 2022 in Katar, als die deutsche Nationalmannschaft sich blamierte und bereits jeweils in der Vorrunde scheiterte.

Jubelnde deutsche Spieler nach dem WM-Sieg 2014, Manuel Neuer hält den WM-Pokal in Händen.
Nach dem WM-Sieg 2014 in Brasilien begann der Sinkflug des DFB-TeamsBild: picture-alliance/dpa

Auch den Brasilianern scheint die Heim-WM 2014, die sie nach der historischen 1:7-Pleite im Halbfinale gegen Deutschland am Ende auf Platz vier beendeten, einen nachhaltigen Knacks versetzt zu haben - zumindest, was die Weltmeisterschaften anbetrifft. Vor den Turnieren hoch gewettet, musste die Seleceo in Russland und in Katar jeweils nach dem Viertelfinale die Koffer packen.

Schwierige Trainersuche

Was Brasilien und Deutschland außerdem eint, ist die schwierige Suche nach einem Nationaltrainer, der die erfolgsverwöhnten Fußball-Nationen wieder auf Topniveau zurückbringen soll. Alle Experten sind sich einig: An mangelndem Talent der Spieler kann es eigentlich nicht liegen. Viele Nationalspieler beider Länder stehen bei internationalen Topklubs unter Vertrag und bringen dort auch regelmäßig ihr spielerisches Potential auf den Platz. Aber eben nicht in den Nationalteams, die sich aktuell mit wackelnden Abwehrreihen und wenig torgefährlichen Stürmern präsentieren.

Jubel der brasilianischen Fußballer nach dem Gewinn der Copa America 2019.
2019 gewann Brasilien im eigenen Land die Copa America, 2021 folgte Platz zweiBild: Reuters/S, Moraes

Brasiliens Nationalcoach Tite, der das Team 2019 immerhin noch zum Triumph bei der Copa America, der Südamerika-Meisterschaft, geführt hatte, nahm Anfang 2023 seinen Hut. Weil der Verband noch keinen Nachfolger gefunden hatte, sprang U20-Nationaltrainer Ramon Menezes für drei Länderspiele ein, von denen zwei verloren wurden. Seit Juli sitzt nun mit Fernando Diniz ein zuvor erfolgreicher Vereinscoach auf der brasilianischen Trainerbank. Doch das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit von Diniz mit dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann, der im vergangenen September den glücklosen Hansi Flick abgelöst hatte.

Sowohl Diniz als auch Nagelsmann erhielten Verträge mit einer kurzen Laufzeit. Diniz wurde für ein Jahr verpflichtet. Nach Angaben des brasilianischen Verbandspräsidenten Ednaldo Rodrigues wird Mitte 2024 Carlo Ancelotti als neuer Nationaltrainer Brasiliens übernehmen. Der Italiener hat dies allerdings noch nicht bestätigt. Er steht bis dahin noch beim spanischen Renommierklub Real Madrid unter Vertrag. Nagelsmanns Engagement als deutscher Bundestrainer wurde vorerst nur bis zum Ende der Europameisterschaft 2024 im eigenen Land befristet. Sollte das DFB-Team nicht in die Erfolgsspur finden und auch bei der Heim-EM enttäuschen, muss sich der 36-Jährige anschließend wohl - wie Diniz in Brasilien - im kommenden Sommer einen neuen Job suchen.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter