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PolitikUkraine

Kontaktgruppe stockt Hilfe für Ukraine auf

11. Oktober 2023

Der ukrainische Präsident reiste persönlich zur NATO, um seine Wunschliste vorzulegen. Es geht ihm auch darum, die Aufmerksamkeit der Welt auf dem Abwehrkampf gegen Russland zu halten. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Belgien | NATO | Treffen Jens Stoltenberg und Wolodymyr Selenskyj
Ukrainischer Präsident Selenskyj (li.) zum ersten Mal im NATO-Hauptquartier in Belgien: Schulterklopfen von Generalsekretär StoltenbergBild: Virginia Mayo/AP Photo/picture alliance

Wie üblich war der Besuch des ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj aus Sicherheitsgründen in Belgien nicht angekündigt. Manche Verteidigungsministerinnen und -minister aus NATO-Staaten und anderen verbündeten Ländern waren deshalb überrascht, dass der Präsident persönlich an einer Sitzung der Ramstein-Gruppe teilnahm. In dieser Ukraine-Kontaktgruppe, benannt nach der US-Luftwaffenbasis Ramstein in Deutschland, warb Wolodymyr Selenskyj um mehr Waffen, Munition und finanzielle Hilfe für sein Land, das sich seit Februar 2022 gegen einen russischen Angriffskrieg verteidigen muss.

Ukraine Kiew | Raketenangriff | Wärmekraftwerk
Russischer Angriff auf ein Wärmekraftwerk in Kiew im Oktober 2022: Das soll sich nicht wiederholenBild: State Emergency Service of Ukraine via REUTERS

Der Ramstein-Gruppe gehören nicht nur die 31 Mitgliedsstaaten der nordatlantischen Allianz, sondern auch 23 weitere Unterstützer der Ukraine an, zum Beispiel Australien, Japan, Pakistan, Kenia und Kambodscha. Obwohl sich die Vertreter der insgesamt 54 Staaten im NATO-Hauptquartier treffen, legt die NATO Wert darauf, dass die Ukraine-Kontaktgruppe kein NATO-Gremium des Verteidigungsbündnisses Allianz ist.

Den Vorsitz hat US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Die NATO, so erklären es Diplomaten in Brüssel, möchte vermeiden, als Kriegspartei angesehen zu werden, was Russland allerdings schon lange tut. Waffenlieferungen werden deshalb auch immer von einzelnen Mitgliedsstaaten, nicht von der NATO als Organisation, vorgenommen.

Winterpakete für die Ukraine

Die Ramstein-Gruppe trifft sich seit Kriegsbeginn bereits zum 16. Mal. Bislang wurden hier moderne Kampfpanzer, schwere Artillerie, Munition, Ausbildung, Marschflugkörper und perspektivisch auch Kampfjets zugesagt. Um den kommenden Winter zu überstehen, braucht die Ukraine vor all mehr Mittel, um sich gegen russische Drohnen, Raketen und Kampfflugzeuge zu wehren. 

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"Es ist sehr wichtig, dass wir Prioritäten haben, und zwar Systeme zur Luftverteidigung", sagte Wolodymyr Selenskyj in Brüssel. Der Präsident kam selbst, um dies klarzumachen und den Druck auf die Verbündeten zu erhöhen: "Es geht hier nicht um Worte, sondern wir brauchen konkrete Dinge. Wir müssen sie an bestimmten geografischen Punkten unseres Landes stationieren, um die Energienetze, Menschenleben und die Transitwege für Getreideexporte nach Afrika, Asien und in die Welt zu schützen."

Die USA, Großbritannien, Deutschland, Rumänien und andere Staaten sagten vor dem Treffen der Ramstein-Gruppe neue Hilfen für die Ukraine zu. Die deutsche Bundesregierung schnürte ein "Winterpaket" mit Waffen und Ausrüstung, deren Wert sie mit einer Milliarde Euro angibt. Dazu gehören auch Luftabwehrsysteme und ein zusätzliches Patriot-System gegen Raketenangriffe.

Litauen Vilnius | VOR dem NATO-Gipfel | deutsches Patriot-System
Mehr Luftabwehr: Die Ukraine erhält ein weiteres Patriot-System, aber keine Marschflugkörper aus DeutschlandBild: Ints Kalnins/REUTERS

Nicht dazu gehören jedoch Marschflugkörper vom Typ Taurus, die die Ukraine mehrfach erbeten hatte. Die Ramstein-Gruppe hat bislang Hilfen im Wert von 31 Milliarden Euro zugesagt. Die USA erhöhten ihre bilaterale Militärhilfe für Kiew abermals und liegen jetzt bei 41 Milliarden Euro.

Belgien liefert Kampfflugzeuge ab 2025

Nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten kündigte der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo die Lieferung von F-16-Kampfflugzeugen der belgischen Luftstreitkräfte an. Die Ausbildung von ukrainischen Piloten und die Wartung der Maschinen seien im Paket enthalten. Geliefert werden sollen sie aber erst ab 2025; dann erhält Belgien neue moderne F-35-Kampfflugzeuge aus US-amerikanischer Produktion.

Belgien Selenskyj zu Besuch
Selenskyj (li) dankt dem belgischen Premier De Croo: Belgien liefert F-16-KampfjetsBild: Yves Herman/REUTERS

Belgien gehört zur sogenannten F-16-Koalition, einer Gruppe von Ländern, die diese Mehrzweckkampfjets in den nächsten Jahren an die ukrainische Luftwaffe übergeben will. Bisher haben die Niederlande und Dänemark konkrete Lieferungen bekanntgegeben. Darüber hinaus kündigte der belgische Premier an, dass demnächst Diamanten aus Russland nicht mehr in Belgien gehandelt werden könnten. Vermögenswerte der russischen Staatsbank, die in Belgien eingefroren sind, können nicht enteignet werden, sagte De Croo. Die Steuern, die Russland auf Erträge aus diesem Vermögen an den belgischen Staat abführen muss, sollen aber in vollem Umfang der Ukraine überwiesen werden, sagte der belgische Regierungschef. Im kommenden Jahr wären das 1,7 Milliarden Euro.

Energienetze gegen russische Angriffe schützen

Für den Winter rechnen NATO-Diplomaten nicht mit einer Fortsetzung der Offensive der ukrainischen Armee gegen die russischen Angreifer. Dafür reichten Truppen und Mittel der Ukraine nicht aus. Es gehe darum, die Stellungen zu halten und einen Vormarsch der russischen Armee zu verhindern, heißt es bei der NATO. Wichtiger als der Stellungskrieg im Osten und Süden der Ukraine sei jetzt etwas anderes, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg: "Wir beobachten, dass (der russische) Präsident Putin wieder darauf abzielt, den Winter als Waffe im Krieg zu nutzen. Das bedeutet Angriffe auf Energiesysteme und die Gas-Infrastruktur. Das müssen wir verhindern. Mit mehr und besseren Fähigkeiten in der Luftverteidigung können wir hier große Erfolge erzielen."

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Die NATO wird sich auch mit möglichen Angriffen auf ihre eigene Energie-Infrastruktur beschäftigen. Der mutmaßliche Anschlag auf eine Gaspipeline und ein Unterseekabel zwischen den NATO-Staaten Finnland und Estland in der Ostsee am vergangenen Wochenende hat in Brüssel die Alarmglocken schrillen lassen. Der Verdacht, dass Russland hinter diesem Vorfall steckt, steht im Raum. Sollte er sich bewahrheiten, werde es eine "einheitliche und entschlossene" Antwort der NATO geben, kündigte Generalsekretär Stoltenberg an.

Nahost-Konflikt könnte Ukraine schaden

Der terroristische Angriff der militant-islamistischen Hamas auf Israel spielte bei den Beratungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ebenfalls eine Rolle. Könnte der akute Konflikt im Nahen Osten Aufmerksamkeit und Ressourcen der westlichen Verbündeten binden? "Ich will ehrlich sein. Dies ist eine gefährliche Situation für die Ukraine", antwortete Selenskyj auf eine Frage der Deutschen Welle in Brüssel. "Wenn es mehr Tragödien in der Welt gibt, mit allem Respekt für die Menschen dort, gibt es doch nur ein bestimmtes Volumen von Unterstützung bei den Partnern, dass sie verteilen können."

In den USA bedroht ein Haushaltsstreit im amerikanischen Kongress die Finanzierung der Ukraine-Hilfen. Das Weiße Haus hat zwar zugesagt, dass die Hilfen weitergehen werden. Doch könnte das Engagement, besonders nach einem möglichen Regierungswechsel nach den Wahlen in den USA im November 2024 nachlassen. Er habe seine Partner hier in Brüssel gefragt, ob die Unterstützung nachlassen werde, so Wolodymyr Selenskyj. "Die Antwort ist Nein. Aber wer weiß schon, was werden wird? Wir zählen auf überparteiliche Unterstützung in den USA und wir zählen auf unsere Freunde in der Europäischen Union", sagte ein sehr nachdenklicher ukrainischer Präsident.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte wie bei vielen Gelegenheiten zuvor, dass die NATO-Staaten der Ukraine im Kampf gegen Russland helfen werden, solange das nötig sein werde. "Ihr Kampf ist unser Kampf. Ihre Sicherheit ist unsere Sicherheit. Ihre Werte sind unsere Werte", versicherte Stoltenberg dem Überraschungsgast aus Kiew, der sein Land in die NATO und die EU führen will.

Dieser Artikel wurde aktualisiert.

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union