Bildungschancen: Mangelhaft
15. Mai 2006Die am Montag (15.5.2006) vorgestellte Zusatzauswertung der PISA-Daten zeigt: Das deutsche Bildungssystem ist nahezu unfähig, Ausländerkinder zu integrieren. 17 Staaten waren an der PISA-Studie von 2003 beteiligt. Doch fast nirgendwo waren die Leistungsunterschiede zwischen einheimischen Schülern und Migrantenkindern so groß wie in Deutschland, erklärt Barbara Ischinger, Bildungsdirektorin der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Dabei seien Ausländerkinder auch hierzulande in der Schule hochmotiviert.
Wer hier lebt, hat noch mehr Rückstand
Im Durchschnitt aller 17 OECD-Staaten liegen die Leistungen der 15-jährigen Migrantenkinder um 48 Pisa-Punkte unter denen ihrer einheimischen Kameraden - ein Bildungsrückstand von etwa einem Schuljahr. In Deutschland beträgt dieser Unterschied bei Migrantenkindern der zweiten Generation fast das Doppelte: 90 PISA-Punkte.
Bemerkenswert ist: Während in den meisten Ländern die Leistungen in der zweiten Generation besser werden, nehmen sie in Deutschland noch weiter ab. Das gibt es ansonsten nur in Dänemark und dem flämischen Teil Belgiens, allerdings nicht in dem Maße wie in Deutschland.
Der Studie zufolge erreichen zum Beispiel 47 Prozent der in Deutschland geborenen Ausländerkinder nicht das Mindestniveau in Mathematik. Den Kindern drohen deshalb auf dem Arbeitsmarkt erhebliche Schwierigkeiten. Bei Migrantenkindern der ersten Generation, die noch einen Teil des Bildungssystems ihrer Heimat durchlaufen haben, zeigen nur 25 Prozent gravierende Lücken in Mathematik. Bei der Lesekompetenz verhält es sich laut Ischinger ähnlich.
An den Migranten-Massen liegt es nicht
Wie diese Misere behoben werden kann, ist umstritten. Dass es in Deutschland besonders viele Einwanderer gebe, ist laut Studie kein unmittelbarer Grund für die eklatanten Leistungsunterschiede. So verzeichnen etwa klassische Zuwanderungsländer wie Kanada, Australien oder Neuseeland deutlich bessere Bildungserfolge bei Migrantenkindern. In Kanada liegen die Leistungen der 15 Jahre alten zweiten Generation um 111 Punkte über denen in Deutschland. Das macht einen Unterschied von fast drei Schuljahren aus.
Die Studie zeigt, dass vor allem eine gezielte Sprachförderung hilft. In Ländern mit klar strukturierten Förderungsprogrammen hätten Migrantenkinder einen geringeren Leistungsrückstand, sagte die Ko-Autorin der Studie, Petra Stanat. Denn besonders extrem ist laut Studie der Leistungsabstand zwischen Migrantenkindern und gleichaltrigen Einheimischen, wenn in der Ausländerfamilie nicht Deutsch gesprochen wird.
Wunde Punkte: Hauptschulen und Sprachförderung
Der Schwerpunkt des Problems liegt nach Angaben von OECD-Bildungsdirektorin Ischingers in den deutschen Hauptschulen. Migrations- und Sozialprobleme würden derart stark in den Hauptschulen konzentriert, dass sie dort nur schwer gelöst werden könnten. Auch dass die Schüler bereits mit zehn Jahren auf verschiedene Schulformen aufgeteilt würden, sei weltweit völlig unüblich.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan räumte ein, dass in deutschen Schulen "zu spät" das Integrationsziel aufgegriffen worden sei. Sie kündigte eine "Gesamtstrategie" von Bund und Ländern an. Ende Juni 2006 sei ein Integrationsgipfel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel geplant. Zentrale Rolle müsse eine schon im Kindergarten beginnende Sprachförderung spielen.
Auch die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer forderte eine durchgängige und systematische Sprachförderung von der Kindertagesstätte über die Schule bis zur Berufsbildung. Für die Kultusministerkonferenz wies Berlins Schulsenator Klaus Böger darauf hin, dass ein ganzes Jahrzehnt "verschwendet wurde mit der unsinnigen Diskussion, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht". (reh)