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Politik

Bier + Politik = derbe Sprüche

Jefferson Chase JT
6. März 2019

Eine deutsche Tradition: Einmal im Jahr dürfen Politiker sich beleidigen, während ihre Anhänger zuhören und Bier trinken. Dieses Jahr reden vor allem Frauen. Wird das was ändern?

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Deutschland Bayern CSU
Bild: picture-alliance/dpa/A. Gebert

Deutschland ist normalerweise ein Land des Konsenses und des Kompromisses. Einigen Möchtegern-Demagogen der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" (AfD) zum Trotz sind wüste politische Beschimpfungen im Duktus eines Donald Trump hierzulande eher Ausnahmen. Höflich bleiben, das scheint das höchste Gebot der deutschen Politik zu sein. Nur einmal im Jahr ist das anders.

Kernige Sprüche aus mehreren Jahren

Alljährlich zum Ende der Karnevalssession dürfen die Politiker aller Parteien richtig austeilen, oberhalb und gelegentlich unterhalb der Gürtellinie. So auch dieses Jahr, in dem das 100. Jubiläum des sogenannten "politischen Aschermittwochs" gefeiert wird. Einige Beispiele von kernigen Sprüchen aus den letzten Jahrzehnten machen deutlich, worum es dabei geht: So sagte Horst Seehofer, bis vor kurzem Vorsitzender der CSU, über die beiden Grünen-Politiker Jürgen Trittin und Renate Künast: "Wenn die beiden in den Spiegel schauen ist es nicht Eitelkeit, sondern Tapferkeit". Oder die Grünen selbst, ihr Vorsitzender Robert Habeck, über die CSU: "Jetzt haben sie vielleicht ihr Ziel erreicht: Ein Heimat-Ministerium in Berlin. Und Horst Seehofer wird dahin abgeschoben". Und noch einmal die CSU, diesmal der heutige Verkehrsminister Andreas Scheuer über die SPD: "Der Sozi ist grundsätzlich nicht dumm. Er hat nur viel Pech beim Nachdenken."

Köln Politischer Aschermittwoch CSU Seehofer
Mal eben die Grünen schwer beleidigen: Horst Seehofer von der CSU, selbstverständlich mit BierkrugBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Und zum Schluss der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel über die damalige schwarz-gelbe Regierung: "Die benehmen sich wie eine Praktikanten-Initiative. Aber wenn man das sagt, hat man schon Angst, dass man die Praktikanten beleidigt". Aber woher stammt diese Tradition der bewussten Beleidigung im sonst politisch so vornehmen Deutschland? Um Antworten zu finden, muss man in den Süden der Republik schauen.

Bayrische Bodenständigkeit vom Viehmarkt

Der politische Aschermittwoch ist weder besonders alt noch besonders kosmopolitisch. Er wurde zum ersten Mal am 5. März 1919 vom "Bayrischen Bauernbund" auf einem Viehmarkt in der Kleinstadt Vilshofen an der Donau abgehalten. Direkt nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg gab es keinen Mangel an Kritik an der früheren politischen Führung, also dem Kaiser. Später dann, im Nationalsozialismus, war solche Kritik gänzlich unerwünscht und lebensgefährlich. Also konnte der politische Aschermittwoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg seine gegenwärtige Bedeutung und Bissigkeit erreichen.

Ewiger Pop-Star des Aschermittwochs

Das war vor allem das Verdienst eines Mannes, dem politischen Patriarchen des Nachkriegs-Bayern und langjährigem CSU-Chef, Franz Josef Strauß. Strauß war eine kontroverse, überlebensgroße Figur, ein bodenständiger Verteidiger traditioneller bajuwarischer Werte für seine Anhänger - ein kriegerischer, autokratischer Windbeutel für seine Widersacher. Unbestritten war jedoch seine rhetorische Fähigkeit, die er gerne bei Aschermittwochs-Reden auslebte. "Es stimmt nicht, dass ich jeden Tag zum Frühstück einen Sozi esse", sagte er einmal. "Ich esse nur, was ich mag". Über die Grünen-Politikerin Claudia Roth, die aus Bayern stammt, lästerte er:  "Die hat doch nicht alle Nadeln an der grünen Tanne". Strauß "prägte wie kein anderer die bissigen Reden des politischen Aschermittwochs", schrieb die Süddeutsche Zeitung 2007 - knapp zwei Jahrzehnte nach dem Tod des bayrischen Granden.

Deutschland Franz Josef Strauß letzter Auftritt beim Aschermittwoch
Für immer mit dem Aschermittwoch verbunden: Franz Josef StraußBild: picture alliance/augenklick/firo Sportphoto

Die anderen Parteien auch mit dabei

Die Aufmerksamkeit, die die CSU am Aschermittwoch auf sich lenkte, blieb den anderen Parteien in Deutschland natürlich nicht verborgen und bald fingen auch sie an, einmal im Jahr rhetorisch aus allen Rohren zu schießen. Heute veranstalten Parteien des ganzen politischen Spektrums von der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" (AfD) bis zu den Linken Aschermittwochs-Events.

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer gehört zu den Hauptrednerinnen in diesem Jahr und ist ein großer Fan: "Gäbe es den politischen Aschermittwoch nicht, man müsste ihn erfinden", sagte Beer der Deutschen Welle. "Er ist eine wunderbare Gelegenheit, mit Worten zu raufen, die eigenen Anhänger einzuschwören, den politischen Standort zu markieren - bevor das Fasten beginnt".

Verbales Fechten mit dem Florett

Niemand nimmt den politischen  Aschermittwoch allzu ernst. Das ist ein Teil seines Erfolgsgeheimnisses. Die Reden sind eher ein Ventil für angestaute Aggressionen als ein Forum für ernsthafte politische Vorschläge. Nicht alles, was zu Zeiten von Strauß für lustig gehalten wurde, geht aber noch mit der heutigen "Political Correctness" zusammen.  Die Tage, als Männer sich auf dem Podium aufbauschten und bedenkenlos loslederten, sind vorbei. Beim diesjährigen Aschermittwoch der SPD in Vilshofen waren alle Hauptrednerinnen Frauen, was die Partei mit Stolz verkündete. Ein Zeichen der Zeit, das wohl auch den Ton bei dieser eigentümlichen deutschen Tradition verändern wird. "Wir Frauen fechten mit dem Florett", sagt Beer.

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Heute dominieren die Frauen auch am Aschermittwoch: Hier die Grünen-Chefin Annalena Baerbock in MünchenBild: picture-alliance/dpa/T. Hase

"Wir Frauen haben Lust an der Auseinandersetzung. Wir Frauen mögen es, frech und direkt auszuteilen. Und wir Frauen sind ja längst Teil des politischen Aschermittwochs. Aber unabhängig davon, wie weiblich der politische Aschermittwoch ist: Zeitgemäß ist und bleibt er als Forum der klaren Aussprache."