Beziehungen zwischen Russland und EU: "Es ist kompliziert"
Verbündete waren Brüssel und Moskau nie, doch eine Zeit lang verständigte man sich. Nun spricht der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell von einem "Tiefpunkt". Die Liste an Streitpunkten ist lang - ein Überblick.
Tiefpunkt erreicht
Von einem "Tiefpunkt" sprach der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell (l.) bereits am Donnerstag nach Gesprächen mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow (r.). Parallel hatte Russland Diplomaten aus Deutschland, Polen und Schweden ausgewiesen - wegen Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen. Die EU sagt, die Diplomaten hätten sich in üblicher Weise über die Situation vor Ort informiert.
Aktueller Auslöser: Der Fall Nawalny
Für Kritik sorgte bei der EU die Verurteilung des Kremlkritikers Alexej Nawalny, weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen habe, als er sich in Berlin von einer Nowitschok-Vergiftung erholte. Die EU wirft Russland vor, das Urteil sei politisch motiviert. Zudem geht der Westen davon aus, dass russische Agenten Nawalny mit dem Kampfstoff vergiftet hatten. Doch es gibt noch weitere Vorwürfe....
Vorwurf 1: Einschränkung der Meinungsfreiheit
Russland mache es Oppositionellen aus EU-Sicht generell schwer: "Die (jüngste) Parlamentswahl von 2016 fand in einem restriktiven politischen und medialen Umfeld statt.", urteilt das EU-Parlament. Seit 2012 seien Hunderte Nichtregierungsorganisationen als "ausländische Agenten" mit Restriktionen belegt worden. Auch Künstler wie Nadeschda Tolokonnikowa von der Band Pussy Riot (Bild) sind betroffen.
Vorwurf 2: Verletzung von Menschenrechten
Moskau verletzt aus EU-Sicht systematisch die Menschenrechte: durch Straffreiheit bei minderschwerer häuslicher Gewalt, Diskriminierung der LGBTQ-Gemeinde und Repressionen gegen Krimtataren. Der Europarat hat Russlands politische und religiöse Führung dafür gerügt, dass homophobe und transgenderfeindliche sowie rassistische Hassrede bei Politikern und Geistlichen unbestraft bleibt.
Vorwurf 3: Mangel an Rechtsstaatlichkeit
Im Westen herrscht der Eindruck, die Justiz folge vor allem politischen Interessen. Zudem verdächtigt man den Kreml, Morde an unliebsamen Personen wie dem Doppelspion Sergej Skripal, dem Journalisten Arkadij Babtschenko und Kritikern wie Alexander Litwinenko und Boris Nemzow (Bild) zu beauftragen. Insgesamt heißt es aus dem EU-Parlament: "Die EU ist über die Lage der Rechtsstaatlichkeit besorgt."
Russland verbittet sich Einmischung
Aus Kreml-Sicht handelt es sich bei all dieser Kritik um eine Einmischung in Russlands innere Angelegenheiten, die weder die EU, noch deren Mitgliedstaaten etwas angingen. Klar ist: Mit der Regierung in Peking führt Moskau solche Diskussionen nicht. Solange Russland die Grenzen und andere außenpolitische Interessen respektiert, kommt Russland mit seinem Nachbarn China klar.
Kampf um Einfluss in Osteuropa
Russland betrachtet alle ehemaligen Sowjetrepubliken als direkte Einflusssphäre und die EU-Ost-Erweiterung der EU sowie das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine als Angriff auf seine Souveränität. Als beim Euromaidan im Winter 2013/2014 weite Teile der ukrainischen Gesellschaft für das Abkommen demonstrierten und die prorussische Regierung von Wiktor Janukowitsch stürzten, intervenierte Moskau.
Der Sündenfall: Annexion der Krim 2014
Im Februar 2014 begann Russland die Krim zu annektieren. Nach dem Völkerrecht gehört die Halbinsel am Schwarzen Meer zur Ukraine. Aber große Teile der Bevölkerung sind Russen und wollen lieber aus Moskau denn aus Kiew regiert werden. Strategisch ist die Krim mit dem Marine-Hafen Sewastopol von essenzieller strategischer Bedeutung für Russland. Die EU steht eindeutig auf der Seite der Ukraine.
Zankapfel Ukraine
Gegen Ende des Euromaidans begannen prorussische Kräfte - nach Auffassung der EU mithilfe von Waffen und inoffiziellen Söldnern aus Russland - den bewaffneten Konflikt um die ostukrainischen Oblaste Luhansk und Donezk. Vermittlungsversuche und Wirtschaftssanktionen seitens der EU blieben weitgehend wirkungslos. Der Abschuss des Flugs MH17 brachte zusätzlichen Zwist mit der Europäischen Union.
Sicherheitsanker: Das militärische Patt
Vor allem die baltischen Staaten und Polen nehmen den Nachbarn Russland als militärische Bedrohung wahr. Das russisch-belarussische Großmanöver Sapad im Jahr 2017 nahe der Grenze zu Polen beförderte diesen Eindruck. Umgekehrt fühlt sich Russland von NATO-Basen in Ost-Europa bedroht. Unterm Strich gehen Experten von einem Patt aus, der einen militärischen Konflikt unwahrscheinlich macht.
Nordstream II: Wirtschaftliche Interessen
Schon jetzt sind die Wirtschaftsbeziehungen durch Sanktionen belastet. Ein Streitpunkt auch innerhalb der EU: Für manche gehören sie zu den wenigen verbliebenen gemeinsamen Interessen. Andere plädieren für noch rigorose Sanktionen, um Moskau politische Zugeständnisse abzuringen. Die fast fertige Gas-Pipeline Nord Stream II von Russland nach Deutschland ist zum Symbol für diesen Zwist geworden.