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Bewegung in Pjöngjang

Ronald Meinardus, Manila17. September 2002

Der erste Besuch eines japanischen Regierungschefs in Nordkorea brachte erstaunlich konkrete Ergebnisse. Ein DW-Kommentar von Ronald Meinardus.

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Kurz vor Reiseantritt hatte Japans Ministerpräsident Junichiro Koizumi die Erwartungen an seine historische Nordkorea-Visite noch einmal auf den Punkt gebracht: Solange es keinen Fortschritt in der Frage der Entführten gebe, könne Japan keine Gespräche zur Normalisierung der Beziehungen aufnehmen. Bei den Gastgebern ist die Botschaft angekommen: Das offizielle Eingeständnis Pjöngjangs, in den 1970er und 80er Jahren japanische Staatsbürger entführt zu haben, und dass von den namentlich bekannten elf Opfern nur mehr vier am Leben seien, kommt einer Sensation gleich. Ebenso außergewöhnlich wie die offizielle Entschuldigung, die Nordkoreas Führer Kim Jong Il dafür am Dienstag (17. September 2002) seinem Gast aus Tokio aussprach.

Verhältnis alles andere als harmonisch

Es bleibt abzuwarten, wie Japan - vor allem die in dieser Frage hoch emotionalisierte japanische Öffentlichkeit - darauf reagieren wird. Wird sie die Entschuldigung und die Ankündigung einer offiziellen Untersuchung der Vorgänge akzeptieren? Oder wird das Thema der Verschollenen weiterhin die Beziehungen belasten? Vor allem davon wird abhängen, ob Koizumis Besuch zu einer dauerhaften Neubelebung der zwischenstaatlichen Beziehungen führen wird oder nicht.

Historisch betrachtet ist dieses Verhältnis alles andere als harmonisch. Koizumis Besuch war der erste eines japanischen Regierungschefs im Norden der geteilten koreanischen Halbinsel - und damit das wichtigste Ereignis in den politischen Beziehungen der beiden Staaten. Wie ein dunkler Schatten lastet die koloniale Besatzung Tokios auf den koreanisch-japanischen Beziehungen. Während die Japaner Mitte der 1960er Jahre, nicht zuletzt auf Druck der gemeinsamen Schutzmacht USA, zumindest formal normale Beziehungen zu Südkorea herstellen konnten, steht eine Normalisierung des Verhältnisses zum Norden noch aus. Sie zu erreichen, bleibt das Ziel der japanischen Diplomatie. Koizumi hat in dieser Frage nun eine wichtige politische Vorleistung erbracht: In Pjöngjang hat er sich förmlich für die koloniale Besatzung Nordkoreas entschuldigt.

Reise nur ein Ablenkungsmanöver?

Auch aus einem weiteren Grund hat Koizumis Besuch in Pjöngjang weltpolitischen Rang: Bislang haben sich die Japaner, immerhin die zweitreichste Nation der Welt und wirtschaftliche Führungsmacht in Ostasien, mit politischen Initiativen in ihrem geografischen Umfeld zurückgehalten. Die Führungsrolle in den ungezählten koreanischen Vermittlungsbemühungen spielten stets andere: Amerikaner, Chinesen, Südkoreaner, ja selbst die Europäische Union. Koizumi hat nun den großen Schritt ins diplomatische Rampenlicht gewagt.

Kritiker halten dem japanischen Politiker vor, die Nordkorea-Reise sei vor allem durch innenpolitische Überlegungen geleitet und solle von Misserfolgen zu Hause ablenken. Dies mindert seinen Verdienst nicht, ist aber insoweit richtig, als die Popularitätswerte des innenpolitisch eher glücklos agierenden Koizumi nach Ankündigung der beispiellosen Nordkorea-Visite in die Höhe geschnellt sind.

Geschickt reagiert

Auch für die nordkoreanische Führung bietet die Belebung der bilateralen Beziehungen Chancen. Dem bettelarmen Land öffnet sich womöglich die goldene Gelegenheit, in den Genuss japanischer Finanztransfers zu kommen. Von den schlimmsten Folgen der katastrophalen Hungersnot gerade erholt, experimentiert Nordkorea derzeit mit der Einführung marktwirtschaftlicher Verfahren. Um die ruinöse Volkswirtschaft auf die Beine zu bringen, könnten die von Experten auf 10 Milliarden Dollar geschätzten japanischen Wiedergutmachungsleistungen von enormem Nutzen sein.

Pjöngjang ist aber nicht allein an der japanischen Finanzkraft interessiert. Für den Taktiker Kim Jong Il hat die Öffnung gegenüber Japan auch politische Bedeutung. Ihm geht es um eine diplomatische Isolation der USA. In Pjöngjang hat man längst nicht vergessen, dass US-Präsident George W. Bush Anfang des Jahres Nordkorea in einem Atemzug mit dem Irak und Iran in die "Achse des Bösen" eingereiht hatte. Geschickt hat das bedrängte kommunistische Regime mit diplomatischen Initiativen auf die amerikanische Polemik reagiert.

Die ganze Welt ist betroffen

Am größten ist der Zuspruch für Koizumis Nordkorea-Reise in Südkorea. Präsident Kim Dae Jung wird nicht müde, die Regierungen der Welt aufzufordern, das Gespräch mit den Kommunisten in Pjöngjang zu suchen. Dabei betont er immer wieder, dass Südkorea aus der deutschen Geschichte gelernt habe. Soll heißen: Das beste Mittel, historisch gewachsene Fronten zu überwinden, sei der Dialog. Diese Überzeugung veranlasste Kim im Sommer 2000, als erster südkoreanischer Präsident den Norden zu besuchen und bescherte ihm den Friedensnobelpreis. Eine derart hohe Auszeichnung wird Koizumi jetzt nicht erwarten dürfen. Doch die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft sollte ihm sicher sein. Denn Kim Jong Ils Zusage, Nordkoreas Raketentest-Moratorium über 2003 hinaus zu verlängern, betrifft nicht nur Ostasien, sondern die ganze Welt.