Bewegung in der deutschen Migrationsdebatte
24. September 2023"Das sind sehr viele, die nach Europa und nach Deutschland kommen, und die Zahl hat dramatisch zugenommen", erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Blick auf Flüchtlinge und andere Migranten. Er räumte ein, die derzeitige Lage sei "schwierig". Das auszusprechen sei für jede Demokratin und jeden Demokraten in einer Gesellschaft, die über Probleme frei diskutiere, unverzichtbar und richtig, sagte Scholz.
"Deutschland bekennt sich zum Asylrecht", betonte der sozialdemokratische Kanzler. Wer komme und sich nicht auf Schutzgründe berufen könne oder Straftaten begangen habe, müsse aber zurückgeführt werden. Hierfür sei vieles vorangebracht worden. So sei mit den Bundesländern vereinbart worden, dass ihre zuständigen Behörden 24 Stunden erreichbar seien. Das hätten noch nicht alle umgesetzt, seien aber auf dem Weg. "Das wird helfen."
Aufklärung forderte Scholz über mögliche Unregelmäßigkeiten bei Visavergaben im Nachbarland Polen. "Ich möchte nicht, dass aus Polen einfach durchgewinkt wird und wir dann hinterher die Diskussion führen über unsere Asylpolitik." Es müsse so sein, "dass wer in Polen ankommt, dort registriert wird und dort ein Asylverfahren macht" - anstatt dass Visa, die für Geld verteilt würden, das Problem vergrößerten.
Führt Deutschland wieder Grenzkontrollen ein?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hält neuerdings auch stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien für möglich. "Aus meiner Sicht ist das eine Möglichkeit, Schleuserkriminalität härter zu bekämpfen", sagte Faeser der Zeitung "Welt am Sonntag". Ein Sprecher ihres Ministeriums teilte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) unter Bezug auf das Interview mit: "Entsprechende zusätzliche grenzpolizeiliche Maßnahmen werden aktuell geprüft."
"Man sollte aber nicht suggerieren, dass keine Asylbewerber mehr kommen, sobald es stationäre Grenzkontrollen gibt", ergänzte Faeser. Wenn eine Person an der Grenze um Asyl bitte, müsse der Asylantrag in Deutschland geprüft werden. Entscheidend bleibe also der Schutz der EU-Außengrenzen.
"Realitätsferne Positionen"
Innerhalb der Ampel-Koalition erhöhte die liberale FDP den Druck auf die Grünen. "Ob bei Reformen auf europäischer Ebene oder bei der Einstufung der sicheren Herkunftsländer: Die Grünen sind in der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko für das Land und erschweren durch realitätsferne Positionen konsequentes Regierungshandeln und parteiübergreifende Lösungen", meinte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Hier müsse dringend ein Umdenken der Grünen stattfinden.
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erläuterte bei einem Grünen-Parteitag in Schleswig-Holstein: "Was wir machen müssen, sind konkrete Maßnahmen, die den Menschen helfen, den Kommunen helfen." Er sprach sich zudem für Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern aus.
"Müssen das Problem lösen"
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) forderte den Kanzler erneut auf, gemeinsam mit den Unionsparteien eine Lösung zu suchen. "Ich biete Ihnen an: Lassen Sie uns das zusammen machen, und wenn Sie das mit den Grünen nicht hinbekommen, dann werfen Sie sie raus, dann machen wir es mit Ihnen - aber wir müssen dieses Problem lösen", sagte Merz bei einem Parteitag der Schwesterpartei CSU in München. Es gebe hier "Sprengstoff für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft", warnte der CDU-Chef. Wenn das Problem nicht gelöst werde, sei Scholz allein für unter Umständen nicht mehr aufzuhaltenden Folgen verantwortlich - einschließlich einer weiteren Radikalisierung des Parteienspektrums.
Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, verwies im TV-Sender phoenix darauf: "Es gibt mit uns im Bundestag eine Mehrheit, diese Entscheidungen zum Stopp der illegalen Migration zu beschließen." CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte schon zuvor in der Süddeutschen Zeitung auf "so einen Konsens wie 1993" verwiesen. Damals war auf Grundlage eines Kompromisses von Union und FDP mit der oppositionellen SPD das Asylgrundrecht eingeschränkt worden.
Zahl der Asylanträge in Deutschland stark gestiegen
Von Januar bis Ende August 2023 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bereits mehr als 204.000 Erstanträge auf Asyl registriert - ein Plus von 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Hinzu kommt, dass wegen des Kriegs in der Ukraine schon mehr als eine Million Menschen von dort Schutz in Deutschland suchten. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte kürzlich davon gesprochen, dass die Belastungsgrenze bei der Migration erreicht sei.
wa/cw (dpa, rtr)