1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Kunst

Beutekunst-Verfechterin Antonowa ist tot

1. Dezember 2020

Gegen die Rückgabe der russischen Beutekunst hat sie sich resolut gewehrt. Die Kunstexpertin sah das als Wiedergutmachung. Mit 98 ist Irina Antonowa jetzt gestorben.

https://p.dw.com/p/3m5Us
Irina Antonova
Bild: Mikhail Tereshchenko/TASS/dpa/picture alliance

Oft trat sie wie ein militärischer Feldwebel auf: in strengem Kostüm, mit dem befehlsgewohnten Tonfall einer Präsidentin. Viele Jahre hatte Irina Antonowa das berühmte Puschkin-Museum in Moskau geleitet, wo sie die Zügel fest in der Hand behielt.

Erst im Alter von 91 Jahren trat sie 2013 als Museumsdirektorin zurück und übergab ihr Lebenswerk an ihre Nachfolgerin, die Kunstwissenschaftlerin Loschak. Jetzt ist Antonowa in Folge einer Corona-Infektion gestorben, wie die russische Staatsagentur Tass vermeldete.

In Deutschland kannte man sie als resolute Hüterin der russischen "Beutekunst", also Kunstwerke, die Soldaten der Roten Armee im und nach dem Zweiten Weltkrieg aus Nazi-Deutschland nach Moskau gebracht hatten. Irina Antonowa stand auf dem Standpunkt, diese "Beute" sei als Entschädigung für die ungeheuren Kriegsverluste der russischen Nation zu betrachten.

Harte Verhandlungspartnerin

52 Jahre leitete sie das Puschkin-Museum in Moskau, und auch nach ihrem Rücktritt war sie bei allen offiziellen Anlässen weiterhin präsent - als anerkannte Spezialistin für Fragen zur Beutekunst. Antonowa hatte ihre Museums-Arbeit schon zu Zeiten von Sowjetdiktator Josef Stalin begonnen. Am 20. März 1922 in Moskau geboren, lebte sie in ihrer Kindheit einige Jahre in Deutschland. So sprach sie auch fließend Deutsch.

Moskau Puschkin-Museum Schatz des Priamos
1995 präsentierte das Puschkin-.Museum erstmals Teile des Schatz des Priamos, den Schliemann entdeckt hatte.Bild: picture-alliance/dpa

Zu ihrem Vermächtnis zählt auch ein russisches Gesetz, das die im Krieg "verlagerten Kulturgüter" als Wiedergutmachung festschreibt. Zu den umstrittenen Kostbarkeiten und Kunstschätzen, um die jahrelang zwischen Deutschland und Russland gerungen und verhandelt wurde, gehören etwa der Eberswalder Goldschatz und die wertvollen Troja-Funde des deutschen Archäologen und Grabungsexperten Heinrich Schliemann.

Ihren Standpunkt dazu vertrat die linientreue Kommunistin bis ins hohe Alter: "Eine Rückgabe wäre der Beginn einer Revolution in den Kunstsammlungen der ganzen Welt." 

Ihr Wort hatte Gewicht

Sie verwies immer darauf, dass weltweit die Museen und große Kunstsammlungen voll seien mit Raubkunst und Beute aus Eroberungsfeldzügen und Kriegen. Bald machte sie sich mit ihrem vehementen Einsatz für die russische Beutekunst in der Kunstwelt einen Namen. Ihr Wort hatte international in diesen kulturpolitischen Fragen Gewicht. Und sie war eine Kämpferin.

Antonowa setzte sich aber auch für die Öffnung der Sowjetunion für westliche Kunst ein. Zu Sowjetzeiten organisierte sie in Russland die erste Kunstschau mit Arbeiten des Surrealisten Salvador Dalí und holte die "Mona Lisa " von Leonardo da Vinci nach Moskau.

Nach Ende des Kalten Krieges und der Öffnung des Eisernen Vorhangs machte die Kunstexpertin den Zugang zu den Geheimdepots der russischen Beutekunst möglich. Das geschah allerdings erst, nachdem die Führung in Moskau - noch zu DDR-Zeiten - bereits große Mengen an geraubten Kunstwerken an die Gemäldegalerie in Dresden zurückgegeben hatte.

Noch zu ihrem 90. Geburtstag ließ sie verlauten, dass kein Ende ihrer Museumsarbeit abzusehen sei.

Irina Antonova steht mit DW-Reporterin in der Museumshalle in Moskau.
Irina Antonowa 2016 im Gespräch mit DW-Reporterin Anastassia Boutsko Bild: DW

Wenige Tage vor ihrem Tod sei eine akute Corona-Infektion bei ihr nachgewiesen worden, die andere Krankheiten bei ihr noch verschärft hätten, teilte das Puschkin-Museum der russischen Nachrichtenagentur Interfax mit. Im hohen Alter von 98 Jahren ist Irina Antonowa, die strikte "Hüterin der Beutekunst", wie sie genannt wurde, in Moskau gestorben.

hm/rb (dpa/munzinger.de)