Berlins geraubte Mitte
Berlins Mitte gleich heute vielfach einer Baustelle. Dass hier einmal ein Großteil jüdisches Grundeigentum war, weiß heute kaum noch einer.
Hauptstadt ohne historischen Stadtkern
Berlins Mitte gleicht heute oftmals einer Baustelle. Rund um den Fernsehturm und das Rote Rathaus, das den Kern des alten Zentrums bildete, reiht sich ein Gerüst an das nächste. Dass hier einmal ein Großteil jüdisches Grundeigentum war, weiß heute kaum noch einer. Es wird Profit gemacht, ohne diejenigen, denen Grund und Boden einst gehörte - so die provokante These einer Berliner Ausstellung.
Ein Fünftel von Berlins Mitte
Von insgesamt etwa 1200 Häusern im Berliner Stadtkern gehörten vor 1933 mindestens 225 jüdischen Deutschen. Seit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurden Juden systematisch aus der "Volksgemeinschaft" ausgeschlossen. Zu den diskriminierenden Gesetzen, die in der Folge verabschiedet wurden, gehörte auch der Zwang zur Registrierung - und die spätere Beschlagnahmung jüdischen Grundeigentums.
Ausgebürgert und beraubt
Eine der Maßnahmen, um an jüdischen Besitz zu gelangen, war, die zur Emigration gezwungenen Menschen als Staatsfeinde auszubürgern und so ihr gesamtes Vermögen zu konfiszieren. Wer bis November 1938 Deutschland noch nicht verlassen hatte, musste in der so genannten "Reichspogromnacht" die Zerstörung hunderter jüdischer Geschäfte und Häuser erleben.
Geraubte Mitte
Nach 1938 wurde offen von der "Entjudung des Berliner Grundbesitzes" gesprochen. Im Gegensatz zu vielen anderen Städten fiel das jüdische Grundeigentum von Berlins Stadtkern aber nicht in private Hände. Hier machte sich der Staat selbst zum direkten Profiteur. Dies zeigt die Ausstellung "Geraubte Mitte" im Berliner Ephraim Palais. Auch der Ort der Ausstellung wurde einst "arisiert".
Der Traum von Germania
Der Grund für die Verstaatlichung der Gebäude: Hitlers Lieblingsarchitekt Albert Speer sollte eine neue "Reichshauptstadt" erschaffen - Germania. Der historische Stadtkern sollte durch monumentale Verwaltungsgebäude ersetzt werden. Der zentrale Punkt von Germania: die "Große Halle" (im Bild: ein Modell, das die größenwahnsinnige Dimension im Vergleich zum Brandenburger Tor zeigt).
Ost-West-Achse
Zu diesem Zweck ernannte Hitler den Architekten Speer zum Generalbauinspektor Berlins (GBI). Sämtliche jüdische Häuser der Hauptstadt wurden registriert und dem GBI zur Prüfung vorgelegt, ob der Staat sein Vorkaufsrecht wahrnehmen solle. Wenn die Häuser im Bereich der geplanten Ost-West-Achse lagen, die mitten durch das Stadtzentrum führen sollte, wurden sie schlicht gesprengt.
Kaufhaus Wertheim
Doch auch private "Arisierung" gab es im Stadtkern. Ein prominenter Fall: "Wertheim". Das Berliner Kaufhaus wurde um die Jahrhundertwende in einem Atemzug mit Londons "Harrod´s" und dem "Lafayette" in Paris genannt. Das Bild zeigt das jüdische Kaufhaus 1936 während in Berlin die Olympiade stattfindet. Davor: ein Meer von Hakenkreuzfahnen. Zum 1. Januar 1937 wurde die Firma als "deutsch" erklärt.
"Entartete Kunst" in der Königstraße
Ein weiterer heute bekannter Fall: 2010 wurden bei Grabungen in der Nähe des Roten Rathauses elf Skulpturen geborgen, die von den Nationalsozialisten als "entartete Kunst" diffamiert, 1937 aus deutschen Museums- und Privatsammlungen beschlagnahmt worden waren, und als vermisst oder zerstört galten. An dem Fundort stand einst das Haus einer jüdischen Familie, die enteignet worden war.
Von der Königstraße zur Rathausstraße
Nicht nur der Name hat sich verändert, auch ansonsten ist die einstige Königstraße in der Nähe des Roten Rathauses nicht mehr wiederzuerkennen. Eine riesige Baulücke klafft an der Stelle, an der einst die Hausnummer 50 stand (auf dem Foto in Rot markiert). Und hier beginnt das Problem, das Berlin heute noch mit den einst arisierten Häusern hat.
Eine Stadt in Ruinen
Wo einst jüdische Häuser standen, klafften lange Zeit Baulücken. Entweder hatten die Pläne zu "Germania" bereits dazu geführt, dass sie gesprengt wurden, sie waren dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen oder die DDR - auf deren Staatsgebiet das alte Berliner Stadtzentrum seit 1949 lag - hatte die Ruinen beseitigt.
Restituiert wurde kaum
Die DDR zahlte keine Restitutionen. Das Argument: In der Deutschen Demokratischen Republik sollte es ohnehin kein privates Eigentum geben. Was also schon in Staatsbesitz war, umso besser. Und als die Erben der einst um ihren Besitz gebrachten Eigentümer nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 erneut auf Kompensationszahlungen hofften, wurden diese - wenn überhaupt - minimal beziffert.
Damals: nichts wert
Die zuständigen Sachbearbeiter gingen 1990 von einem Schätzwert aus, dem sie dem Grund und Boden zum aktuellen Zeitpunkt zumaßen. Davon bekamen die Erben der jüdischen Familien dann häufig nur 10 Prozent als Restitution ausgezahlt. War dort nur eine Wiese inmitten einer Straßenkreuzung zu sehen, wurde der Wert entsprechend niedrig geschätzt. Im Bild: Das einst berühmte Möbelhaus Gerson um 1890.
Heute: Eine Goldgrube
Inzwischen entstehen auf diesen einstigen Wiesen und Baulücken in Berlins Mitte aber immer mehr Neubauten - in heute bester Lage. Die Ausstellungsmacher von "Geraubte Mitte" stellen die Frage, ob mit den Erben nun nicht neu verhandelt werden sollte, oder das Geld aus Neuverkäufen von Grund und Boden zumindest in eine Stiftung fließen sollte.