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Gewalt und Globalisierung

Sabine Oelze22. Januar 2013

Wodurch entsteht Gewalt in der Stadt? Das versucht ein deutsch-französisches Forscherteam in Berlin und Paris herauszufinden. Ihr Projekt nennt sich "Urbane Gewalträume" und untersucht, wie Übergriffe entstehen.

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Der Künstler El Bocho demonstriert am 31.10.2012 in Berlin im Bezirk Mitte, wie er ein Piktogramm an einem Pfahl im öffentlichen Raum anbringt. Auf dem Bild wird eine Person niedergeschlagen, während jemand die Szene mit dem Handy filmt. Der Berliner Streetart-Künstler El Bocho hat am Mittwoch im Bezirk Mitte eine Kunst-Aktion zur Gewalt in der Großstadt gestartet. Er will mehr als 250 Bilder von grafisch dargestellten Gewaltszenen in der Stadt aufhängen und außerdem über 1000 Aufkleber mit den gleichen Motiven in U- und S-Bahnen verkleben. Foto: Wolfram Steinberg /dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
SYMBOLBILD Gewalt in Berlin unter JugendlichenBild: picture-alliance/dpa

Der Potsdamer Platz in Berlin-Mitte zeigt sich an diesem Wintermorgen nicht gerade von seiner besten Seite. Durch die Straßen zwischen den Hochhäusern fegt ein Wind, der nicht nur eisig kalt ist, sondern auch einen Geruch von altem Fett verbreitet. Teresa Koloma Beck hat als Treffpunkt den seitlichen U-Bahn-Ausgang am Potsdamer Platz vorgeschlagen. Seit dem 1. November 2012 arbeitet sie als Konfliktforscherin für das Forschungsprojekt "Urbane Gewalträume", das das Centre Marc Bloch in Berlin und das Centre interdisciplinaire d'études et de recherches en Allemagne (CIERA) in Paris gemeinsam mit weiteren wissenschaftlichen Instituten in Deutschland und Frankreich durchführen.

Fünf Jahre lang sollen Teresa Koloma Beck und ihre französische Kollegin Ariane Jossin im Rahmen des Forschungsprojekts "Saisir l'Europe - Europa als Herausforderung" herausfinden, warum Menschen, die in der Großstadt wohnen, gewalttätig werden. Es geht dabei um soziale, ethnische, aber auch um religiös motivierte Konflikte. "Der Treffpunkt Potsdamer Platz mag überraschen", sagt Koloma Beck. "Doch hat an diesem touristischen Hotspot ein Ereignis stattgefunden, das für meine Untersuchungen von Interesse ist."

Potsdamer Platz mit Weihnachtsbuden
Der Potsdamer Platz - mehr als ein touristischer HotspotBild: DW/S. Oelze

Stadt als Kristallisationspunkt globaler Konflikte

Es geschah im Mai 2012. An einem Infostand auf dem Potsdamer Platz verteilten Muslime kostenlos Koran-Exemplare an Passanten. Ihnen standen rund 20 Protestler gegenüber, darunter einige mit Plakaten der nationalistischen Partei Pro Deutschland. Einige Plakate zeigten Mohammed-Karrikaturen. Der Stand war einer von vielen, die die bundesweite Kampagne "LIES!" eingerichtet und betreut hat. Die Kampagne geht auf eine Initiative aus dem deutschen salafistischen Milieu zurück. Es beteiligten sich daran aber auch viele Muslime, die keine extremistischen Ansichten vertreten.  Vielerorts kam es an den Infoständen zu heftigen Diskussionen, die vereinzelt auch zu Handgreiflichkeiten führten. So auch im Mai 2012 auf dem Potsdamer Platz.

Koloma Becks Anliegen ist es, die internationale Perspektive solcher Ereignisse zu betrachten. Kurz: Was im Großen stattfindet, findet sich oft auch im Kleinen. Im Rahmen der Globalisierung sei deutlich geworden, dass viele Konflikte, die in Städten beobachtet werden, auch globale Ursachen haben und sich in ihrer Erscheinungsform ähneln. So ist das gewaltbereite Milieu unter den Salafisten möglicherweise sogar erst im Rahmen des Globalisierungsprozesses entstanden: durch die Verschärfung des Konflikts zwischen dem Islam und dem sogenannten Westen. Wer die Logik solcher Erscheinungsformen der Gewalt in der Stadt verstehen will, könne dies nur, wenn er auch auf die großen Konfliktschauplätze blickt, sagt Koloma Beck. Als Schlüsselereignis nennt sie den 11. September 2001 und den anschließenden "War on Terror". "Globalisierung ist etwas, das betrifft zwar die ganze Welt, aber es findet doch an konkreten Orten statt", so Beck. Dort können dann auch kleinere gewaltsame Zwischenfälle gesellschaftlich sehr bedeutsam werden. So wurden die Handgreiflichkeiten zwischen Muslimen und Protestierenden am Berliner Infostand und das darauf folgende Eingreifen der Polizei heftig diskutiert. Einige fühlten sich durch die Vorfälle in ihrer Ansicht bestätigt, der Islam als Religion erzeuge Gewalt und sei deshalb mit westlichen demokratischen Prinzipien unvereinbar. Andere sahen genau in dieser Argumentation - wie auch im Vorgehen der Polizei - ein Indiz für die mangelnde Bereitschaft der Mehrheitsgesellschaft, Muslimen einen Platz einzuräumen, auf den sie als Stadtbewohner und Bürger Anspruch hätten.

Salafisten beten auf dem Potsdamer Platz Bild: dpa - Bildfunk
Salafisten verteilten auf dem Potsdamer Platz Koran-ExemplareBild: picture-alliance/dpa

Koloma Beck steht mir ihren Forschungen noch ganz am Anfang. Sie will in den nächsten Jahren in verschiedenen europäischen Städten mit den beteiligten Menschen, Parteien oder Gruppen das Gespräch suchen, um möglichst viele Perspektiven kennenzulernen. Ihre Hoffnung ist es, zu verstehen, wann und warum jemand als erster einen Stein in die Hand nimmt - obwohl er das von sich selbst vielleicht gar nicht erwartet hätte. Sie interessiert sich für die Revolten in Athen und Madrid gegen die Finanzkrise, für die weltweiten gewaltsamen Reaktionen nach der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen genauso wie für die Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Rechtsradikalen - und betrachtet jeden dieser Konflikte losgelöst voneinander.

Kontaktaufnahme

Dem Forscherteam geht es um Grundsätzliches: Die Welt befindet sich im Umbruch. Was zeichnet die neuen Gesellschaften aus? Wen lassen sie zurück? Die ungleiche Reichtumsverteilung, Arbeitslosigkeit, Ausländerhass sind Beispiele für direkte Folgen neoliberaler Reformen wie etwa der Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer. Diese Entwicklungen machen ein genaueres Hinschauen erforderlich.

Demonstration in Athen
Ausnahmezustand in Griechenland: Die Sparproteste dauern anBild: picture alliance/dpa

Tumulte in der Öffentlichkeit, die aufgrund dieser Entwicklungen entstehen, will Koloma Beck möglichst genau rekonstruieren. "Wenn zum Beispiel bei so einem Ereignis, wo sich eine Gruppe von Muslimen, eine nationalistische deutsche Partei und die Polizei gegenüberstehen, ein Moslem einen Polizisten mit dem Messer angreift, wie es in Bonn geschehen ist, dann reicht es nicht aus, nur mit dem Angreifer zu sprechen. Es ist wichtig, mit allen Akteuren ins Gespräch zu kommen, um zu begreifen, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat." Keine Arbeit, die sich am Schreibtisch erledigen lässt. Koloma Beck sucht den Kontakt zu den Beteiligten, sie will sie treffen - und mit ihnen sprechen. So hat sie es auch schon in Angola und Mosambik gehalten, wo sie Interviews mit Gewaltopfern und -tätern der Jahrzehnte währenden Bürgerkriege geführt hat.

Neue Forschungswege

Der Blick nach allen Seiten ist die Besonderheit ihres Forschungsvorhabens. Deshalb stehen für Koloma Beck Konfliktlinien mit religiösem Hintergrund gleichrangig neben Konfliktlinien zu den Folgen der weltweiten sozio-ökonomischen Entwicklungen. "Ob bei den Sparprotesten in Athen oder den Ausschreitungen bei G8-Treffen - an verschiedenen Orten werden dieselben Fragen verhandelt. Das sind globale Phänomene." Diese systematisch zu hinterfragen und verdeckte Beziehungen zu finden, ist das Ziel der Forscher.

"Urbane Gewalträume" ist neben "Nachhaltigkeit" und "Herausforderung Sozialstaat" eines von drei Forschungsvorhaben, die im Rahmen von "Saisir l'Europe - Herausforderung Europa" den deutsch-französischen Austausch fördern sollen. Seit zwanzig Jahren kümmert sich das Centre Marc Bloch darum, interdisziplinär angelegte Forschungen mit dem Schwerpunkt vergleichende Geschichte, Politik und Recht durchzuführen. Kann man die Verhältnisse in Deutschland und Frankreich überhaupt vergleichen? "In Frankreich ist man mit den Folgen der Zuwanderung sehr viel länger beschäftigt. In den geschlossenen Milieus in den Vorstädten ist die Diskriminierung, die ungleiche Verteilung von Lebenschancen schon länger sichtbar als in Deutschland," sagt Gabriele Metzler, Professorin an der Humboldt-Universität und Projekt-Sprecherin.

Gabriele Metzler, Sprecherin des Projekts "Europa als Herausforderung"
Gabriele Metzler, Sprecherin des Projekts "Saisir l'Europe"Bild: DW/S. Oelze

Vergleich Frankreich - Deutschland

Im Klartext heißt das: Schon seit den 1960er Jahren wurde in Frankreich die Ausgrenzung benachteiligter Bevölkerungsschichten nicht nur gesellschaftlich, sondern auch geographisch betrieben, indem für sie in den Vorstädten - den Banlieues - gezielt Getto-ähnliche Schlafstätten geschaffen wurden. In Deutschland gibt es in den Städten eine politisch gewollte stärkere Durchmischung, was nicht heißt, dass diese Form der  Ausgrenzung in den letzten zwei Jahrzehnten nicht auch hierzulande zugenommen hätte. Ausgeblieben sind lediglich gewaltsame Ausschrreitungen wie es sie in den Pariser Vorstädten gegeben hat.

Demonstrators take part in a march during a 24-hour nationwide general strike in central Madrid November 14, 2012. Spanish and Portuguese workers staged the first coordinated strike across the Iberian peninsula on Wednesday, shutting down transport, grounding flights and closing schools to protest austerity measures and tax hikes. The banner reads: "No to cuts. Enough blackmails!". REUTERS/Susana Vera (SPAIN - Tags: CIVIL UNREST POLITICS BUSINESS EMPLOYMENT)
Globale Krise: Spanien tritt in GeneralstreikBild: Reuters

Lassen sich aus dem Forschungsprojekt nun die lange überfälligen stadtpolitische Strategien gegen Gewalt entwickeln? "Es gibt natürlich immer die Hoffnung, Politik zu beeinflussen", sagt Metzler. Sie weist aber auch nachdrücklich darauf hin, dass "Saisir l'Europe" nicht als Think Tank gedacht ist. "Trotzdem ist es das Ziel, auch sicherheitspolitische Akteure mit Wissen zu versorgen und auch bestimmte Ideen zu entwickeln, wo man sinnvollerweise präventiv ansetzen kann."