Berlin: Die Mendelssohn-Familie könnte bald obdachlos sein
21. Juli 2024Philosophen, Bankiers, Musiker: Die jüdisch geprägte Familie Mendelssohn hat seit dem 18. Jahrhundert im Berliner Geistes-, Wirtschafts- und Kulturleben bleibende Spuren hinterlassen. Ihre Blütezeit endete 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland. An diese wechselvolle Geschichte wird in einem Gebäude erinnert, das einmal zum Besitz der Familie gehörte.
Von der Kassenhalle zur Konzerthalle
Die Mendelssohn-Remise im Zentrum der deutschen Hauptstadt war ursprünglich die Kassenhalle einer Bank, später wurde sie als Kutschstall genutzt. Heute befindet sich an diesem historischen Ort am Rande des Gendarmenmarktes ein privat betriebenes Museum, in dem Konzerte, Lesungen und Diskussionen stattfinden.
Die historische Bedeutung der Mendelssohn-Remise
Das Programm im Geiste und in der Tradition mehrerer Mendelssohn-Generationen ist allerdings nur noch bis Ende 2024 gesichert. Der Grund: Die Eigentümerin des Hauses, eine Finanzfonds-Gesellschaft, hat die Miete drastisch erhöht und drängt auf einen Vertrag mit kurzfristiger Kündigungsmöglichkeit. Unerfüllbare Bedingungen seien das, sagt Thomas Lackmann von der Mendelssohn-Remise im DW-Gespräch.
Seit rund 20 Jahren finanziert sich das Kleinod deutsch-jüdischer Vergangenheit und Gegenwart überwiegend durch Spenden und Mitgliedsbeiträge der Mendelssohn-Gesellschaft. Dieser schon 1967 gegründete Verein betreibt das Museum und organisiert das abwechslungsreiche Programm in der Ausstellungshalle.
"Ohne institutionelle Förderung, die das strukturelle Budgetdefizit ausgleichen könnte, würde der Erinnerungsort zur Geschichtswerkstatt auf Abruf", beschreibt Lackmann das Dilemma. Um 25 Prozent auf rund 80.000 Euro jährlich soll die Miete steigen. "Die damit verbundene Kündigungsfrist von zwölf Monaten ermöglicht keine realistische Museumsarbeit mehr", sagt Lackmann. Die angebotene Alternative kommt für ihn ebenfalls nicht infrage: Bei einer dreijährigen Kündigungsfrist wären 28.000 Euro zusätzlich fällig.
Letzter Vorhang für Festival "The Last Rose of Summer"?
Sollte die Mendelssohn-Remise tatsächlich Ende des Jahres ihre Pforten schließen müssen, wäre das Mitte August beginnende traditionsreiche Festival "The Last Rose of Summer" zugleich der Abschied für diese hochkarätig besetzte Kammermusik-Reihe von diesem außergewöhnlichen Ort. Dieses Jahr werden internationale Stars wie Vladimir Stoupel (Klavier) und Judith Ingolfsson (Viola) auftreten. Auf dem Programm steht auch ein Klavier-Quartett von Fanny Hensel.
Im Innenhof grüßen Felix Mendelssohn Bartholdy und Fanny Hensel
Die Komponistin stand schon zu Lebzeiten im Schatten ihres berühmteren Bruders Felix Mendelssohn Bartholdy, von dem neben vielen anderen Werken die "Italienische Symphonie" und das Oratorium "Elias" stammen. Im idyllischen Innenhof der Mendelssohn-Remise mit Springbrunnen und Sitzbänken stehen Büsten der in Hamburg geborenen Geschwister. Ihre kreativste Zeit verbrachten sie jedoch in Berlin und Leipzig, wo Felix als Kapellmeister im Gewandhaus dirigierte.
"In Hamburg und Leipzig gibt es Mendelssohn-Museen, hier wird es keins mehr geben in Berlin", befürchtet Thomas Lackmann. "Es schadet der Erinnerungskultur", betont der Remisen-Leiter. Er denkt dabei an den aktuell zu beobachtenden Rückzug jüdischen Lebens in Berlin und anderen deutschen Städten durch den zunehmenden Antisemitismus. Ein Auslöser dieser Entwicklung war das Massaker der islamistischen Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und der anschließende Krieg im palästinensischen Gaza-Streifen.
Moses Mendelssohn: Seine Philosophie der Aufklärung ist zeitlos
Hass zu überwinden, Brücken zu bauen zwischen den Religionen – dafür steht der Name Moses Mendelssohn. Philosoph und Universalgelehrter, der im 18. Jahrhundert von Berlin aus das Zeitalter der Aufklärung prägte. Daran erinnert Lackmann besonders: "Es gibt dieses Vermächtnis der Toleranz, aber auch der bürgerlichen Verantwortung."
Die vielen spannenden Geschichten der weitverzweigten Familie Mendelssohn seien ein Modell, wie man sich für die Gesellschaft engagieren könne, meint der Journalist und Autor mehrere Bücher. Um das Mendelssohn-Erbe in der Remise fortführen zu können, sieht er spätestens jetzt die Politik in der Verantwortung. Doch verlässliche Zusagen fehlen bislang.
Keine dauerhafte Förderung durch die Kultur-Beauftragte des Bundes
Die DW fragte nach bei Claudia Roth, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Die Antwort einer Sprecherin: "Eine institutionelle Förderung über den Etat der BKM ist nicht möglich, allerdings könnte der Verein grundsätzlich eine Förderung über den Hauptstadtkulturfonds beantragen." Dabei handelt es sich jedoch um Projektmittel. Damit aber wäre der Mendelssohn-Remise aus Sicht seines Leiters Thomas Lackmann nur vorübergehend geholfen, weil diese Art der Unterstützung befristet ist.
Zur Bedeutung der Mendelssohn-Remise für das Kultur- und Geistesleben Berlins wollte sich die Bundesbeauftragte nicht äußern. Das gilt auch für die Frage, ob es sich die deutsche Hauptstadt leisten könne, auf diesen historischen Ort mit seinem unmittelbaren Bezug zur Familie Mendelssohn zu verzichten. In beiden Fällen wurde auf die Zuständigkeit Berlins verwiesen.
Berlins Kultursenator hat einen Brief geschrieben
Die DW-Anfrage bei Joe Chialo, Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, beantworte ein Sprecher so: "Der Erhalt der Mendelssohn-Remise als Begegnungs-, Veranstaltungs- und Ausstellungsort ist uns ein wichtiges Anliegen. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 2004 hat sich die Mendelssohn-Remise zu einem Ort von herausragender kulturpolitischer Bedeutung entwickelt."
Senator Chialo habe dem Eigentümer des Hauses einen Brief geschrieben und darum gebeten, das Mietverhältnis mit der Mendelssohn-Gesellschaft in der bisherigen Weise fortzusetzen. "Zusätzlich prüfen wir derzeit in unserem Haus, ob die Förderung von Veranstaltungen der Remise durch das Land Berlin möglich ist."
Um Spenden wird gebeten
Von einer dauerhaften finanziellen Unterstützung ist also auch beim Berliner Kultursenator keine Rede. Die Chancen auf eine Rettung, so scheint es, schwinden von Tag zu Tag. Thomas Lackmann und seinem ehrenamtlichen Team bleibt wohl nur die Hoffnung auf Hilfe von anderer Seite. Spendenaufrufe wurden schon gestartet.
Vor kurzem flatterte sogar ein Scheck aus den USA ins Haus – von Sponsoren eines amerikanischen Opernhauses. Die waren vorher in Berlin gewesen und hatten in der Mendelssohn-Remise eine eigenes Musikprogramm veranstaltet. "Ich glaube, dass man von außen manchmal sehr viel begeisterter und sensitiver sieht, was für ein besonderer Ort das ist", sagt Lackmann.
Der Traum vom Rettungsengel
Im Moment bleibt ihm nur der Traum von einem reichen Menschen, der das ganze Gebäude-Ensemble kauft, ohne es als reines Renditeobjekt zu betrachten. Jemand, der mit einer Prise Idealismus die Tradition der Aufklärung fortsetzen möchte. Gerne weiterhin mit anderen Organisationen, die zu den Nachbarn der Mendelssohn-Remise gehören. Darunter ist die Alfred Landecker Foundation, die sich ebenfalls für Demokratie und Toleranz engagiert.