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Berlin-Derby: Union gewinnt im vollen Stadion

Pascal Jochem
20. November 2021

Union Berlin dominiert das Derby und hat Hertha BSC endgültig als Nummer eins in der Hauptstadt abgelöst. Doch ein ausverkauftes Stadion sorgt angesichts der dramatischen Corona-Situation für Kritik.

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Unions Spieler Christopher Trimmel erzielt das 2:0
Alexander Schwolow kann sich strecken, wie er will: Der Ball ist drinBild: Tilo Wiedensohler/camera4+/imago images

Eigentlich fühlt sich alles normal an. Fans schlendern voller Vorfreude aus dem Bahnhofsgebäude, plaudern und schlürfen ihr Bier auf dem Weg ins Stadion an der Alten Försterei: Samstagabend, Flutlicht, ausverkauftes Haus. Berlin-Derby. Fußball-Herz - was willst du mehr?

Doch die Lage ist alles andere als normal. Die Corona-Pandemie hat Deutschland längst wieder im Griff, die vierte Welle schwappt mit voller Wucht heran. Das Robert-Koch-Institut (RKI) vermeldet tagein, tagaus neue Rekord-Inzidenzen und zuletzt auch einen Anstieg an Todesfällen.

Vor den Einlasskontrollen an der Alten Försterei bilden sich lange Schlangen, Menschen stehen dicht gedrängt beieinander. Insgesamt 22.012 Zuschauer wollen sich das Berlin-Derby nicht entgehen lassen. Wie passt das zusammen?

Antrag auf volle Stadionauslastung

Erst einmal konnte das Berlin-Derby in der Bundesliga vor Zuschauern stattfinden, im März 2019. Die letzten drei Aufeinandertreffen waren wegen der Corona-Einschränkungen alles Geisterspiele. Verständlich, dass die Klubs ihre Rivalität voll ausleben wollen – vor Fans, mit Gesängen und einer besonderen Atmosphäre im Stadion. Deshalb hat Union Berlin beim Berliner Senat den Antrag auf Vollauslastung unter 2G-Bedingungen gestellt, die Politik hat das Spiel so abgesegnet. Doch es bleibt ein fader Beigeschmack.

"Wir halten uns an alle Regelungen", versichert Unions Stadionsprecher Christian Arbeit. Ähnliches erzählen einem Fans im Stadion. "Wir fühlen uns sicher, sonst wären wir nicht hier", sagt ein Union-Anhänger.

Fußball Bundesliga Union Berlin v Hertha BSC
Ausverkauftes Haus an der "Alten Försterei" beim Berliner DerbyBild: Andreas Gora/dpa/picture alliance

"2G" heißt das Zauberwort, alle Zuschauer sind entweder genesen oder geimpft, zudem hat Union Berlin allen Fans geraten, sich vor dem Spiel testen zu lassen. Der Klub hat hierfür auch ein Testzentrum in der Nähe des Stadions eingerichtet. Im Stadion herrscht Alkoholverbot und eine "Empfehlung", die Maske auch auf dem Platz zu tragen.

Emotionen besiegen Regeln

Auch vor dem Anpfiff und in der Halbzeitpause erinnert Stadionsprecher Arbeit die Fans nochmals daran. Allein die wenigsten halten sich daran. Nach Unions Führungstor in der achten Minute durchTaiwo Awoniyi fliegen die ersten Getränkebecher durch die Reihen. Eine Viertelstunde später, nach dem 2:0 durch Christopher Trimmel, liegen sich die Fans in den Armen.

Zurückhaltung? Wie auch. Der einstige Underdog aus dem Ostteil der Stadt dominiert den alteingesessenen Derby-Rivalen. Die erste halbe Stunde hat etwas von einer Abreibung, es ist ein großes Fest für die Union-Anhänger. "FC Union, unsere Liebe", hallt es durch das Stadion. Der ganz normale Wahnsinn. Aber auch surreal.

Auch wenn die Ansteckungsgefahr im Stadion bei Genesenen und Geimpften als eher gering eingeschätzt wird und der Profi-Fußball als Veranstaltung unter freiem Himmel Ausnahmen einfordert - es sind Bilder, die eine Normalität vorgaukeln, aber Intensivmedizinern und Pflegekräften einen Schauer über den Rücken jagen.

Besondere Verein-Fan-Beziehung

"Wir sollten mutig und optimistisch bleiben", sagte Stadionsprecher Arbeit vor dem Anpfiff. "Und eben weiter versuchen, im Rahmen der Regelungen möglichst sichere Veranstaltungen zu schaffen."

Sein Klub hat während der Pandemie immer wieder frühzeitig auf die Rückkehr von Zuschauern in die Stadien gedrängt und sich damit nicht nur Freunde unter den Fans in Fußball-Deutschland gemacht. Die Atmosphäre im Stadion ist Union heilig, der ganze Verein versteht sich als "Familie, "das Stadion ist ihr Wohnzimmer. 

Der Klub, der im dritten Bundesliga-Jahr weiter das Establishment beeindruckt, mittlerweile sogar in der Europa Conference League spielt und viele ausländische Zuschauer anzieht, ist in besonderer Weise mit seinen Fans verbunden.

Die Frage ist, wie lange Spiele vor Fans in Deutschland unter solchen Umständen noch möglich sein werden. In den Niederlanden undÖsterreich wurde die Rückkehr zu Geisterspielen bereits beschlossen. Nicht wenige Experten schätzen die derzeitige COVID-Situation trotz der Impfungen als so schlimm wie nie zuvor ein. Der Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler plädierte zuletzt sogar dafür, Großveranstaltungen ganz abzusagen. 

"Wir halten uns an Bestimmungen und wir machen das sehr gut bei Union. Aber am Schluss müssen wir die Entscheidungen der Politik akzeptieren", sagte Union-Trainer Urs Fischer. Seine Spieler drehen nach dem Abpfiff eine Ehrenrunde und feiern den 2:0-Sieg gemeinsam mit den Fans auf den Rängen. "Stadtmeister, Berlins Nummer eins!", singen sie im Chor, die Fans hüpfen im Takt. Eine Maske trägt so gut wie niemand.