Fachkräfte wandern vom Bergbau ab
29. März 2023Unternehmen, die fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl oder Gas fördern, bauen nicht nur weltweit Arbeitsplätze ab, mittlerweile haben sie sogar Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden. Laut einer Studie des schweizerischen Weltwirtschaftsforums werden im Sektor der fossilen Energien bis 2030 etwa 2,7 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen.
Im Bereich der "sauberen" Energieerzeugung ist das Gegenteil der Fall. In diesem Sektor dürften der Studie zufolge in laufenden Jahrzehnt rund 10,3 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit ihren vielfältigen Bereichen wie Energieeffizienz, Stromerzeugung und der Elektrofahrzeug-Industrie biete die Branche qualifizierten Fachkräften ein weites Tätigkeitsfeld, heißt es.
Nachhaltige Branchen bieten fünfmal mehr neue Jobs
Um ihre Stellen weiterhin besetzen zu können, müssten die traditionellen Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft kreativer sein, meint Ryan Carroll, der für das internationale Personalvermittlungsunternehmen Airswift als Regionaldirektor für Australien und Neuseeland tätig ist. "Der Sektor der erneuerbaren Energien stellt fünfmal mehr Mitarbeiter aus anderen Branchen ein als der traditionelle Öl- und Gassektor", so Carroll.
Einem Bericht des World Resources Institutes zufolge, einer Umwelt-Denkfabrik mit Sitz in der US-Hauptstadt Washington, schafft jede Million Dollar (920.000 Euro), die in nachhaltigkeitsorientierte Sektoren investiert wird, deutlich mehr Arbeitsplätze als derselbe Betrag, der in "nicht nachhaltige Branchen" wie den Bergbau investiert wird. Investitionen in die Wiederherstellung von Ökosystemen böten zum Beispiel 3,7 Mal so viele Arbeitsplätze wie die Öl- und Gasförderung.
Klima- und Umweltfragen immer wichtiger bei der Arbeitsplatzwahl
Der Bericht Global Energy Talent Index 2022 (GETI), für den Airswift weltweit 10.000 Fachleute aus dem Energiesektor befragt hat, zeigt: Für die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spielen Klima- und Umweltfragen eine Rolle bei der Entscheidung, ob sie in einem Energieunternehmen arbeiten oder es verlassen wollen.
Als Hauptgrund für einen Arbeitsplatzwechsel führten die Befragten Bedenken in Bezug auf die Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung an, berichtet Ryan Carroll. Nur neun Prozent der Arbeitskräfte konnten sich vorstellen, aus anderen Sektoren in Industrien wie den Bergbau zu wechseln.
Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien schafften immer Stellen in den Bereichen Wissenschaft, Ingenieurswesen und Beratung und böten damit ein immer vielfältigeres Arbeitsumfeld. "Das Ergebnis davon ist, dass es auch echte Vielfalt in Bezug auf das Geschlecht oder die ethnische Herkunft gibt", sagt Carroll. Diese Art von "geistiger Vielfalt" sei in traditionellen Öl- und Gas- oder Bergbauunternehmen dagegen weniger verbreitet.
Als Folge boomender Investitionen in saubere Energie und weil die Branche ständig nach neuer Spitzentechnologie suche, schließe sich zudem die frühere Gehaltslücke zwischen der fossilen Brennstoff- oder Bergbauindustrie und Arbeitsplätzen im nachhaltigen Sektor. Dies mache einen Wechsel ebenfalls attraktiv, erklärt der Experte für Personalbeschaffung. Und: "Der Sektor steht für Veränderung, für Innovation", so Carroll. "Er bietet die Aussicht, dass man tatsächlich etwas bewirken kann".
Jobwechsel in die erneuerbaren Energien weltweit
Im Rahmen des sogenannten Green Deals der Europäischen Union, der die Treibhausgasemissionen der EU bis 2050 auf ein Netto-Null bringen soll, könnten bis zu zwei Millionen Arbeitsplätze im Nachhaltigkeitssektor entstehen.
In den USA werde der im Juli 2022 verabschiedete Inflation Reduction Act laut der Denkfabrik Climate Power "Millionen von gut bezahlten Arbeitsplätzen im Bereich der sauberen Energie schaffen". Und in Australien hat die im vergangenen Mai gewählte klimafreundlichere Regierung einen massiven Anstieg der Investitionen in erneuerbare Energien angekündigt. Das werde langfristig die Aussichten für Arbeitskräfte in dieser Branche verbessern, so Carroll.
"Wenn man vor zwei oder drei Jahren in den Bereich der erneuerbaren Energien wechselte, ging man im Grunde genommen ein Risiko ein." Denn aufstrebende Unternehmen für saubere Energien hätten nur über begrenzte Mittel verfügt. "Jetzt aber gibt es eine Reihe von Projekten, die vor allem im Ingenieurswesen eine stabile Arbeit und eine berufliche Entwicklung ermöglichen."
Weniger Interesse für Studium im Bergbau- und Rohstoffsektor
Angesichts des raschen Wandels in der Energielandschaft scheinen auch Studierende zurückhaltend zu sein, wenn es um eine Karriere in den traditionellen Rohstoffindustrien geht: In Kanada und Teilen Europas gingen die Einschreibungen für Bergbauingenieurswesen in den vergangenen fünf bis sieben Jahren um bis zu 50 Prozent zurück.
In Australien - dem weltweit größter Exporteur von Eisenerz und an Nummer zwei bei den weltweiten Kohleexporten - sind die Arbeitsplätze im Bergbausektor bei weitem die bestbezahlten des Landes. Dennoch ist die Zahl derjenigen, die ein Studium in diesem Bereich aufnehmen, rückläufig, wie Australiens Bundesministerin für Ressourcen, Madeleine King, berichtet. "Ein großes Hindernis für die Anwerbung von Arbeitskräften ist die Einstellung vieler junger Menschen in Australien gegenüber der Rohstoffindustrie", erklärte King kürzlich gegenüber Vertretern der Industrie.
"Umweltschädlich": Bergbau-Image in Australien schlecht
"Der Bergbau ist im öffentlichen Bewusstsein als schmutzige, nicht innovative, veraltete und umweltschädliche Industrie verankert", schreiben die polnischen Autoren einer Studie aus dem Jahr 2021 mit dem Titel "A New Face of Mining Engineer". Dem Bericht zufolge ging die Zahl der Erstsemester im Bereich Bergbauingenieurwesen zwischen 2015 und 2019 auch in Polen um 50 Prozent zurück.
Doch selbst wenn dieses Imageproblem gelöst werden könnte, dürfte sich der Fachkräftemangel im Bergbau mit dem weltweiten Ausstieg aus der Kohle auch in Australien noch verschärfen. Im Gegensatz dazu wird die Beschäftigung im Bereich der erneuerbaren Energien weiter ansteigen, denn die australische Regierung hat sich verpflichtet, 82 Prozent des Energienetzes bis 2030 aus sauberen Quellen zu versorgen.
Die Nachfrage nach Arbeitskräften für die erneuerbaren Energien ist so groß, dass der sich abzeichnende Fachkräftemangel in Australien nach Ansicht von Expertinnen und Experten die Expansion des Sektors lähmen könnte.
Wie wichtig ist der Bergbau für die Energiewende?
Doch für die Energiewende sind bestimmte Metalle unerlässlich, etwa Kupfer, auch sogenannte "strategische Metalle", wie Lithium, und solche Metalle, die als "seltene Erden" bezeichnet werden. Sie werden unter anderem in Solar- und Batteriesysteme benötigt. Für ihre Förderung aber braucht es Bergbaukenntnisse.
Das betont auch Australiens Rohstoffministerin King. Sie möchte, dass die großen Bergbauunternehmen den so genannten "grünen Bergbau" propagieren und "kreativer" werden, um junge Leute anzuziehen. Tatsächlich werben Bergbauunternehmen inzwischen mit solchen "grünen Qualitäten", um neue Arbeitskräfte zu gewinnen. Und auch traditionelle Öl- und Gasunternehmen werben mit ihrer Hinwendung zu sauberer Energie, um Talente anzuziehen.
Das weltweit tätige Petrochemieunternehmen Lummus Technologies etwa verwende "erneuerbare biobasierte Rohstoffe zur Herstellung von Chemikalien, Polymeren und Kraftstoffen als Teil eines Kreislaufwirtschaftsmodells", so schreibt es Leon de Bruyn, CEO von Lummus, im GETI-Bericht des Personalvermittlungsunternehmens Airswift. Die Akzeptanz der Energiewende sei "der Schlüssel, um eine neue Generation von Arbeitskräften anwerben", so de Bruyn.
Warum der "grüne" Bergbau kritisiert wird
Doch es gibt Kritik am "grünen" Bergbau, und auch sie könnte klimabewusste Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglicherweise abschrecken. Es gebe zwar eine Entwicklung hin zu "intelligentem und nachhaltigem Bergbau" mit geringen Auswirkungen für die Umwelt , sagt Meadhbh Bolger. Sie arbeitet für die in Brüssel ansässigen Umweltorganisation Friends of the Earth Europe und ist Mitverfasserin eines Berichts aus dem Jahr 2021 über den "Mythos des grünen Bergbaus".
Doch auch der sogenannte "grüner Bergbau" trage zum Wirtschaftswachstum bei, so Bolger. Und dieses Wachstum halte den übermäßigen Konsum aufrecht, der die Klimakrise antreibe. Vielmehr müsse dem Gedanken eines endlosen Abbaus und endlosen Wirtschaftswachstums widerstanden werden, meint Bolger - auch bei Unternehmen für saubere Energien, die sich als Verfechter des Klimaschutzes darstellten.
Aus dem Englischen adaptiert von Jeannette Cwienk