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Glaube

Berauscht euch an der Liebe

23. Januar 2022

Von Liebe, Lust und Leiden

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Euromaxx | Kuss Paar
Bild: DW

Hand auf’s Herz. Wenn über Liebe gesprochen und nachgedacht wird, wenn sie als Gefühl der ersten Wochen in einer neuen Beziehung persönlich erlebt, gespürt und gedacht wird, dann ist sie vielleicht zu aller erst der Gedanke an etwas, das uns nicht loslässt, uns mit voller Wucht packt und bezaubert, vielleicht realitätsenthoben und rosarot - der Zauber des Anfangs.

Später stellen wir fest: Liebe macht sowohl glücklich als auch unglücklich, sie fasziniert und fordert heraus, sie berauscht und macht zerbrechlich.

Sie wird in Liedern besungen, in der Theologie bedacht, in der Bibel ausgesprochen. Sie ist geprägt von gesellschaftlichen Blickwinkeln, prosaisch inspiriert und kann Ausdruck ihrer Selbst in Lust und Leidenschaft sein.

Von letzterer schweigt die kirchliche Verkündigung meist. Der Graben zwischen kirchlicher Lehre und dem Leben der Menschen klafft weit auseinander.

Vor knapp 6 Jahren hat Papst Franziskus das Apostolische Schreiben Amoris laetitia verfasst. Fragen und Anfragen von Menschen zu Liebe und Sexualität werden zur Sprache gebracht und in wertschätzende und lebensnahe Worte gefasst. Manche sahen in der Veröffentlichung einen Meilenstein, anderen geht es noch immer nicht weit genug. Die Ungeduld ist groß. Die Gleichgültigkeit Vieler zu kirchlichen Stellungnahmen im Bereich des privaten Lebens wahrscheinlich sogar größer.

 

Ein Blick in das Dokument kann trotzdem lohnenswert sein, ein Blick auf weiterführende Gedankengänge auch.

Zwei Blickwinkel:

  1. Liebe, Lust und Leidenschaft

„Wir dürfen also die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die zum Wohl der Familie toleriert werden muss, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute verschönert.

Da sie eine Leidenschaft ist, die durch die Liebe, welche die Würde des anderen verehrt, überhöht ist, gelangt sie dahin, eine „lautere schiere Bejahung“ zu sein, die uns das Wunderbare zeigt, zu dem das menschliche Herz fähig ist, und „für einen Augenblick ist […] das Dasein wohlgeraten“.    (AL 152, mit Zitat von Josef Pieper)

Beim Lesen dieses Zitats klingen vielleicht gleich die bildreichen Texte aus dem Hohelied mit. Auch wenn in kirchlichen Kontexten nicht immer ganz leichtfüßig mit erotischen Worten gesprochen wird, so ist die körperliche Liebe, die Sexualität und Faszination für den/die Geliebte*n doch in diesem kleinen biblischen Büchlein sehr sprachfähig: „Mit Küssen seines Mundes küsse er mich. Süßer als Wein ist deine Liebe.“ (Hld 1,2) „Schön bist du, mein Geliebter, verlockend. Frisches Grün ist unser Lager.“ (Hld, 1,16) Oder: „Esst, Freunde, trinkt, berauscht euch an der Liebe!“ (Hld 5,1b)

Die Botschaft kann nicht anders lauten als: Berauscht euch aneinander, lebt eure Lust zueinander aus. Denn auch darin sind wir Menschen Abbild Gottes.

Sexualität wird gedacht als „lautere schiere Bejahung“ eines Menschen zu einem anderen Menschen.

In diesem Kontext mag es nicht verwundern, dass in Veröffentlichungen zur christlichen Sexualpädagogik der Aspekt der „Transzendenzoffenheit“ ein Faktor ist, in dem Sexualität und sexuelles Erfahren mehr ist als ein Beziehungsakt zweier Menschen. Sie weist über sich hinaus.

Sie ist nicht mehr „geduldetes Übel“ oder „eine Last, die … toleriert werden muss.“ Sie hat Sinn und Zweck in der Leidenschaft und in der Liebe, die „die Würde des anderen verehrt“ und damit Ausdruck und Verweis von und auf viel mehr ist.

Die jahrhundertelange Lehre und Tradition der Kirche wird aufgebrochen und aus dem Bereich der Lust- und Körperfeindlichkeit herausgeholt. Das bestätigt in AL 142 die Aussage des Papstes: „… eine Liebe ohne Lust und Leidenschaft … reicht nicht aus, um die Vereinigung des menschlichen Herzens mit Gott zu symbolisieren.“

Ein bitterer Geschmack bleibt allerdings - gerade vor dem Hintergrund von Auswüchsen sexualisierter Gewalt unter dem moralischen Deckmantel kirchlicher Strukturen und Entscheidungen des Papstes zu Rücktrittsangeboten von katholischen Bischöfen.

 

       2. Katholisch und Queer

Vor einigen Wochen erschien das Buch „Katholisch und queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln“.

Beim Aufschlagen des Buchs kommt die lesende Person nicht an einem in Kreuzform geschrieben Satz vorbei: „Für alle von Diskriminierung und Gewalt betroffenen Menschen in der katholischen Kirche, deren Stimmen (noch) nicht gehört werden.“

Neben den Lebenszeugnissen von queeren Menschen und Perspektiven von Menschen aus deren „Nahbereich“, kommen Perspektiven von Verantwortungsträger*innen und der Theologie hinzu. Am Ende steht ein Ausblick für einen notwendigen Wandel in der Kirche.

An dieser Stelle soll ein Zitat von Jósef Niewiadomski genannt werden, das in einem der Artikel zu finden ist: „Wir alle sollten also beten für Papst Franziskus. Er möge den Mut aufbringen, eine ‚kopernikanische Wende‘ in Sachen theologischer Deutung gelebter Sexualität zu vollziehen, jenen Schritt also zu wagen, den das Zweite Vatikanum unterlassen hat: explizit Abschied zu nehmen vom alten Paradigma der Unkeuschheit des verdorbenen Triebes. Damit würde nicht nur die von ihm in ‚Amoris laetitia‘ so oft zitierte Logik des Hoheliedes neue spirituelle Kraft entfalten. Auch all jene Fronten, an denen immer noch Positionskriege in Sachen Sex geführt werden, würden dann einer sinnstiftenden Diskussion über verantwortlich gelebte Sexualität Platz machen.“

Eine Wende, wie Niewiadomski sie beschreibt, bleibt bisher nach wie vor aus. Denn der Ort gelebter Sexualität ist im katholischen Kontext ausschließlich und nach wie vor in der sakramentalen Ehe verortet.
Bedenkenswert sind allerdings neuere Diskussionen in der Theologie, die auch beim Synodalen Weg in Deutschland einen Ort haben. Denn hier geht es darum, die Positionskriege im Kontext gelebter Sexualität in eine sinnstiftende Diskussion zu überführen. Das Angebot ist eine Sexualmoral, in der beziehungsethische Aspekte eine alltagstaugliche Orientierung für Menschen, die sich lieben, im Kontext des gelebten Glaubens und der Theologie.

 

 

  • Die Bibel, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Bibelwerk 2017.
  • Papst Franziskus, Amoris laetitia, 2016: https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20160319_amoris-laetitia.html#_ftn154
  • Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann, Mara Klein (Hrsg.): Katholisch und Queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehe und Handeln, Bonifatius 2021. Hier: Jósef Niewiadomski, Die Leiche im Keller. Zur Debatte um die Segnung homosexueller Paare, in Herder Korrespondenz 5/2021, 16, zitiert von Martina Kreidler-Kos, 222.
  • Julia Knop, Beziehungsweise. Theologie der Ehe, Partnerschaft und Familie, Verlag Friedrich Pustet 2019.
  • Martina Kreidler-Kos, Christoph Hutter, „Amoris laetitia“ als Impuls für Gemeinde, Partnerschaft und Familie, Schwabenverlag 2016.
  • Martina Kreidler-Kos, Wolfgang Tripp (Hrsg.), Von Felsblöcken und Zärtlichkeit, „Amoris laetitia“ in Verkündigung und Liturgie.
  • Stephan Leimgruber, Christliche Sexualpädagogik. Eine emanzipatorische Neuorientierung für Schule, Jugendarbeit und Beratung, Kösel 2011.
  • Josef Pieper, Über die Liebe, München 2014, 174-175.
  • Eberhard Schockenhoff, Die Kunst zu lieben. Unterwegs zu einer neuen Sexualethik, Herder 2021.
  • https://www.synodalerweg.de/dokumente-reden-und-beitraege