BERöffnung: Chronik des Versagens
30. Oktober 2020Die größte Panne? Beim Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg ging so viel schief, dass die Auswahl schwerfällt. Die Bestandsaufnahme nach der abgesagten Eröffnung im Juni 2012 ergab rund 120.000 Mängel. Darunter so schwerwiegende wie eine nicht funktionierende Brandschutzanlage, tausende Automatiktüren ohne Stromanschluss und durchhängende Parkhausdecken. 170.000 Kilometer Kabel waren offenbar wahllos und in verbotenen Kombinationen in zu enge Schächte gestopft worden.
Acht Jahre sollten Architekten, Ingenieure, Techniker und Bauarbeiter brauchen, um das Chaos zu beseitigen. "Wenn sie eine Strickjacke am Anfang mit dem ersten Knopf falsch zuknöpfen und dann oben angekommen sind, dann ist es eben so: Dann müssen sie erst alle Knöpfe aufmachen, bevor sie dann wieder neu ansetzen können", erklärte 2014 Hartmut Mehdorn, damals kurzzeitig Flughafenchef. Auch er gab schnell wieder auf.
Unfassbar teuer und jetzt schon zu klein
Insgesamt sechsmal wurden feste Eröffnungstermine des BER abgeblasen und verschoben. Die Baukosten wuchsen von ursprünglich 2,5 Milliarden auf mehr als sieben Milliarden Euro. Für einen Airport, der in der Corona-Pandemie zwar nicht ausgelastet sein wird, aber für die Zeit danach schon jetzt absehbar zu klein ist. Die Flughafengesellschaft plant daher bis 2030 einen weiteren Ausbau, für den derzeit 2,3 Milliarden Euro veranschlagt werden.
Wie konnte das Großprojekt im Hochtechnologieland Deutschland so schiefgehen? Allein drei parlamentarische Untersuchungsausschüsse haben sich darüber den Kopf zerbrochen. Haben unzählige Akten gewälzt, hunderte Zeugen vernommen und am Ende tausende Seiten umfassende Berichte abgeliefert. Mit dem Ergebnis, dass es wohl Versagen auf allen Ebenen war, das zu dem Desaster führte. Vor allem aber fehlende Sachkenntnis und Überforderung auf der politischen Führungsetage.
Die Sache mit Olympia
Die Idee vom europäischen Flughafen-Drehkreuz in der Region Berlin-Brandenburg wurde bereits unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung geboren. Fünf Jahre planen, fünf Jahre bauen, Fertigstellung zu den erträumten Olympischen Spielen 2000 in Berlin, so lautete die Gleichung, die der Bund, Berlin und Brandenburg damals aufstellten.
Aus Olympia wurde bekanntlich nichts und zudem stritt die Politik bis 1996 darüber, wo genau der Airport überhaupt gebaut werden sollte. Was die staatliche Flughafengesellschaft allerdings nicht davon abhielt, vorsorglich an mehreren Orten in Brandenburg Bauland für 350 Millionen Euro zu kaufen - das am Ende dann doch nicht Standort wurde.
Staatlicher Bauherr wider Willen
Sieben weitere Jahre vergingen mit der vergeblichen Suche nach privaten Investoren, die den Flughafen planen, bauen und betreiben sollten. Doch wegen der hohen finanziellen Risiken wollte sich kein Unternehmen ohne staatliche Garantien auf den Deal einlassen. 2003 stand das Projekt praktisch vor dem Aus. Das aber wollten die Politiker, allen voran der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, auf keinen Fall zulassen. Der Staat sprang als Bauherr ein.
"Wir werden beweisen, dass drei öffentliche Eigentümer so ein Projekt bauen können", verkündete Wowereit großspurig beim ersten Spatenstich 2006. Da hieß der Flughafen übrigens noch BBI. Erst 2009 fiel der Flughafengesellschaft auf, dass der IATA-Code BBI von der International Air Transport Association bereits an den Flughafen Bhubaneswar in Indien vergeben war. Eine kleine Randnotiz nur, die aber zum dem passt, was ein langjähriges Aufsichtsratsmitglied 2017 gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel sagte: Auf den Fluren der Flughafengesellschaft sei nie Kompetenz eingezogen.
Immer wieder Neues
Als die Bauarbeiten beginnen, gibt es zwar fertige Planungen für den Airport. Doch die Bauherren haben immer wieder neue Wünsche und Einfälle, die Architekten und Bauingenieure bei laufendem Baubetrieb umsetzen müssen: Zwischengeschosse werden zusätzlich eingeplant, Fluggastbrücken, Verkaufsflächen und Gastronomiebereiche. Weil sich die EU-Sicherheitsbestimmungen ändern, mussten Wegeführungen ganz neu dimensioniert werden.
Das bleibt nicht ohne Folgen. Aus heutiger Sicht geriet die Baustelle bereits 2009 in Verzug und in Schieflage. 2010 geht das leitende Ingenieurbüro bankrott, das für den technischen Ausbau der Gebäude zuständig ist. Die erste, für 2011 geplante Eröffnung wird verschoben, allerdings nur um acht Monate. Der leitende Architekt Meinhard von Gerkan urteilt später in seinem Buch "Blackbox BER", die Eröffnungstermine seien "nach dem politischen Kalender" gesetzt worden, "zumeist mit verkürzten oder zu kurz bemessenen Fristen und gegen den Einspruch der Bauleitung".
Beschönigen und vertuschen
Von Gerkan erhebt rückblickend schwere Vorwürfe. Die Flughafengesellschaft habe immer wieder versucht, Schwierigkeiten vor dem von Bürgermeister Wowereit geleiteten Aufsichtsrat zu vertuschen. Zwischen Dezember 2011 und März 2012 seien sogar Bauberichte manipuliert worden. "Unsere roten Warnpfeile, die darauf hinwiesen, dass Termine nicht zu halten seien, wurden in gelbe Ampeln geändert, die signalisierten, dass die Terminvorgabe erfüllt werden kann, wenn auch nur mit besonderen Anstrengungen", so von Gerkan in seinem Buch.
Die Politiker wollen das nur zu gerne glauben. Wenn es Begehungen auf dem Flughafen gibt, müssen Bauarbeiter vorher Rigipswände errichten, damit niemand sehen kann, wie es wirklich um den Airport bestellt ist. Erst vier Wochen vor der geplanten Eröffnung des BER kann nichts mehr beschönigt werden. Weil der Brandschutz und insbesondere die Sprinkleranlage und die Entrauchung nicht funktionieren, erhält der Flughafen im Mai 2012 keine Betriebsgenehmigung.
Köpfe rollen und Wissen geht verloren
Die Politik reagiert auf das Desaster mit Schuldzuweisungen und reihenweisen Entlassungen. Auch die Planungsgemeinschaft um den Architekten von Gerkan muss gehen. Ein Fehler, heißt es später, denn diejenigen, die nachrücken und den Flughafen fertigbauen sollen, suchen nicht nur oft vergeblich nach Bauunterlagen - 2014 werden auf einer Berliner Müllhalde stapelweise Akten gefunden - sondern ihnen fehlt auch das Wissen darum, was bislang wo verbaut wurde.
Zur Rechenschaft für den ganzen Irrsinn wurde nie jemand gezogen. Die verantwortlichen Politiker sind alle schon lange nicht mehr im Amt. Als Klaus Wowereit sich 2014 verabschiedete, sagte er über den BER: "Dies ist eine herbe Niederlage gewesen und das ist sie bis heute." Die Manager wurden ebenfalls nicht belangt. Im Gegenteil. Einer der beiden 2012 entlassenen Geschäftsführer der Flughafengesellschaft schaffte es im Nachhinein sogar, einen Verdienstausfall in Höhe von 1,4 Millionen Euro gerichtlich einklagen.