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Politik

Belarus würgt freie Berichterstattung ab

Pavluk Bykowski | Markian Ostaptschuk
2. Oktober 2020

Machthaber Lukaschenko behindert belarussische und ausländische Journalisten. Dem unabhängigen nationalen Webportal "tut.by" droht das Aus, DW-Mitarbeiter wurden verhaftet und bekommen keine Akkreditierung.

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Weißrussland Minsk Internet-Portal tut.by
Redaktion des belarussischen Nachrichtenportals "tut.by" in MinskBild: Dw/E. Daneyko

Belarussische Behörden setzen Journalisten immer stärker unter Druck. Jüngstes Beispiel ist das größte unabhängige belarussische Nachrichtenportal "tut.by", das als eine der wichtigsten Quellen für objektive journalistische Informationen im Land gilt. Vom 1. Oktober an verliert die Seite für drei Monate ihre Lizenz. Damit gilt sie nicht mehr als Medienunternehmen und die Mitarbeiter nicht mehr als Journalisten.

Laut belarussischem Mediengesetz kann sich jede Website freiwillig als Online-Medium registrieren lassen. Diese wird dann als Medienunternehmen eingetragen und die Mitarbeiter als Journalisten anerkannt. Das Informationsministerium kann ein solches Online-Medium schließen, wenn eine Klage gegen die Redaktion vorliegt. Am 8. Oktober wird ein Gericht entscheiden, ob das Portal "tut.by" den Status eines Medienunternehmens endgültig verliert.

Große Reichweite

Die Redaktion von "tut.by" will vorerst aus Sicherheitsgründen niemanden mehr zur Berichterstattung über die Proteste losschicken. "Bis zum 30. Dezember haben wir laut Anordnung des Informationsministeriums keinen Status als Medienunternehmen mehr, sondern nur noch als Website", erläutert Marina Solotowa, Chefredakteurin des im Jahr 2000 gegründeten Portals, das erst seit Januar 2019 als Medienunternehmen tätig ist, gegenüber der DW.

Da ihre Kollegen nicht mehr als Journalisten gelten, könnten die Behörden sie als Demonstranten behandeln. Sie könnten festgenommen und vor Gericht gestellt werden. "Unsere Journalisten werden nicht über die Proteste berichten können. Wir wollen sie keinem Risiko aussetzen, solange sie keinen Status als Journalisten haben", betonte Solotowa auf einer Pressekonferenz beim Belarussischen Journalistenverband.

Weißrussland Minsk Internet-Portal tut.by Marina Zolotova
Marina Solotowa, Chefredakteurin von "tut.by"Bild: Dw/E. Daneyko

Als Zeichen der Solidarität mit dem Nachrichtenportal ändern viele belarussische User ihre Facebook-Avatare oder posten Bilder mit der Aufschrift "Ich/Wir sind 'tut.by'". Das Portal erreichte im August laut Angaben des Internet-Auswerters "GemiusAudience" 69 Prozent der belarussischen Internetuser.

"'tut.by ist mit Abstand das größte Nachrichten- und Informationsportal in Belarus mit belarussischen Inhalten, mit eigener Redaktion und Politik", sagt Mikhail Doroshevich, Leiter der Non-Profit-Organisation Baltic Internet Policy Initiative, im DW-Gespräch. Dem Medienexperten zufolge erreichen alle anderen belarussischen Webportale weit weniger Menschen.

"Erdrückende Taktik"

Zunehmend schwieriger wird die Arbeit in Belarus auch für Vertreter ausländischer Medien. Reportern der Deutschen Welle, von BBC, RAI, der ARD, von FranceTV, des ZDF und anderer Sender und Zeitungen wurden auslaufende Akkreditierungen trotz rechtzeitiger Beantragung nicht verlängert oder gültige widerrufen, was eine Berichterstattung über Ereignisse von internationalem Interesse unmöglich macht.

Das geht aus einer Erklärung der European Broadcasting Union (EBU) hervor. "Die EBU verurteilt diese erdrückende Taktik aufs Schärfste und fordert, dass unabhängige öffentliche Medien ihre Arbeit tun dürfen", so der Zusammenschluss öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten.

Weißrussland Minsk | Proteste gegen die Regierung Lukashenkos
Protestaktion in MinskBild: TUT.BY/Reuters

Auch die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) kritisiert die systematische Behinderung von Journalisten. Das Regime von Alexander Lukaschenko müsse ausländischen Medien die Berichterstattung aus Belarus ermöglichen und dürfe die Corona-Pandemie nicht zum Vorwand nehmen, keine Akkreditierungen mehr zu erteilen.

"Unsere Hochachtung gebührt den belarussischen Kolleginnen und Kollegen, die sich brutaler Polizeigewalt aussetzen und Haftstrafen riskieren, um die internationale Öffentlichkeit weiter darüber zu informieren, was in ihrem Land passiert. Techniker, Übersetzerinnen und Fahrer setzen sich großen Gefahren aus, wenn sie die wenigen verbliebenen ausländischen Korrespondentinnen und Korrespondenten bei der Berichterstattung unterstützen", so RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Belarus auf Platz 153 von 180 Staaten.

Auch DW-Mitarbeiter massiv unter Druck 

Die DW bemüht sich seit dem Frühjahr vergeblich darum, zusätzliche Korrespondenten und Kameraleute für Belarus zu akkreditieren. Die Akkreditierung von DW-Korrespondent Nicholas Connolly, der aus Minsk über die Proteste berichtete, ist am 30. September abgelaufen und wurde trotz Antrag nicht verlängert. 

DW Nicholas Connolly - Nick Conolly Kommentarbild
DW-Korrespondent Nicholas Connolly

DW-Chefredakteurin Manuela Kasper-Claridge teilte in diesem Zusammenhang mit: "Die belarussische Regierung sollte es auch während der Pandemie ermöglichen, dass Journalisten akkreditiert werden oder ihre Akkreditierung verlängert wird. Tatsache ist, dass wir uns sehr wohl bewusst sind, dass Machthaber Lukaschenko das Coronavirus offensichtlich als Vorwand benutzt, um die Pressefreiheit einzuschränken. Dem muss Einhalt geboten werden. Die Berichterstattung, die die DW und andere unabhängige Medien in Belarus anbieten, ist sowohl für die Menschen innerhalb als auch außerhalb des Landes äußerst wichtig und wird hoch geschätzt. Wir fordern die belarussische Regierung auf, dafür zu sorgen, dass ausländische Journalisten sofort ihre Akkreditierung erhalten."

Auch belarussische DW-Mitarbeiter vor Ort sind wiederholt ins Visier der Behörden geraten. So wurde Alexandra Boguslawskaja, Mitarbeiterin des russischsprachigen DW-Programms, Ende August am Rande einer Demonstration festgenommen und sechs Stunden festgehalten. Ihr Telefon erhielt sie erst am nächsten Tag zurück. Der freie DW-Mitarbeiter Alexander Burakow war wenige Tage vor der Präsidentenwahl Anfang August mit einer fadenscheinigen Begründung zu zehn Tagen Arrest verurteilt worden.