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Bayern geht auf Tschechien zu

20. Dezember 2010

Zum ersten Mal besucht mit Horst Seehofer ein bayrischer Ministerpräsident Tschechien. Der CSU-Chef erhofft sich eine neue Epoche in den belasteten Beziehungen und will die gemeinsame Zukunft in den Mittelpunkt stellen.

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Tschechiens Premier Necas (links) empfängt Bayerns Ministerpräsidenten Seehofer im Prager Regierungsamt (Foto: ap)
Treffen sich erstmalig offiziell: Tschechiens Premier Necas und Bayerns Ministerpräsident SeehoferBild: AP

Beim ersten offiziellen Besuch eines bayrischen Regierungschefs in Tschechien sind Horst Seehofer und Tschechiens Premierminister Petr Necas am Montag (20.12.2010) zu einem Vier-Augen-Gespräch im Prager Regierungsamt zusammengekommen. Es gebe zwar Fragen, "in denen wir unterschiedliche Auffassungen haben", trotzdem wollen beide Seiten "ein neues Kapitel" in den Beziehungen beider Länder aufschlagen, sagte Seehofer nach dem mehr als einstündigen Gespräch. "Und dafür haben wir heute den ersten Schritt getan".

Am Sonntagabend war Seehofer zum Auftakt seines zweitägigen Besuchs in Prag vom tschechischen Außenminister Karl Schwarzenberg zu einem Essen empfangen worden. Das gemeinsame Abendessen, an dem Vertreter von Politik, Wirtschaft und Kirchen beider Seiten teilnahmen, und das anschließende Vier-Augen-Gespräch seien „in lockerer, freundschaftlicher Atmosphäre“ verlaufen, teilte ein Sprecher der Münchner Staatskanzlei mit. Beide Politiker hätten den Willen betont, die Konflikte der Vergangenheit hinter sich zu lassen und den Blick in die Zukunft zu richten.

65 Jahre diplomatische Eiszeit

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (l, CSU) und der Außenminister Tschechiens, Karl Schwarzenberg, treffen sich am Sonntag (19.12.2010) in Prag zu einem gemeinsamen Abendessen. (Foto: dpa)
Seehofer und Tschechiens Außenminister Schwarzenberg blicken in die ZukunftBild: AP

Bisher waren offizielle Treffen auf höchster politischer Ebene zwischen Bayern und Tschechien an den sogenannten Benes-Dekreten gescheitert. Auf Grundlage dieser bis heute geltenden Erlasse wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die etwa drei Millionen Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben und enteignet. Bisher hat die bayrische Landesregierung, die sich als politische Interessenvertretung der Sudetendeutschen sieht, die Aufhebung der Dekrete zur Bedingung für Gespräche gemacht. So hatte etwa Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber in seiner 14-jährigen Amtszeit ein offizielles Treffen ohne Beteiligung der Sudetendeutschen stets abgelehnt.

Tschechien hingegen weigert sich, die Benes-Dekrete aufzuheben, weil es Entschädigungsforderungen seitens der Sudetendeutschen befürchtet. Zudem betrachtet es die Frage durch die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 als geklärt. Darin drückten beide Seiten ihr Bedauern über jeweils begangenes Unrecht aus und stellten fest, dass die Beziehungen auf die Zukunft ausgerichtet werden müssen und dass „jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, dass die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat“.

Gemeinsame Zukunft und gemeinsame Werte

Sudetendeutsche werden aus der Tschechoslowakei vertrieben. (Archivfoto: ap)
Ihre Vertreibung ist der Grund für die diplomatische Eiszeit: die SudetendeutschenBild: AP

Bereits in seiner ersten Regierungserklärung als Ministerpräsident vor zwei Jahren sprach sich Seehofer für ein gutes Verhältnis zu den Tschechen aus. Er kündigte damals an, gemeinsam mit Vertretern der Sudetendeutschen einen Schritt auf das Nachbarland zugehen zu wollen. Das ist hiermit geschehen: möglich wurde der Besuch in Prag, weil der bayrische Ministerpräsident erstmals auf die Aufhebung der Erlasse als Gesprächsvoraussetzung verzichtet hat. In den Mittelpunkt der Kontakte soll stattdessen die gemeinsame Zukunft der beiden Nachbarn rücken. Mit einer Einladung des tschechischen Premiers zu einem Gegenbesuch in München will Seehofer ein weiteres „neues Kapitel für die gemeinsame Zukunft von Tschechien und Bayern aufschlagen“.

Zur bayerischen Delegation gehören unter anderem die Europaministerin Emilia Müller, der oberste Repräsentant der Sudetendeutschen Bernd Posselt, und der Präsident der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft Randolf Rodenstock, sowie Vertreter der katholischen Kirche und der Israelitischen Kultusgemeinde in Bayern. Posselt nahm allerdings an den Gesprächen mit Necas nicht teil.

Autor: Bachir Amroune (dpa, rtr, dapd)

Redaktion: Reinhard Kleber