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GesellschaftDeutschland

38. Barrierefrei regieren?

20. Januar 2022

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung: Derzeit gibt es nur eine Abgeordnete im deutschen Bundestag mit sichtbarer Behinderung.

https://p.dw.com/p/45d74

Zum Podcast geht es hier.

Jingle: DW. "Echt behindert!" 

Moderator, Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus. Der Bundestag soll diverser werden und das hat ja auch schon angefangen. People of Colour, geschlechtliche Orientierung, Religion, all das gibt es. Doch wo sind die Menschen mit Behinderungen eigentlich? Gut: Wir hatten Wolfgang Schäuble. Doch der ist erstens jetzt weg und zweitens nicht mit Behinderung in den Bundestag gewählt worden. Es soll laut anonymer Umfrage vier Prozent Menschen mit Behinderung im Bundestag geben unter den Abgeordneten. Doch sehen tut man es nur bei einer. Und die ist heute bei mir hier im Podcast: Die grüne Bundestagsabgeordnete Stefanie Aeffner.  

Schönen guten Morgen. 

Stephanie Aeffner: Einen schönen guten Morgen! Auch von meiner Seite. 

Matthias Klaus: Darf ich zunächst fragen, welcher Art Ihre Behinderung ist genau. 

Stephanie Aeffner: Ich bin Rollstuhlfahrerin. 

Matthias Klaus: "Rollstuhlfahrerin". Davon gibt es ja auch unterschiedliche. Angefangen bei: "Ich kann halt nicht laufen" bis zu: "Ich kann nur noch meinen Kopf bewegen." Wie ungefähr würden Sie sich da einschätzen? 

Stephanie Aeffner: Ja, also ich habe tatsächlich auch keine Lähmungen. Ich kann alles bewegen und bin noch relativ körperlich aktiv - kann halt nicht mehr laufen. Aber so im Rollstuhl kann ich alles bewegen. Also es ist ein kleiner elektrischer Rollstuhl, wo aber keine sonstigen Funktionen erforderlich sind. 

Matthias Klaus: Haben Sie Assistenz in der Arbeit oder im Alltag? 

Stephanie Aeffner: Bisher nicht. Natürlich habe ich zu Hause Hilfe, aber bei der Arbeit ging es bisher so. Allerdings muss man natürlich dazusagen, dass auch in meiner vorherigen Aufgabe es ja schon so war: Ich hatte halt einen Fahrer, der dann auch natürlich meine Sachen getragen hat. Ich habe Büromitarbeitende, die für mich irgendwelche Aktenordner schleppen, die ich nicht mehr schleppen kann. Also es ist eine relativ komfortable Situation. 

Matthias Klaus: Was war die Arbeit, die Sie vorher gemacht haben? 

Stephanie Aeffner: Ich war Landesbehindertenbeauftragte in Baden-Württemberg. 

Matthias Klaus: Von da sind Sie jetzt in den Bundestag gewählt worden. Wie war es denn der erste Eindruck? Die Barrierefreiheit des Bundestages? Gibt es da irgendwelche Anfangs-Anekdoten, wo Sie hingekommen sind  und haben, gedacht: "Um Gottes willen, wie mache ich das jetzt hier?" 

Stephanie Aeffner: Ja, es ist schon sehr erstaunlich. Ich habe zu Anfang eine Spezialführung bekommen, extra für mich und die war irgendwie glaube ich für den zweiten Tag oder so angesetzt. Und am Tag vorher war dann schon eine Fraktionssitzung und dann wollte ich in ein anderes Gebäude rüber und bin dann mit Kollegen losmarschiert und dann fiel denen plötzlich auf: "Ja, ach Gott, wie kommst du denn da weiter?"

Da sind ja Treppen irgendwann und dann haben wir ein bisschen gesucht und dann hatte ich meine Führung. Es gibt einen Mitarbeitenden unserer Fraktion, der selber auch Rollstuhlfahrer ist. Er erzählte mir dann, dass sie schon sehr, sehr lange fragen: Sie hätten gerne mal einen Wegeplan, auf dem man die barrierefreien Wege findet. Und den gibt es nicht.

Vielleicht hat es ja Gründe, warum es diesen Plan nicht gibt, weil eigentlich sind das alles sehr neue Gebäude. Aber ich bin des Öfteren mit irgendwelchen Partnern unterwegs und suche dann den barrierefreien Weg. Und ja, für die erste Fraktionssitzung waren wir im Plenarsaal wegen des  Abstandsgebotes. Und dann saß ich erst mal am Platz von Wolfgang Schäuble. Danach musste umgebaut werden. 

Matthias Klaus: Eine Frage: "War das Tradition oder ist er anders ausgestattet gewesen als die anderen Abgeordnetensitze?" 

Stephanie Aeffner: der ist einfach vorne, der ist erreichbar und er hat halt keinen Stuhl, weil die Stühle sind halt fest montiert. Ja, dann wurde halt umgebaut. Für mich wurde ein Stuhl ausgebaut und es gibt genau zwei Reihen, wo ich hin kann, nämlich Reihe 1 und Reihe 6. 

Matthias Klaus: Ja, wie viele Reihen gibt es insgesamt? 

Stephanie Aeffner: Keine Ahnung, dahinter sind noch eine ganze Menge reihen. Aber ich kann halt auch nicht wie andere einfach mal zu jemanden hingehen und sagen: "Du, können wir mal kurz dies oder jenes besprechen?" Ich muss immer zur Audienz zu mir bitten. 

Matthias Klaus: Es ist also nicht so, dass der Bundestag super optimal barrierefrei ist. Man sollte doch denken: Ein repräsentatives Gebäude machen wir gleich so, wie wir gerne die Zukunft hätten! Aber Sie würden sagen: "So ist das noch lange nicht"? 

Stephanie Aeffner: Nein. Und ich finde schon: Es macht einen Unterschied, ob man sich überall genauso bewegen kann wie alle anderen Kollegen. Das ist zum Beispiel auch so, wenn irgendwelche Wahlen sind, als wir Bundestagsvizepräsidentinnen gewählt haben: Natürlich gehen dann alle hin und gratulieren und ich kann das halt auch nicht und das ist schon störend. 

Matthias Klaus: Da brauche ich jetzt die nächste Frage fast gar nicht mehr zu stellen: Fällt man als Mensch mit sichtbarer Behinderung im Bundestag auf? Gucken die Leute da erst mal komisch?

Ich meine jetzt nicht nur die Abgeordneten - die wissen das ja dann vielleicht schon - sondern so alle? Wird das als ungewöhnlich betrachtet? Oder versucht man da einfach drüber hinwegzuschweigen? 

Stephanie Aeffner: Also komisch angeguckt wurden wir nicht, glaube ich, nirgends. Manchmal bringt so eine Behinderung ja durchaus auch Vorteile mit sich. Ich hab nämlich einen Wiedererkennungswert, und ich habe genau einmal meinen Ausweis vorzeigen müssen. Danach war ich dann bekannt. Und ja, das ist ja manchmal auch von Vorteil. 

Matthias Klaus: Ja. Das kenne ich auch sehr gut. Wie viele Abgeordnete mit Behinderung gibt es denn so in den Parlamenten? Ich habe eben hier mal so diese Zahl von vier Prozent in die Runde geworfen. Kommt das hin? Oder ist es jetzt einfach nur ein Rechenbeispiel, damit man halbwegs Zahlen hat? Ich meine vier Prozent wäre so schlecht ja gar nicht, das ist ja fast die Beschäftigungsquote [die gesetzlich vorgegebene Zielmarke an Beschäftigten mit Behinderung, die Arbeitgeber in Deutschland erfüllen müssen ohne eine Ausgleichszahlung zu leisten]. 

Stephanie Aeffner: Ich habe keine Ahnung, weil die meisten sich auch nicht als "Menschen mit Behinderung" outen. Viele Behinderungen sieht man halt nicht und ich kann das überhaupt nicht beurteilen, ob das so ist oder nicht. 

Matthias Klaus: Hmmm. Das heißt, es ist im Prinzip wie im Leben. Es gibt viele, die auch die Gelegenheit wahrnehmen, da einfach gar nicht drüber zu reden und das auch nicht zu ihrer Mission zu machen. Man versteckt es dann eher mal! 

Stephanie Aeffner: Also es hat zwei Seiten: Ich finde es durchaus berechtigt, nicht über die eigene Behinderung reden zu müssen. Das ist eine persönliche Entscheidung. Vielleicht kommt es auch auf das Politikfeld an, in dem man tätig ist. Wenn ich Verteidigungspolitik mache, ist diese Frage wahrscheinlich nicht so wirklich entscheidend.

Aber auf der anderen Seite finde ich für die Identifikation mit unseren Volksvertreter/-innen wichtig, das Gefühl zu haben, da sitzen auch Menschen, die meine Gruppe repräsentieren. Dafür finde ich es wichtig, es auch zu nennen. Ich komme ja tatsächlich auch ursprünglich aus der Behindertenbewegung und habe dort auch gearbeitet. Für mich ist es wichtig zu sagen: Das ist ein Teil von mir und da bin ich auch stolz drauf. Und das gehört auch dazu, das sichtbar zu machen in unserer Gesellschaft. 

Matthias Klaus: Ich habe ja auch eine sichtbare Behinderung, ich kann das nie wegstecken. Haben Sie auch manchmal so ganz heimlich so ein bisschen Neid? Möchten Sie da jetzt mal so drei Tage einfach nicht drauf angesprochen werden? Einfach mal so unmarkiert sein, wäre das nicht auch mal schön? Wie geht es Ihnen damit? 

Stephanie Aeffner: Also für mich selber so im Empfinden und im politischen Alltag, spielt das gar nicht mehr so die Rolle. Aber ich hatte ein für mich sehr eindrückliches Erlebnis, wie anders es sein kann, wenn man auf Menschen trifft, jetzt so völlig abseits vom beruflichen Kontext, die einen nicht kennen. Ich war 2018 das erste Mal in Kanada. Und es ist mir noch nie so gegangen: Diese ganze Reise kamen Menschen auf mich zu haben gesagt: "Oh, woher kommst du denn? Was machst du denn? Was macht ihr denn hier? Und was unternehmt Ihr denn? Und was arbeitest du denn?"

Das ist ja interessant und keiner hat nach meiner Behinderung gefragt! Das war für mich schon sehr eindrücklich, weil man sieht die Behinderung ja offensichtlich , aber es hat sie überhaupt nicht interessiert! Ich glaube, in Deutschland gibt es noch sehr viele Orte, wenn man da hinkommt, da würde man nicht mal auf die Idee kommen zu fragen: "Was arbeitest du?", wenn man einen  Mensch mit Behinderung vor sich sieht. 

Matthias Klaus: Sie sind ja wahrscheinlich in den Bundestag gegangen oder haben sich auch aufgestellt, weil sie bestimmte Themen bearbeiten. Ich nehme an, Sie interessieren sich auch direkt für Behinderungsthemen, für Dinge, die damit zusammenhängen. Was ist denn Ihr politisches Programm für die nächsten vier Jahre? 

Stephanie Aeffner: Ich bin auf jeden Fall Mitglied im Sozialausschuss in Zukunft und werde behindertenpolitische Themen bearbeiten. Das teilen wir gerade noch so ein bisschen auf bei uns in der Fraktion. Auch Armutsthemen sind etwas, was mich sehr bewegt, sehr antreibt. Wir haben ja das Thema "Bürgergeld" im Koalitionsvertrag vereinbart, aber natürlich auch die ganz klassischen behindertenpolitischen Themen.

Und da finde ich, kann sich der Koalitionsvertrag schon durchaus sehen lassen. Zum Beispiel, dass wir in puncto Barrierefreiheit jetzt auch mal die Diskussion um Behörden und deren Gebäude verlassen und wirklich in den privatwirtschaftlichen Bereich gehen. Das, finde ich, ist ein Riesenfortschritt. 

Matthias Klaus: Werden Sie das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz noch mal hochziehen, sozusagen? 

Stephanie Aeffner: Nicht nur das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Da geht es ja im Prinzip um die ganzen digitalen Anwendungen: Fahrkartenautomaten, Bankautomaten und so weiter. Da werden wir tatsächlich noch mal dran gehen müssen. Aber tatsächlich auch im baulichen Bereich: Wir wollen zum Abbau von Barrieren auch die Privatwirtschaft verpflichten.

Wir haben uns das angeschaut: Es gibt im internationalen Vergleich da einige Beispiele, und das werden wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens klären. Wie lange setzt man eine Frist? Und innerhalb dieser Frist muss Barrierefreiheit eben auch bei allem hergestellt werden, was öffentlich zugänglich ist, wo Produkte verkauft werden, Dienstleistungen angeboten werden. Da hängt natürlich noch so ein bisschen was dran, dass man kleine Unternehmen nicht überfordert, dass es vielleicht auch Dinge gibt, wo es tatsächlich nicht möglich ist und wo man alternativ angemessene Vorkehrungen treffen muss. Aber tatsächlich, wirklich: Die bebaute Umwelt wollen wir mit angehen. 

Matthias Klaus: Als Sie sich entschlossen haben, in den Bundestag zu gehen oder sich da auf die Liste setzen zu lassen oder wie auch immer das dann funktioniert im Einzelnen: Hatten Sie irgendwelche bestimmten Sachen, wo sie sagten: "Das möchte ich aber dann unbedingt mal zur Sprache bringen!" Und: "Dieses Thema ist viel zu wenig da!"  Gibt es neben der baulichen Barrierefreiheit dann noch etwas, wo Sie sagen: "Dafür brenne ich, deswegen sitze ich hier." 

Stephanie Aeffner: Ja, ich finde in dem ganzen Bereich sozialer Leistungen, das reicht von Krankenversicherungen über die Eingliederungshilfe, was mit dem Bundesteilhabegesetz gemacht worden ist, über Pflege, Leistungen oder auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben: Die Menschen haben faktisch ein Riesenproblem.

Es ist ein wahnsinnig bürokratisches System geworden, wo man kaum durchblickt. Es ist total schwierig, überhaupt rauszufinden, welcher Träger ist denn jetzt für mich zuständig? Und das ist für die betroffenen Menschen ein Irrsinn, wie lange sie um irgendwelche Dinge kämpfen müssen. Und auch an dieser Stelle müssen wir ganz dringend nachbessern.

Oder beim Thema Assistenzleistungen: Es kann nicht sein, dass wir nach wie vor Einkommens- und Vermögenseinsätze haben. Auch an dieser Stelle werden wir dran bleiben und haben uns das auch vorgenommen, da in der Koalition weitere Schritte zu gehen. 

Ein Punkt ist zum Beispiel (was ich immer wieder erlebe): Da möchte jemand irgendwo anfangen zu arbeiten und er braucht vielleicht Umbauten, Hilfsmittel, Assistenz, was auch immer. Er beantragt das, geht zu den Integrationsämtern und dann dauert es und dauert es...

Nun, ein Arbeitgeber wird sich halt nicht ewig Zeit lassen und sagen: Also ich bräuchte jemanden, könntest du anfangen? Aber ohne diese Dinge kann man halt nicht anfangen. Und deshalb haben wir uns für den Bereich tatsächlich vorgenommen. Sechs Wochen nachdem alle Antrags Unterlagen da sind, wenn da keine Reaktion erfolgt ist, dann gilt der Antrag als genehmigt, die sogenannte "Genehmigungsfiktion." 

Matthias Klaus: Sie haben gerade gesagt, Sie stammen aus der Behindertenbewegung. Was hat Sie denn dazu gebracht, politisch aktiv zu werden? Also auch jetzt Behindertenbeauftragte werden zu wollen, in eine Partei einzutreten und dann jetzt im Bundestag zu enden. Das ist ja ein Weg, den nicht jeder Aktivist, jede Aktivistin einschlägt. 

Stephanie Aeffner: Also es gab eigentlich immer beides parallel. Ich war immer ein politischer Mensch. Ich war immer politisch engagiert, da, wo ich gerade war, von Stadtschülerrat über Studierendenvertretung, lokal in der Bewegung von Menschen mit Behinderungen. Und ich bin ja von Beruf Sozialarbeiterin.

Und dann habe ich irgendwann bei "Selbstbestimmt Leben" in der Beratung gearbeitet. Aber die ganze Zeit habe ich mich nebenher auch schon lange parteipolitisch engagiert. Aus meiner Beratungsarbeit entsprang so ganz klar die Erkenntnis: "Es gibt einfach Dinge, für die finde ich, egal wie gut ich mich auskenne, keine Lösung." Und wenn ich das verändern will, dann muss ich halt die Gesetze verändern.

Dann hatte ich ehrenamtliche Ämter in der Partei. Und 2016, bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, hat dann die Koalition gewechselt. Vorher war es eine grün-rote Koalition. Das Sozialministerium und damit auch der Behindertenbeauftragte waren bei der SPD. Und dann kam es ja bekanntlich zu schwarz grün. Und dann habe ich darüber nachgedacht und dachte auch: Das wäre doch eigentlich eine tolle Aufgabe.

Dann haben wir das Sozialministerium bekommen und es gab ein Interessenbekundungsverfahren. Ich habe mich darauf beworben und es hat funktioniert, weil ich da dachte: So, und genau das kann ich jetzt tun. All das, wo ich gemerkt habe, da muss man was verändern, damit sich für die Menschen was tut, da reicht die bestehende Rechtslage nicht. Das kann ich mit anstoßen als Landesbehindertenbeauftragte.  

Matthias Klaus: Wie schätzen Sie die Möglichkeiten von behinderten Menschen ein, in der Politik was zu werden oder in der Politik, sich einmischen zu können, erfolgreich zu sein? Vielleicht denken ja viele: "Ach, die nehmen uns da sowieso nicht ernst, da brauchen wir gar nicht hingehen." Hat sich das ein bisschen gebessert in den letzten Jahren? Oder ist das immer noch so schwierig, wie man sich das landläufig vorstellt? 

Stephanie Aeffner: Ich glaube, es gibt zwei Dinge, die es schwierig machen - faktisch. Die eine Schwierigkeit ist einfach: "Wie komme ich denn da ganz praktisch hin? Sei es: Ich brauche Assistenz. Sei es (wenn ich an viele meiner Kommunen denke in meinem Wahlkreis): Da gibt es einfach keine barrierefreien Restaurants mit Nebenräumen, wo man sich zu irgendwelchen Sitzungen treffen kann.

Und naja nun, was soll denn der Ortsverband machen, wenn es halt keine Räume gibt? Irgendwo müssen sie sich ja treffen. Das sind ganz praktische Dinge. Oder für Menschen, die auf barrierefreie Dokumente angewiesen sind: Auch das bewegt sich ja erst so langsam ein bisschen. Und wenn ich immer wieder Sitzungsunterlagen, die ich nicht lesen kann bekomme, ist das sehr blöd. Also ganz praktische Dinge sind eine Schwierigkeit. 

Und die andere Schwierigkeit ist, dass die meisten Menschen in unserer Gesellschaft in ihrem Leben niemals Menschen mit Behinderung als gleichwertiges Gegenüber erlebt haben. Sie begegnen ihnen nicht in der Schule, sie begegnen ihnen nicht in Ausbildung oder Studium und sie begegnen ihnen nicht in der Arbeitswelt. Dadurch entstehen so ein bisschen Unsicherheiten im Umgang und viele Menschen tun sich relativ schwer.

Schon zu der Zeit, als ich angefangen hab, war ich so ein bisschen der Exot. Das verändert sich gerade schon ein Stück weit, dass da mehr Normalität entsteht. Aber wir haben da definitiv noch einen Weg vor uns und wir haben uns als Partei ein neues Grundsatzprogramm gegeben. Im Rahmen dieses Grundsatzprogramm-Prozesses haben wir auch genau das diskutiert: "Wie repräsentativ sind wir eigentlich in der Partei?"

Das betrifft jetzt nicht nur Menschen mit Behinderungen, das betrifft genauso People of Color. Das betrifft Menschen aus dem Bereich LSBTIQ. Und wir haben festgestellt: "Da ist noch deutlich Luft nach oben." Deshalb haben wir uns auch ein Vielfaltsstatut gegeben. Wir haben einen Vielfaltsrat mittlerweile auf Bundesebene und arbeiten gerade da an Maßnahmen. Wie kriegen wir das denn da hin?

So wie das die Frauenbewegung früher gesagt hat: Bildet Banden und vernetzt euch. Man braucht Unterstützerinnen, die einen auf dem Weg begleiten, die einem auch mal Dinge erklären, die vielleicht auch manche Türen öffnen. Und genau das wollen wir jetzt anstoßen, weil da definitiv noch Luft nach oben ist. Aber die Bereitschaft ist zumindest bei uns definitiv da. 

Matthias Klaus: Bei uns meinen sie jetzt "die Grünen", nicht die politische Welt in Deutschland. 

Stephanie Aeffner: Genau. 

Matthias Klaus: Die Frage nach der Repräsentanz wird ja immer wieder gestellt. Wie stehen Sie dazu? Braucht es behinderte Menschen, um ordentliche Behindertenpolitik zu machen? Oder ist das nur ein passender Nebeneffekt, den Sie da jetzt auch haben mit Ihrer Rolle? 

Stephanie Aeffner: Ja und nein. 

Matthias Klaus: Dann erzählen Sie mal. 

Stephanie Aeffner: Eine Antwort, die Sie lieben werden: Ich glaube, ganz grundsätzlich braucht es die auch im politischen Raum. Es ist ja nicht so natürlich letztlich ein Gesetz zu schreiben. Das ist die eine Sache. Aber Programmatik entsteht aus einer Debatte, die entsteht, aus einer Debatte in einer Gesellschaft. Aber sie entsteht eben auch aus einer Debatte in einer Partei, in einer Fraktion. Und zum einen ist es schon etwas anderes, aus welchem Blickwinkel ich Behindertenpolitik mache.

Ich glaube schon, dass es mir in meiner Zeit gelungen ist, in der ich in der Landespolitik aktiv war, dem Thema eine deutlich größere Aufmerksamkeit zu geben, weil ich es einfach überall rein getragen habe. Und das gehört dazu und ich glaube, man kann auch manche Argumente von mir viel schlechter wegwischen, wenn quasi das Problem direkt vor einem sitzt. Das ist dann irgendwie schwieriger. 

Ich glaube auch, was ganz entscheidend ist, diese Haltung: Wo mache ich mich eigentlich schlau, was denn ein Problem ist, das ich ändern muss? Und da bringe ich natürlich ganz klar die Perspektive der betroffenen Menschen ein.

Auf der anderen Seite kann ich auch zu allen möglichen Anbietern von Leistungen gehen. Ich kann in Rehaeinrichtungen gehen, in Berufsförderungswerke, ich kann in Sonderschulen marschieren und kann mir da ein Bild machen. Und das gehört natürlich auch dazu. Aber ich brauche eben auch das Bild der Menschen, für die eigentlich all diese Angebote da sind.

Und ich glaube, wenn Politiker/-innen das beherzigen, dann können tatsächlich auch Menschen ohne Behinderung gute Behindertenpolitik machen. Und ich finde, wir haben da auch echt ein paar gute Beispiele, dass sie das tun. Aber wenn ich tatsächlich immer nur mit Institutionen rede, dann habe ich einen ganz anderen Blick auf das Thema und werde vielleicht nicht unbedingt dem Anliegen der einzelnen Menschen gerecht.

Das ist für mich so ein ganz wichtiger Leitsatz in meiner Politik, dass das der Ort ist, wo ich zuallererst immer hingehe. Also natürlich bin ich als Behindertenbeauftragte eingeladen worden in Einrichtungen, auch in Wohneinrichtungen und so. Ich gehe da aber nur hin, wenn ich dann eben auch mit den Bewohnerbeiräten zum Beispiel Gespräche führen kann. 

Matthias Klaus: Haben Sie es auch schon mal andersherum erlebt, dass Sie irgendwo sozusagen abgekanzelt wurden aus der Reihe: "Ach ja, die Behinderte wieder mit ihrem Behindertenkram. Was soll die denn auch anderes vertreten?" 

Stephanie Aeffner: In dieser Form nicht. Was ich aber schon zu Anfang meiner berufspolitischen Laufbahn durchaus erlebt habe, ist die Wahrnehmung: "Ah, da kommt so eine aus der Selbsthilfe mit ihren radikalen Forderungen. Und wie aber Politik geht, das versteht die ja gar nicht. Und so geht das alles nicht. Und naja, das erklären wir dir jetzt mal." Dass ich tatsächlich auch fachlich richtig Ahnung von den Themen habe, das musste ich schon an manchen Stellen anders unter Beweis stellen, als Menschen ohne Behinderungen das müssen. 

Matthias Klaus: Eine letzte Frage würde ich Ihnen gerne stellen und die ist wahrscheinlich jetzt ein bisschen "jetzt dürfen Sie Werbung machen": Wenn Sie jetzt schauen. Sie haben vier Jahre vor sich. Drei, drei Viertel. Was möchten Sie? Haben Sie sich etwas vorgenommen, was in vier Jahren geschafft ist, was anders ist, was dann besser läuft als jetzt und was Sie beeinflussen können? 

Stephanie Aeffner: Ja, da gibt es eine ganze Reihe von Themen. Also wir haben Barrierefreiheit gesetzlich so geregelt, dass es ganz klar eine Frist gibt: "Wann müssen Barrieren eben auch in der Privatwirtschaft abgebaut sein? Wir begleiten das mit einem Förderprogramm, damit gerade kleinere Unternehmen (das kleine Friseurgeschäft um die Ecke), damit die tatsächlich auch Fördermittel bekommen, wenn sie Umbauten machen. 

Dann haben wir das Thema Bundesteilhabegesetz. Da müssen wir deutliche Verbesserungen erreichen: Wie kommen die Menschen an Leistungen? Wie bürokratiearm ist das? Wie viel Einkommen und Vermögen müssen sie einsetzen? Da muss es auf jeden Fall deutliche Verbesserungen geben. 

Das Thema Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen: Es gibt ja immer mal wieder so tragische Ereignisse, die kurz ein Blitzlicht darauf werfen und dann ist es wieder vergessen. In diesem Thema muss sich was tun. 

Dann wird es einen Aktionsplan geben für ein inklusives, diverses und barrierefreies Gesundheitswesen. Ich glaube, auch das kennen ganz viele Menschen mit Behinderung: "Freie Arztwahl." Ha ha! Da können viele nur drüber lachen. Oder: Wie sieht die Versorgung im Krankenhaus aus? Was ist mit Assistenz im Krankenhaus? Da ist ein Teil geregelt, aber ein Teil eben auch nicht. Und da wollen wir ganz konkrete Maßnahmen erarbeiten und die wirklich in einem Aktionsplan vereinbaren, an dem ich gerne mitarbeiten möchte. 

Dann das Thema: Teilhabe am Arbeitsleben. Da muss sich richtig was tun. Ich glaube, das ist ein sehr polarisiertes Thema. Wir haben auf der einen Seite Menschen, die sagen: "Das Werkstätten-System ist Ausbeutung und das müssen wir abschaffen!" Und auf der anderen Seite haben wir Menschen, die sagen: "Um Gottes Willen! Es braucht auch diesen Schutzraum und es gibt doch gar keine Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt!" 

Da müssen wir Antworten drauf geben und das wollen wir im Dialog mit den betroffenen Menschen tun, weil für mich ist ganz klar: So wie es ist, kann das Werkstätten-System nicht bleiben. Da braucht es weitere Entwicklungen. Aber von heute auf morgen irgendwie einfach zu sagen: "Das schaffen wir alles ab!" Das ist natürlich auch keine Antwort.

Dafür wollen wir eine Enquetekommission einsetzen, um das zu bearbeiten. Ich könnte jetzt noch zwei Stunden erzählen, was wir uns alles vorgenommen haben. Aber ich glaube, das sind so die großen Big Points, an denen wir wirklich arbeiten müssen. 

Matthias Klaus: Was ist Ihnen das Wichtigste? Haben Sie eine Herzensangelegenheit? 

Stephanie Aeffner: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube ganz ganz wichtig ist tatsächlich das Gewaltschutz-Thema. Und dann tatsächlich so in der praktischen Auswirkung (im Übrigen nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für alle älter werdenden Menschen mit Knieproblemen, Krücken, Rollatoren, was auch immer) ist das Barrierefreiheits-Thema. Das wird wirklich den ganz praktischen Lebensalltag vieler Menschen verändern. 

Matthias Klaus: Stephanie Aeffner, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Rollstuhlnutzerin: Frau Aeffner, ich danke Ihnen dafür, dass Sie Zeit dafür hatten, mit uns hier eine halbe Stunde reden zu können. Vielen Dank, Frau Aeffner und ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei all den Projekten, die Sie sich vorgenommen haben. 

Stephanie Aeffner: Vielen Dank auch von meiner Seite. Und dann hoffe ich mal, dass wir in vier Jahren darüber reden können, was von alldem tatsächlich Wirklichkeit geworden ist. 

Matthias Klaus: Ich denke mal, wir sollten einen Termin jetzt schon einstellen nach der nächsten Bundestagswahl. Was bis dann umgesetzt wurde? Vielen Dank. 

Das war "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus. 

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Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.