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Politik

Bangladeschs Jugend geht auf die Barrikaden

Arafatul Islam tko
8. August 2018

Nach einem massiven Polizeieinsatz sind die Massenproteste junger Leute in Bangladesch abgeebbt. Doch die Ursachen für die Wut der jungen Generation auf die Regierung des mehrheitlich muslimischen Landes bestehen weiter.

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Bangladesch Studenten Proteste in Dhaka
Bild: Nasirul Islam

Mit riesigen Staus und allgegenwärtigem Hupen der Autos, Busse und Lastwagen ist am Mittwoch die Normalität auf die Straßen von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka zurückgekehrt. Es gibt kaum noch einen Hinweis auf die Massenproteste, die das ganze Land erschütterten - ausgelöst durch den Tod zweier Jugendlicher, die ein rasender Bus Ende Juli erfasst hatte.

Mindestens 7397 Menschen starben im vergangenen Jahr in Bangladesch bei Verkehrsunfällen. Nach Informationen der privaten "Passengers Welfare Association" kamen 2017 mehr als 20 Menschen pro Tag ums Leben, fast ein Viertel mehr als 2016.

Tausende von Schülern hatten nach dem tödlichen Unfall auf den Straßen der Hauptstadt für mehr Verkehrssicherheit protestiert und bei selbst organisierten Verkehrskontrollen eine beträchtliche Anzahl von Fahrern ohne Führerschein der Polizei übergeben. Die Demonstrationen wurden jedoch gewalttätig, als die Regierung am vergangenen Freitag mit Polizeikräften und regierungsfreundlichen Aktivisten mit Härte gegen die Demonstranten vorgegangen war.

Zunehmendes Klima der Angst

Mehr als 150 Studenten wurden bei den Zusammenstößen mit Polizisten und regierungsfreundlichen Aktivisten verletzt. Mindestens zwanzig Journalisten wurden von Mitgliedern der Jugendorganisation der regierenden Awami League geschlagen. Zahlreiche Medienvertreter wurden verhaftet, einer von ihnen der bekannte Fotograf Shahidul Alam.

Das Leben auf den Straßen hat sich vor allem deshalb wieder normalisiert, so glauben regierungskritische Aktivisten, weil die harsche Reaktion der Regierung ein Klima der Angst unter den Demonstranten geschaffen hat. Viele Aktivisten und Protestteilnehmer sind auf Tauchstation gegangen. Zahlreiche Demonstranten, die in sozialen Medien aktiv waren, haben ihre Konten deaktiviert.

"Wir sind in Panik. Wir hören, dass einige der Studenten, die an den Protesten vom Montag teilgenommen haben, verhaftet wurden", sagte ein Student, der anonym bleiben wollte, der Nachrichtenagentur AFP.

Nur Khan, ein Menschenrechtsaktivist aus Dhaka, sagte der DW, dass noch am Dienstag einige Studenten protestiert hätten, um die Freilassung von Mitstreitern zu erreichen, die in den letzten Tagen in verschiedenen Teilen der Stadt verhaftet worden waren.

"Eine ganze Reihe von Verhaftungen wurde mit Verstößen gegen das ICT-Gesetz begründet, mit dem Vorwurf, die Proteste über soziale Medien zu provozieren", erklärt Khan. Er bezieht sich dabei auf das umstrittenen Gesetzes über die Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT)  des Landes, das Menschenrechtsaktivisten als ein Instrument der Internetzensur kritisieren. "Die Demonstranten wollten dem Fehlen der Rechtsstaatlichkeit im Land ein Ende setzen. Sie wollten Gerechtigkeit. Aber sie wurden von den Behörden misshandelt", fügt Khan hinzu.

Eine gegen die Regierung gerichtete Bewegung?

Natürlich wurden die Studentenproteste hauptsächlich durch die mangelhafte Verkehrssicherheit in Bangladesch ausgelöst, meinen Analysten. Doch die Forderungen nach der Todesstrafe für die Verursacher tödlicher Verkehrsunfälle oder nach dem Rücktritt eines Ministers, dem man vorwirft, nichts gegen das verbreitete Fahren ohne Führerschein zu unternehmen, zeigten auch eine allgemeine Wut auf die Regierung. Michael Kugelman, ein Bangladesch-Experte am Woodrow Wilson Center in Washington, glaubt, dass die Proteste ein Ausdruck langjähriger, aufgestauter Wut über die Regierung und ihre Politik insgesamt waren.

"Es ist schwer vorstellbar, dass die bloße Frage der Verkehrssicherheit, so wichtig sie auch sein mag, so breit angelegte und lang anhaltende Proteste auslösen könnte", meint Kugelman und fügt hinzu: "Das Problem der Verkehrssicherheit ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat und der Auslöser für diese Großdemonstrationen war, für die viel tiefergehende und kompliziertere Missstände verantwortlich sind."

Null Toleranz - Bangladesch

Für den Polititologen Ali Riaz von der Illinois State University liegen die Ursachen für die Proteste vor allem im "Fehlen von Rechtsstaatlichkeit und dem Fehlen einer Rechenschaftspflicht der Regierenden."

"Die Unzufriedenheit der jüngeren Bevölkerung über die Richtung des Landes ist durch diese Bewegung deutlich geworden. Ihr Slogan 'Wir wollen Gerechtigkeit' ist daher sehr aufschlussreich", sagt Riaz.

Während es noch unklar sei, wie es mit den Studentenprotesten weiter geht, glaubt er, dass es schon jetzt eine starke Botschaft an die Entscheidungsträger im Land gegeben habe.

"Was auch immer mit der Bewegung in den kommenden Tagen passiert, wie auch immer sie endet, die jüngere Generation hat gezeigt, dass sie die vorherrschende Kultur der Angst herausfordern kann," sagt er und fügte hinzu: "Ihr Mut wird in der Gesellschaft und Politik Bangladeschs eine dauerhafte Spur hinterlassen."

Gegenwind für Regierungspartei

Bei den aktuellen Schüler- und Studentenprotesten sind zum zweiten Mal in den vergangenen Monaten viele junge Demonstranten auf die Straße gegangen, die keinen politischen Hintergrund haben. Viele der protestierenden Studenten äußerten am 8. April ihre Wut über das Quotensystem bei der Besetzung von Regierungsstellen und forderten eine Reform des Systems. Bei der Besetzung von Regierungsjobs sind in Bangladesch 56 Prozent der staatlichen Stellen für bestimmte "berechtigte" Bevölkerungsgruppen reserviert. 30 Prozent gehen an die Nachkommen von "Freiheitskämpfern" des Unabhängigkeitskrieges von 1971. Jeweils weitere zehn Prozent sind für Frauen reserviert, zehn Prozent für einzelne Bezirke nach ihrem Bevölkerungsanteil, fünf Prozent für ethnische Minderheiten und ein Prozent für Menschen mit Behinderungen. Daher gehen viele gute Schüler leer aus und haben kaum Chancen auf richtige Jobs, wenn sie keiner dieser Bevölkerungsgruppen angehören. Die Antwort der Regierung: repressive Gewalt und Verhaftungen.

Analysten gehen daher davon aus, dass das brutale Vorgehen der Regierung gegen die junge Generation kurz vor den Parlamentswahlen im Dezember negative Auswirkungen auf die Regierungspartei haben könnte. Fast 23 Millionen Erstwähler von mehr als 100 Millionen Wahlberechtigten können dann mitentscheiden, welche Partei das Land in den nächsten fünf Jahre regieren wird.

Nach Einschätzung des politischen Analysten Golam Mortoza aus Dhaka könnte sich das unerbittliche Vorgehen der regierenden Awami League gegen die jungen Demonstranten bei den beiden letzten Massenprotesten rächen.

"Wenn die junge Generation die Chance bekommt, ihre Stimme bei den Parlamentswahlen abzugeben, wird das für die Regierungspartei nicht angenehm sein", sagte er gegenüber der DW. "Selbst wenn es durch Wahlmanipulation und andere Wahlbetrügereien nicht zu politischen Veränderungen kommt, wird diese Generation das repressive Verhalten der Regierungspartei nie vergessen."

Viele Experten befürchten, dass die Wahlen weder frei, noch fair sein werden. Die Awami League scheint entschlossen, mit Gewalt statt mit öffentlicher Unterstützung an der Macht zu bleiben. Nicht ohne Grund hat die Bertelsmann-Stiftung das Land kürzlich als Autokratie bezeichnet. 

 

DW Bengali Arafatul Islam
Arafatul Islam Multimedia-Journalist mit den Schwerpunkten Bangladesch, Menschenrechte und Migration@arafatul