1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bangladesch: So tötet das 'Killerkommando' RAB

Christian Caurla | Naomi Conrad | Arafatul Islam | Birgitta Schülke
3. April 2023

Das Rapid Action Battalion in Bangladesch soll vor allem den Terror bekämpfen. In einer Investigation von DW und Netra News behaupten zwei Ex-Kommandeure, dass die Regierung RAB für Hinrichtungen benutzt.

https://p.dw.com/p/4PbXa
Zwei schwer bewaffnete Mitglieder von RAB, der Eliteeinheit der Polizei in Bangladesch, tragen schwarze Gesichtsmasken und halten Kalaschnikows vor ihren Oberkörpern
Das Rapid Action Battalion (RAB) wurde 2004 gegründet, um Terror und organisierte Kriminalität zu bekämpfenBild: Sony Ramany/NurPhoto/picture alliance

Gefürchtet: Bangladeschs Spezialeinheit RAB

Patronenhülsen. Dschihadistische Kampfliteratur. Oder Drogen. Was davon zum Einsatz kommt, hängt ganz von der Inszenierung ab, berichtet ein Insider. Um einen sorgfältig geplanten Mord wie einen Polizeieinsatz mit Notwehr aussehen zu lassen, braucht die Spezialeinheit 'Rapid Action Battalion' (RAB) nur ein paar Requisiten. Die gefälschten Beweismittel dienen zur Tarnung. Um die Spuren der Hinrichtung zu verwischen. Genau so schildert es der RAB-Kommandeur, der selbst beteiligt war.

Die DW und die schwedisch-bangladeschische Investigativplattform Netra News haben mehrere Monate recherchiert, um Einblicke in das Innenleben der Eliteeinheit der Polizei zu gewinnen. Seit ihrer Gründung im Jahr 2004 werden die Männer in den schwarzen Uniformen von vielen in Bangladesch gefürchtet.

Ministerium weist Vorwürfe zurück

Ursprünglich sollte die heute etwa 13.000 Mann starke Truppe Terrorismus und organisierte Kriminalität bekämpfen. Doch Aktivisten und betroffene Familien machen RAB für hunderte Entführungen und Morde verantwortlich – ein Vorwurf, den das bangladeschische Innenministerium in einer Stellungnahme gegenüber DW und Netra News als "erfunden, fabriziert und politisch motiviert" zurückweist.

Jeder Vorfall werde im Auftrag des Innenministeriums von einem Gericht untersucht – und nach den Abschlussberichten sei der Vorwurf gegen RAB "allem Anschein nach nicht authentisch."

EXKLUSIV! Bildmaterial für DW Investigativ-Team/Special zu Rapid Action Battalion (RAB) Bangladesch
Hunderte Familien in Bangladesch leiden, weil sie nicht wissen, was mit ihren verschwundenen Vätern, Brüdern und Söhnen passiert ist Bild: Arafatul Islam/DW

Doch von vielen Opfern fehlt bis heute jede Spur. Todesfälle werden nicht aufgeklärt. Das veranlasste die USA Ende 2021, die Spezialeinheit sowie sieben ehemalige und amtierende Offiziere auf ihre Sanktionsliste zu setzen.

Südasien-Experte Michael Kugelman von der Denkfabrik Wilson Center in Washington hält das für einen wichtigen Schritt: "Solche Einheiten sind vor allem deshalb gewaltbereit, weil sie straflos agieren können."

RAB-Insider beschuldigen Regierung

Zum ersten Mal sagen nun zwei Whistleblower über die Arbeit und die Befehlskette von RAB aus. Sie belasten auch die Regierung schwer.

Die beiden Insider waren Armeeoffiziere und wurden in den vergangenen Jahren zur Arbeit bei RAB abkommandiert. Die Elitetruppe besteht aus Militär- und Polizeikräften. Die ehemaligen Kommandeure dienten in verschiedenen Einheiten innerhalb der Spezialkräfte. Ihre Identität muss geheim bleiben, um sie und ihre Familien zu schützen. RAB sei "ein Killerkommando", so einer von ihnen. DW und Netra News haben ihre Identität verifiziert.

Ein Ex-Kommandeur von RAB sitzt im gleißenden Scheinwerferlicht in einem Studio. Von dem Whistleblower ist nur die schwarze Silhouette zu erkennen.
Zum ersten mal seit der Gründung von RAB sprechen zwei Ex-Kommandeure über das Innenleben der Elitetruppe. Die Whistleblower gehen ein großes persönliches Risiko einBild: DW

"Es geht nicht einfach nur darum, dass wir jemanden eliminieren", sagt einer der beiden ehemaligen RAB-Kommandeure. "Wir bringen die ganze Familie und die Angehörigen dieser Person in Gefahr und traumatisieren sie für den Rest ihres Lebens."

Getrennte Befragungen über Tage

DW und Netra News haben die Whistleblower getrennt voneinander über mehrere Tage befragt. Ihre Aussagen decken sich mit den Analysen von Experten und bekräftigen die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten. Das Journalistenteam hat auch Autopsie- und Polizeiberichte sowie die Tonaufnahme einer Hinrichtung ausgewertet.

Trotzdem können DW und Netra News nicht jede Aussage der beiden Männer verifizieren. Befehle für die geheimen Operationen würden in der Regel nur mündlich erteilt, um belastende Unterlagen zu vermeiden, so die beiden Männer übereinstimmend.

Doch zusammengenommen lassen die Dokumente und die Aussagen von Opfern und Insidern den Schluss zu, dass das Rapid Action Battalion in Bangladesch systematisch schwere Menschenrechtsverletzungen begeht.

Schattenriss des zweiten Whistleblowers, den DW und NETRA an einem geheimen Ort getroffen haben
RAB sei ein "Killerkommando", sagt einer der beiden Ex-Kommandeure. Beide belasten die Regierung. Das Innenministerium weist den Vorwurf als "bösartig und politisch motiviert" zurück Bild: Chris Caurla/DW

Genehmigung von höchster Stelle

Beide Ex-Kommandeure behaupten, dass die Taten – Entführungen, Folter, Hinrichtungen – von hohen Regierungsbeamten genehmigt oder zumindest gebilligt werden.

Wenn eine Zielperson einen politischen Hintergrund habe oder politisch vernetzt sei, sei eine Freigabe der außergerichtlichen Tötung von oben nötig: "Die würde zumindest vom Innenministerium kommen, oder der Innenminister selbst würde diesen Befehl erteilen."

RAB ist dem Innenministerium unterstellt. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Innenminister so etwas befiehlt, wenn keine Zustimmung der Premierministerin vorliegt", sagt einer der Whistleblower. Er meint Sheikh Hasina, die das südasiatische Land seit 2009 regiert.

DW und Netra News können diese Aussage zur Befehlskette nicht unabhängig überprüfen und haben alle Beschuldigten direkt mit den Details der erhobenen Vorwürfe konfrontiert. Das Büro der Premierministerin ließ die Anfrage unbeantwortet. Das Innenministerium weist den Vorwurf der Beteiligung der Premierministerin und des Innenministers in einer schriftlichen Stellungnahme als "böswillig und politisch motiviert" zurück.

Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina spricht mit erhobenem Zeigefinger in zwei Mikrofone
Premierministerin Sheikh Hasina ist seit 2009 im Amt. Zu Beginn des kommenden Jahres sollen die nächsten Wahlen stattfindenBild: PID Bangladesh government

Anatomie eines Verbrechens

Beide Whistleblower schildern übereinstimmend, wie die Opfer meist spät in der Nacht, wenn die Straßen leer und die Geschäfte geschlossen sind, abgeholt und mit verbundenen Augen in einen zivilen Lieferwagen geworfen würden, um sie an einen sorgfältig ausgewählten Tatort zu bringen.

Einige Opfer, so einer der Informanten, bettelten um ihr Leben, andere blieben stumm. Am Tatort werde so auf die "ausgewählten Ziele" geschossen, dass sie langsam zu Tode bluteten. Das dauere bis zu 20 Minuten. Das Verbluten der Opfer bestätigen auch Autopsie- und Polizeiberichte, die DW und Netra einsehen konnten.

Nach den Morden werde dann der Tatort manipuliert, um falsche Fährten zu legen. Man lege eine Waffe neben den Leichnam, verstreue Patronenhülsen und feuere in die Luft. Die falschen Beweise sollen den Eindruck erzeugen, dass RAB in Notwehr handelte.

Geheime Foltergefängnisse

Nach Angaben der beiden Ex-Kommandeure unterhält RAB auch ein geheimes Netzwerk von Gefängnissen. In jedem dieser Gefängnisse gebe es einen isolierten Verhörraum, der mit Folterwerkzeugen ausgestattet sei.

EXKLUSIV! Bildmaterial für DW Investigativ-Team/Special zu Rapid Action Battalion (RAB) Bangladesch
So hat ein junger Mann den Raum in Erinnerung, in dem er gefoltert wurdeBild: DW

Ein junger Mann aus der Hauptstadt Dhaka, der nach eigenen Angaben Ende 2021 in einem RAB-Gefängnis inhaftiert war, bestätigt das. Er erinnert sich an Baseballschläger. An Elektroschocks. Und an einen Haken, mit dem Gefangene an der Decke aufgehängt werden: "Ich dachte, so werden nur Terroristen behandelt." Er hatte Glück. Er kam frei und überlebte.

Doch von hunderten Menschen, die in den vergangenen Jahren von RAB festgenommen wurden, fehlt bis heute jede Spur. Viele waren Oppositionelle, die während der turbulenten Wahlkämpfe 2014 und 2018 verschwanden. Ihre Angehörigen finden bis heute keine Ruhe und klammern sich an die Hoffnung.

Das sei vergeblich, sagt einer der Whistleblower. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Entführten noch lebend zurückkehren, "liegt bei weniger als einem Prozent.” RAB sei keine Organisation, die Menschen jahrelang einsperre. Er fordert die Auflösung der Elitetruppe: "In einem Land wie Bangladesch sollte es keine derartige Organisation geben."

"Haltlose, unwahre" Recherche

DW und Netra News haben auch das Rapid Action Battalion mit allen erhobenen Vorwürfen konfrontiert. Ein RAB-Sprecher schrieb, man bedauere es außerordentlich, die Fragen nicht beantworten zu können. Die DW möge sich an das Innenministerium wenden.

RAB-Polizisten in schwarzen Uniformen und mit Helmen, deren Visiere offen sind, stehen in einer Reihe
RAB ließ alle Fragen von DW und Netra unbeantwortet. In seiner Antwort verwies ein Sprecher statt dessen auf das Innenministerium Bild: Munir Uz Zaman/AFP

In seiner schriftlichen Stellungnahme bezeichnete das verantwortliche Ministerium die gemeinsamen Rechercheergebnisse als "überbewertet, übertrieben, haltlos und unwahr." Die Deutsche Welle wird aufgefordert, sich von der "Verbreitung parteiischer Ansichten zu distanzieren.”

Die nächsten Parlamentswahlen in Bangladesch sollen Anfang des kommenden Jahres stattfinden. Die Europäische Union und das Vereinigte Königreich (UK) haben bislang keine Sanktionen gegen RAB erlassen.

Redaktion: Mathias Stamm 

Mitarbeit: Julett Pineda

Conrad Naomi Kommentarbild App
Naomi Conrad Investigativ-Reporterin@NaomiConrad
DW Bengali Arafatul Islam
Arafatul Islam Multimedia-Journalist mit den Schwerpunkten Bangladesch, Menschenrechte und Migration@arafatul
DW Birgitta Schülke, TV Schaltbild / Provisorisch
Birgitta Schülke Reporterin DW-Investigativ@BirSchuelke