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PolitikNahost

Unterstützung für saudischen Menschenrechtler

7. September 2022

Nach zehn Jahren Haft könnte der inhaftierte saudische Aktivist und Wirtschaftsprofessor Mohammad al-Qahtani bald freikommen. Sein Fall dokumentiert, wie viele andere, die Willkür des saudischen Rechtssystems.

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Der saudische Menschenrechtler Mohammad al-Qahtani
Seine zehnjährige Haftzeit ist bald abgelaufen: der saudische Menschenrechtler Mohammad al-Qahtani Bild: privat

Falls die saudische Justiz ihren eigenen Vorgaben folgt, dann sollte der saudische Menschenrechtsaktivist und Ökonom Mohammad Fahad Muflih al-Qahtani nach rund zehn Jahren in Haft im November endlich seine Freiheit zurückerhalten. Jedenfalls besteht Hoffnung, dass er nach Absitzen seiner Haftstrafe das Gefängnis verlassen darf. Lange Zeit würde er sich dann allerdings wohl trotzdem weiterhin in Saudi-Arabien aufhalten müssen. Denn das Gericht hatte neben der Haft auch ein zehnjähriges Reiseverbot über ihn verhängt, das direkt nach seiner Freilassung in Kraft tritt.

Verurteilt wurde der nach unterschiedlichen Quellen 1965 oder 1966 geborene al-Qahtani, zuvor Professor am Institut für Diplomatische Studien in Riad, für sein menschenrechtliches Engagement: Er ist einer der Initiatoren der 2009 gegründeten Menschenrechtsorganisation "Saudi Civil and Political Rights Association" (ACPRA). Die Organisation fordert die Umsetzung der Grundsätze der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, eine konstitutionelle Monarchie mit einem gewählten Parlament und die Schaffung von transparenten und rechenschaftspflichtigen Rechtsinstitutionen in Saudi-Arabien. Insbesondere durch die Forderung einer konstitutionellen Monarchie wurde die NGO zu einer gefährlichen Herausforderung für das absolutistisch regierende Königshaus in Riad.

Sein Urteil fällte das Gericht im Jahr 2013. Dessen Grundlage waren einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge unter anderem diese Anklagepunkte: "Bruch der Treue zum Herrscher", "Verbreitung von Chaos und Destabilisierung der öffentlichen Ordnung", "Gründung einer nicht genehmigten Organisation", "Infragestellung der Integrität von Beamten".

Kommt er wirklich frei?

Nach rein juristischen Aspekten dürfte al-Qahtani tatsächlich bald freikommen, meint die Menschenrechtlerin Lina al-Hathloul, Kommunikationschefin der in London ansässigen Organisation ALQST ("Das Maß"), die sich für Menschenrechte in Saudi-Arabien einsetzt. "Für die saudischen Behörden wäre es schwierig, ihn nach dem Ende seiner Haftstrafe weiter im Gefängnis zu lassen. Das könnte einen enormen Druck erzeugen, dem sie nicht gewachsen wären", so al-Hathoul im DW-Interview - einerseits.

Andererseits sei eine reguläre Haftentlassung leider keineswegs selbstverständlich in Saudi-Arabien, fügt die Menschenrechtlerin hinzu. "Wir haben einige Fälle gesehen, in denen es anders war. So etwa blieb der kürzlich freigelassene palästinensische Dichter Aschraf Fayyadh fast ein Jahr über das Ende seiner Strafe hinaus in Haft. Wir hoffen, dass dies nicht zu einem Trend wird", so Lina al-Hathloul, die auch Schwester der bekannten saudischen Frauenrechtsaktivistin Ludschain al-Hathlul ist. Letztere hatte jahrelang das in Saudi-Arabien existierende Auto-Fahrverbot für Frauen bekämpft. 2018 war sie verhaftet worden und saß danach fast drei Jahre im Gefängnis. Im Februar vergangenen Jahres wurde sie auf Grundlage des nachträglich gesprochenen Urteils freigelassen. Allerdings steht auch sie nun unter einer fünfjährigen Ausreisesperre. 

Deutscher Politiker als 'Pate'

Mohammad al-Qahtani hat auch in Deutschland prominente Fürsprecher. So hat Rainer Keller, Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, im Rahmen des Programms "Parlamentarier schützen Parlamentarier" des Deutschen Bundestages eine Patenschaft für al-Qahtani übernommen. Dieses Programm soll neben bedrohten Abgeordneten in aller Welt auch drangsalierten Menschenrechts-Aktivisten zugute kommen. Die Patenschaft könne al-Qahtani schützen, meint Rainer Keller im Gespräch mit der DW. "Denn auf politischer Seite können wir damit Öffentlichkeit herstellen. Auch versuchen wir, über diplomatische Kanäle für unsere Paten einzutreten", so Keller, der auch Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe sowie Berichterstatter für Saudi-Arabien ist.

Die Patenschaft für al-Qahtani versteht der SPD-Politiker auch als Botschaft: "Die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien sind ja immanent. Vor diesem Hintergrund ist es für uns wichtig, als Parlamentarier diese Menschenrechtsverletzungen immer wieder zum Thema zu machen."

Rainer Keller, Bundestagsabgeordneter der SPD und parlamentarischer 'Pate" des saudischen Menschenrechtlers al-Qahtani
"Müssen Menschenrechtsverletzungen immer wieder zum Thema machen": Rainer Keller (SPD), Mitglied des Deutschen Bundestags, hat eine parlamentarische Patenschaft für den saudischen Menschenrechtler al-Qahtani übernommen Bild: Deutscher Bundestag/ Inga Haar

Kritik an Haltung des Westens

Dass internationales Engagement für inhaftierte saudische Menschenrechtler hilfreich sei, findet auch Menschenrechtlerin Lina al-Hathloul. Beklagenswert sei allerdings, dass westliche Regierungen das saudische Herrschaftssystem immer noch unterstützten. "Aufgrund dieser Unterstützung hat unser Regime bislang überlebt - und die Unterdrückung der Bevölkerung massiv verstärkt." Sie erinnert an die Ermordung des saudischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul im Herbst 2018 - mutmaßlich mit Wissen des mächtigen Kronprinzen Mohammed bin Salman.

"Mohammed bin Salman wurde nach dem Mord politisch isoliert", so al-Hathloul. "Dann aber kam er auf die internationale Bühne zurück, etwa dank des Besuchs von US-Präsident Joe Biden im vergangenen Juli, ebenso dank des Empfangs durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, ebenfalls im Juli - und ungeachtet des Umstands, dass bin Salman die Repressionen zuletzt verstärkt hat."

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, hier beim Empfang durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, im Juli 2022
Trotz Menschenrechtsverletzungen zurück auf internationaler Bühne: der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, hier beim Empfang durch Frankreichs Präsidenten Macron, Juli 2022Bild: Lewis Joly/AP Photo/picture alliance

Jahrzehnte Haft für ein paar Posts

Wie Keller erwähnt auch al-Hathloul den Fall der Studentin Salma al-Schehab, die Anfang dieses Monats zu 34 Jahren Gefängnis und einem anschließenden, ebenfalls 34 Jahre dauernden Ausreiseverbot verurteilt wurde. Verhaftet wurde die in England studierende Frau während einer Reise in ihr Heimatland im Dezember 2020 / Januar 2021. Ihr Vergehen: Sie habe "denjenigen Hilfe geleistet, die versuchen, die öffentliche Ordnung zu stören und die staatliche Sicherheit zu destabilisieren, indem sie ihnen auf Twitter folgt", so die von der britischen Tageszeitung 'The Guardian' übersetzten Gerichtsdokumente. Al-Schehab hatte unter anderem Social-Media-Posts geteilt und gelikt, die sich für die Entlassung anderer Menschenrechtlerinnen einsetzte.

Vor wenigen Tagen wurde zudem eine weitere sich kritisch äußernde saudische Staatsbürgerin, Noura bint Saeed al-Qahtani, zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt. Das berichtete die Menschenrechtsorganisation 'Dawn' unter Berufung auf Gerichtsdokumente. Sie habe das "soziale Gefüge (des Königreichs) mit Hilfe des Internets zerreißen" wollen und "die öffentliche Ordnung" durch Einsatz sozialer Medien "verletzt", zitierte 'Dawn' aus den Gerichtsdokumenten.

Fälle wie diese zeigten eines, so SPD-Mann Rainer Keller: "Saudi-Arabien ist noch sehr weit weg von dem, was wir als Menschenrechtsstandards definiert haben." Die westlichen Regierungen seien darum gefordert, so al-Hathloul: "Sie müssen sich bewusst machen, welchen Einfluss sie auf das saudische Regime haben." Denn der Kronprinz könne nur überleben, wenn die westlichen Regierungen ihn akzeptierten. "Tun sie dass, sieht er das als grünes Licht, um seine Vorstellungen durchzusetzen. Dazu gehört auch, die saudische Bevölkerung zu unterdrücken."

Foto der Studentin und Aktivistin Salma al-Schehab im Interview mit einem saudischen Journalisten - ein Bild aus dem Jahr 2014
34 Jahre Haft für ein paar Tweets: Salma al-Schehab, hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2014Bild: Saudi state television/AP Photo/picture alliance

Um so mehr käme es auf die Zivilgesellschaften der westlichen Staaten an, so al-Hathloul. "Sie sollten die Aussagen saudischer Menschenrechtler zur Kenntnis nehmen - und nicht alles glauben, was das saudische Regime über neue Pläne zur Verbesserung der Menschenrechte sagt." Denn diese Erklärungen entsprängen in erster Linie der Sorge des Regimes um sein Image im Ausland. 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika