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Begrenzte Sicherheit

Christoph Hasselbach24. August 2015

Nach dem vereitelten Blutbad im Thalys-Zug sind sich Regierungen und Sicherheitsexperten in Europa einig: Den Bahnverkehr kann man letztlich nicht gegen Attentäter schützen.

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Polizisten vor Thalys-Zug Foto: picture-alliance/dpa/N. Maeterlinck
Bild: picture-alliance/dpa/N. Maeterlinck

Die Reaktionen sind ernüchternd. Egal, wer sich nach dem Vorfall im Thalys vom Freitag zum Thema Sicherheit im Zugverkehr äußert, sagt im Prinzip dasselbe: Umfassende Kontrollen, etwa wie im Flugverkehr, sind bei der Eisenbahn wegen der schieren Masse der Passagiere nicht möglich. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte, er könne sich "nicht vorstellen, in jede S-Bahn und in jeden Zug Sicherheitsbeamte zu stellen."

Guillaume Pepy, der Chef der französischen Eisenbahngesellschaft, SNCF, wies in der Zeitung "Le Journal du Dimanche" darauf hin, der Eisenbahnverkehr in Frankreich sei zwanzigmal so umfangreich wie der Luftverkehr. Ähnliche Kontrollen seien deshalb ein Ding der Unmöglichkeit. Man müsse sich zwischen umfassender Sicherheit und Effizienz entscheiden.

Schengen unter Druck

Auch Christopher Irwin, Vizepräsident des Europäischen Fahrgastverbandes, einer Lobbygruppe für Bahnkunden, twittert in der "New York Times" zu dem Vorschlag, Bahnreise wie Fluggäste zu kontrollieren: "Wenn man das macht, kann man den Verkehr nicht am Laufen halten. Die Bahnhöfe haben einfach nicht den Platz für die Menschenschlangen, die sich dann bilden würden."

Einzige Ausnahme in Europa für flughafenähnliche Kontrollen ist der Eurostar, der zwischen Paris oder Brüssel und London verkehrt. Wer ihn besteigt, muss sich eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges in einem gesonderten Bahnhofsbereich einer, allerdings nicht sehr gründlichen Sicherheitskontrolle unterziehen und sich ausweisen. Die Kontrollen hängen aber vor allem damit zusammen, dass Großbritannien außerhalb des grenzkontrollfreien Schengen-Raums liegt.

Belgiens Ministerpräsident Charles Michel ist nach dem vereitelten Attentat dafür, in den Thalys-Zügen, die Ziele in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland anfahren, Kontrollen wie im Eurostar einzuführen. Ob das mit Schengen vereinbar ist, dazu drückte sich ein Kommissionssprecher am Montag zurückhaltend aus. Schengen selbst sei "nicht verhandelbar". Die Schengen-Regeln böten aber genügend Ausnahmen. Speziell Sicherheitskontrollen im Bahnverkehr seien möglich, solange sie nicht normalen Grenzkontrollen gleichkämen. Was das genau bedeutet, sagte der Sprecher nicht. In jedem Fall gelte es, einen "Hyperaktionismus" zu vermeiden.

Frankreichs Präsident Hollande mit ausgezeichneten Passagieren aus dem Thalys Foto: Reuters/M. Euler
Frankreichs Präsident Hollande (Mitte) hat die Passagiere ausgezeichnet, die Schlimmeres verhindert haben.Bild: Reuters/M. Euler

Polizeigewerkschaft: mehr Präsenz auf Bahnhöfen

Die Innenminister und Bahnchefs Europas wollen sich allerdings von der Öffentlichkeit auch keine Untätigkeit vorwerfen lassen. Fast ein wenig hilflos hat SNCF-Chef Guillaume Pepy für Frankreich die Notrufnummer 3117 eingerichtet. Wer verdächtiges Verhalten eines Fahrgastes beobachte, soll sie anrufen. Doch das dürfte Vielen nicht reichen. Pepy hat auch den Schauspieler Jean-Hughues Anglade empfangen, der sich am Freitag unter den Passagieren des Thalys befand. Anglade hat sich beklagt, Besatzungsmitglieder des Speisewagens hätten die Flucht ergriffen, als die Lage bedrohlich wurde, statt einzugreifen.

Doch was hätten Speisewagenkellner oder Schaffner schon tun können? Was die Deutsche Bahn betrifft, so heißt es von dem Unternehmen auf Anfrage, für die Sicherheit und Anti-Terror-Maßnahmen in und um Züge sei die Bundespolizei zuständig. Die Bahn selbst habe 3700 Sicherheitskräfte, die zum Beispiel Kontrolleure begleiten und eingreifen, wenn ein Fahrgast ausfällig oder alkoholisiert ist. Diese Sicherheitskräfte seien aber nur mit Schlagstöcken und Pfefferspray bewaffnet und auf Situationen wie die im Thalys nicht vorbereitet.

Für die Gewerkschaft der Polizei, GdP, ist das Thema ein gefundenes Fressen. Sie ist für mehr Präsenz an den Bahnhöfen, hat aber nach eigenen Angaben nicht das Personal dafür. Der stellvertretende GdP-Vorsitzende Jörg Radeck sagte der Deutschen Welle: "Wir haben nicht mal genügend Personal, um einen Taschendieb zu fangen." Radeck hält es gar nicht umbedingt für nötig, dass Bundespolizisten in jedem Zug mitfahren. Entscheidend sei mehr Präsenz auf den Bahnhöfen. Mit wenigen hundert zusätzlichen Stellen sei schon viel gewonnen. "Und durch Präsenz leisten wir Prävention." Auch Videoanlagen hätten viel weniger Wirkung als der Anblick uniformierter Polizisten: "Das funktioniert nur mit persönlicher Ansprache. Mehr Personal an den Bahnhöfen würde eine größere Sicherheit für die Reisenden bedeuten."

Versagen der Geheimdienste

In anderen Ländern hat man aber zum Teil bereits Kontrollen für Hochgeschwindigkeitszüge eingeführt. In Italien müssen Reisende an einigen großen Bahnhöfen seit dem 1. Mai Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen, bevor sie den Zug besteigen. Spanien hatte nach den verheerenden Zugattentaten im März 2004 ebenfalls Gepäckkontrollen für Fernzüge eingeführt.

Wartende Passagiere Foto: L. Neal/AFP/Getty Images
Wer den Eurostar benutzt, muss erst durch eine Pass- und Gepäckkontrolle.Bild: L. Neal/AFP/Getty Images

Ein anderer Sicherheitsaspekt betrifft die Geheimdienste. So hatten die spanischen Behörden den Marokkaner als Islamisten gemeldet. Die belgischen Kollegen dagegen kannten ihn zwar, hielten ihn aber für wenig gefährlich. Daher sei er nicht ständig observiert worden, gab Belgiens Innenminister Jan Jambon in einem Rundfunkinterview zu.

Die belgische Regierung hat bereits ein Sondertreffen der für die Sicherheit in internationalen Zügen zuständigen Minister von Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg angeregt, wo das weitere Vorgehen besprochen werden soll.