Bachfest: Krönender Abschluss für "Bachs Messias"
22. Juni 2021Traditionell eröffnet der weltbekannte Thomaner-Knabenchor das Bachfest Leipzig und gestaltet auch das Schlusskonzert. In diesem Jahr wäre das Bachfest wegen der Corona-Pandemie allerdings beinahe ganz ausgefallen, zumindest was die Konzerte vor Publikum anbelangt.
Aber dann konnten zwölf der ursprünglich rund 100 Bachfest-Konzerte wegen der gesunkenen Corona-Zahlen letztendlich doch noch vor Publikum stattfinden. Zur Freude von Thomaskantor Gotthold Schwarz, denn es war das letzte Bachfest, bei dem er den Knabenchor dirigierte. Den großen, nicht enden wollenden Applaus beim Abschlusskonzert hätte er sicher vermisst.
Die insgesamt 30 Kantaten, drei Oratorien und die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach kreisten thematisch um das Leben und Wirken Jesu von Nazareth. Sie erzählen von seiner Geburt, seinen Wundern und seiner Himmelfahrt: "Bachs Messias", wie Intendant Michael Maul den Zyklus nennt.
Das große Abschlusskonzert
Als Johann Sebastian Bach sein Amt 1723 als Thomaskantor antrat, komponierte er jede Woche eine neue Kantate. Diese Kompositions-Aufgabe blieb Gotthold Schwarz erspart. Er konnte sich mit ganzer Hingabe der Einstudierung und Interpretation von Bachs geistlicher Musik widmen.
Am 2. Tag des Bachfestes hatten die Thomanermit Bachs Weihnachtsoratorium von der Geburt Jesu gesungen. Im Abschlusskonzert ging es in der Kantate "Ich hatte viel Bekümmernis" (BWV 21) um den Einfluss Jesu auf das irdische Leben nach der Himmelfahrt. "Es ist, wenn Sie so wollen, als Abschluss des Zyklus gedacht", sagt Schwarz. "Da heißt es etwa im Chor: 'Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Herzen, aber deine Tröstungen erquicken meine Seele'. Da ist immer wieder diese Traurigkeit, dann Fröhlichkeit, Hoffnung und Zuversicht."
Nach der Kantate wurde feierlich die Bach-Medaille der Stadt Leipzig überreicht. Seit 2003 gibt es die Auszeichnung; geehrt werden Musiker, die sich besonders um das Werk von Bach verdient gemacht haben. Erstmals wurde jetzt auch zwei Wissenschaftlern diese Ehre zuteil: den Bach-Forschern Hans-Joachim Schulze und Christoph Wolff. Der Name des letzteren ist unter Bach-Kennern weit verbreitet, denn Wolff hat eine der umfangreichsten Bach-Biografien überhaupt geschrieben.
Nach der Preisverleihung brillierte Thomas-Organist Ulrich Böhme mit Bachs Präludium und Fuge C-Dur (BWV 547) an der Orgel. Zum krönenden Abschluss mit dem Sächsischen Barockorchester konnten dann die Thomaner ihre chorische Stimmgewalt bei Bachs Magnifikat unter Beweis stellen.
Bach richtig verstehen
Bei der Ausbildung der Thomaner lagen Thomaskantor Gotthold Schwarz Artikulation und Rhetorik immer besonders am Herzen. Dabei sollen die Jungen die geistlichen Inhalte der Werke zunächst verstehen, um sie dann auch den Zuhörern zu vermitteln. Gotthold Schwarz setzt dabei auf die historische Aufführungspraxis, um dem nahe zu kommen, wie Bach selbst seine Musik hören wollte.
"Dieses rhetorische Singen ist eigentlich eine ganz einfache Formel, dass Konsonanten den Vokal auslösen und nicht unterbrechen", sagt Schwarz. Nicht nur die Werke, sondern auch die klangliche Intensität und Schönheit der jungen Stimmen kämen auf diese Weise besonders zur Geltung.
Einmal Thomaner immer Thomaner
Der Thomanerchor zählt zu den ältesten Knabenchören in Deutschland und Europa. Der reine Jungen-Chor wurde im Jahr 1212 zusammen mit der Thomasschule gegründet. Rund 100 Alumni lernen heute in der Internatsschule, dem sogenannten Alumnat. Damit ist der Thomanerchor doppelt so groß wie noch zu Bachs Zeiten.
Mit den Thomanern verbindet Gotthold Schwarz eine enge Geschichte. Einige Zeit war er dort selbst Chorsänger. Während seines Studiums begleitete er den Chor immer wieder als Solist. Unter seinem Vorgänger Christoph Biller kümmerte er sich bereits um die Stimmbildung des Chores und wurde nach dessen Tod kurze Zeit Interims-Kantor, bevor er das Amt 2016 offiziell übernahm. Anders als noch zu Bachs Zeiten, der bis zu seinem Tod 1750 Tomaskantor war, ist es heute kein Amt auf Lebenszeit mehr.
Den Blick nach außen öffnen
Rund 80 Prozent der Sängerknaben kommen aus Leipzig. Dass Eltern ihre Kinder aus ganz Deutschland oder aus dem Ausland nach Leipzig bringen, um dem Thomaskantor vorzusingen, ist selten geworden. In der Stadt werden die Kandidaten schon vor der Aufnahmeprüfung an zwei Leipziger Schulen gefördert, wofür Gotthold Schwarz dankbar ist.
Dennoch hätte sich der Thomaskantor auch wieder mehr Sänger von außerhalb gewünscht. Es sei wichtig, dass die Sänger auch aus anderen Gegenden kommen. "Das beflügelt die künstlerische Arbeit und auch eine liberalere Geisteshaltung, wenn man die Besonderheiten aus anderen Regionen kennenlernt", sagt Schwarz.
Thomaner brauchen eine liberale Geisteshaltung
Den Jungen wünscht Gotthold Schwarz weiterhin Offenheit und musikalische Entdeckungsfreude. "Dass es kein Duckmäusertum gibt und auch diese gegenseitige Verantwortung füreinander bestehen bleibt." Gotthold Schwarz wird vielen Menschen der Thomasschule in Freundschaft verbunden bleiben und weiterhin verschiedene Ensembles dirigieren, wie auch schon während seiner Tätigkeit als Thomaskantor.
In der Thomaskirche wird es am 25. und 26. Juni noch ein letztes Konzert geben. Vielleicht kann Gotthold Schwarz danach mit dem Chor auch noch einmal auf Sommertour durch Sachsen, Niedersachsen und Thüringen gehen, aber das steht noch nicht fest. Als 18. Thomaskantor nach Bach wird dann im September der Schweizer Dirigent und Kirchenmusiker Andreas Reize den Chor übernehmen.
Das Abschlusskonzert im Stream so wie alle anderen Konzerte des Bachfestes können Sie hier nachhören.