1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bürokratie blockiert Ärzte aus der Ukraine und Syrien

Elizabeth Schumacher
8. September 2024

Tausende Ärzte sind als Flüchtlinge aus der Ukraine und Syrien nach Deutschland gekommen. Obwohl im Land Ärzte fehlen, ist der Weg zur Berufserlaubnis kompliziert und langwierig.

https://p.dw.com/p/4kCmQ
Ein leeres Behandlungszimmer in einer Hausarztpraxis, an der Außenwand hängt ein Stethoskop
Der Ärztemangel wird in Deutschland zu einem Problem - währenddessen scheitern ausländische Mediziner und Medizinerinnen häufig an der deutschen BürokratieBild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

In Deutschland werden in den nächsten Jahren 50.000 Ärzte fehlen, warnt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Derzeit leben etwa 1,2 Millionen ukrainische und 972.000 syrische Flüchtlinge in Deutschland, die damit die beiden größten Gruppen von Asylbewerbern im Land sind. Viele von ihnen sind hochqualifizierte Mediziner. Warum können nur wenige von ihnen ihren Beruf ausüben, selbst wenn sie schon seit Jahren hier sind?

Hohe Hürden für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine

Oleksii Ukrainskyi, ein 45-jähriger Anästhesist aus Odessa, hat 2016 seinen medizinischen Abschluss in Deutschland anerkennen lassen. Er hat jedoch festgestellt, dass das Verfahren für Flüchtlinge, die aus der Ukraine nach Deutschland kommen, heute sehr viel schwieriger geworden ist.

Nach Recherchen der überregionalen Tageszeitung "Die Welt" sind seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 mehr als 1600 Ärzte nach Deutschland gekommen, von denen nur 187 eine Approbation erhalten haben. Um zu helfen, begann Ukrainskyi, kostenlose Webinare zu veranstalten. Er betreibt auch einen Telegram-Kanal mit 3000 Mitgliedern, die Ratschläge zu dem oft verwirrenden, langwierigen Verfahren suchen.

"Damals musste ich nur mein Diplom übersetzen lassen", sagt Ukrainiskyi im DW-Gespräch. "Jetzt müssen sie diese langen Dokumente vorlegen, in denen jeder Aspekt ihrer Ausbildung detailliert beschrieben ist. Und selbst wenn ihre Universität nicht gerade mitten in einem Kriegsgebiet liegt und sie die Dokumente bekommen, kann es sechs Monate dauern und Tausende von Euro für die Übersetzung kosten. Für Menschen, deren Häuser zerstört wurden, die nichts haben, vielleicht einen Koffer, kann das eine unüberwindbare Hürde sein."

Sechzehn verschiedene Regelungen für Mediziner

Doch selbst wenn die Dokumente übersetzt sind und man eine deutsche Sprachprüfung bestanden hat, ist der Weg in eine Praxis oder ein Krankenhaus nicht einfach. Der nächste Teil des Verfahrens ist die Anerkennung der Ausbildung als gleichwertig mit einem deutschen Medizinstudium. Weil die Anforderungen an die Anzahl der theoretischen Prüfungen und die praktische Erfahrung in den verschiedenen Ländern unterschiedlich sind, müssen die meisten ausländischen Ärzte die Unterschiede ausgleichen, indem sie Praktika absolvieren, Prüfungen ablegen oder beides.

Blick in einen gestuften Hörsaal mit vielen schreibenden Studierenden, rechts vorne steht eine Frau, die offenbar spricht und erklärt, links vorne steht ein Skelett
Die meisten Ärzte aus dem Ausland müssen Leistungen nachliefern, die im deutschen Medizinstudium üblich sindBild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Die Gesundheitspolitik ist Sache der 16 Bundesländer in Deutschland. Jedes von ihnen hat andere Standards, die ausländische Mediziner erfüllen müssen. "Die meisten Menschen, ich würde sagen, etwa 80 Prozent in meinem Telegram-Kanal sind Frauen im Alter zwischen 35 und 45 Jahren mit Kindern. Ihre Ehemänner mussten in der Ukraine zurückbleiben, weil sie im wehrpflichtigen Alter sind“, berichtet Ukrainskyi.

"Sie müssen sich um die Kinderbetreuung kümmern, während sie sich auf Prüfungen vorbereiten. Oder nehmen wir zum Beispiel ältere Ärzte: Ein 50-jähriger Dermatologe, der seit 20 Jahren praktiziert, aber sein Medizinstudium schon lange hinter sich hat, kann ein Examen in Innerer Medizin, das für 22-jährige Studenten in Deutschland gedacht ist, nicht so leicht bestehen." Der Anästhesist beobachtet: "Der Prozess dauert viele Monate oder sogar Jahre. In der Zwischenzeit kann man als Pflegekraft arbeiten, wenn man Glück hat, oder im Supermarkt oder in einer Pizzeria, wenn man kein Glück hat."

Ukrainerinnen gegen den Pflegenotstand

Größte Ärztegewerkschaft fordert weniger Bürokratie

Auch der Marburger Bund, die größte deutsche Ärztegewerkschaft, kritisiert das System der Zulassung ausländischer Ärzte. Das Verfahren sei unerbittlich langsam, unter anderem, weil es nur eine einzige Stelle für die Bewertung ausländischer medizinischer Qualifikationen gebe und diese schmerzlich unterfinanziert und unterbesetzt sei. Die "Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe" (GfG) in Bonn brauche "mehr Personal, weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung der Verfahren" und mehr Vereinheitlichung in den 16 Bundesländern, so der Sprecher des Marburger Bundes Hans-Jörg Freese gegenüber der DW.

Selbst nachdem Ärzte lange Wartezeiten hinter sich haben, um überhaupt einen Prüfungstermin zu bekommen, kritisiert Freese, "wird ihnen oft nur eine Berufserlaubnis für zwei Jahre erteilt. Lange Verzögerungen in einem [zweiten] Antragsverfahren können dazu führen, dass diese Ärzte nach zwei Jahren arbeitslos werden." Das passiere, "selbst wenn ihr Arbeitgeber sie unbedingt behalten will".

Viele Ärzte aus Syrien warten mindestens ein Jahr auf Anerkennung

Nibras Soubh, ein Kardiologe aus Syrien, der am Universitätsklinikum Göttingen arbeitet, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Wie der Marburger Bund fordert er ein einheitliches Verfahren für ganz Deutschland. Ausländische Ärzte "müssen ihre Approbation bei den örtlichen Behörden der einzelnen Bundesländer beantragen, die jeweils ihre eigenen Vorschriften haben. Diese können sich in Deutschland erheblich unterscheiden, angefangen bei den erforderlichen Dokumenten und der Art der Übersetzung und Legalisierung bis hin zu den verfügbaren Zulassungswegen und Prüfungsstrukturen", schreibt Soubh auf Anfrage der DW.

Er kam 2016 nach Deutschland, zu einer Zeit, als Hunderttausende Syrer vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat nach Deutschland flohen. Nach Angaben von Daniel Terzenbach, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt, haben 70 Prozent von ihnen einen Arbeitsplatz in Deutschland gefunden. Nibras Soubh ist einer von ihnen. Er ist Mitglied der SyGAAD (Syrische Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland), die im vergangenen Jahr eine Umfrage in Norddeutschland durchgeführt hat. Die ergab, dass 30 Prozent der Bewerber mindestens ein Jahr auf die Anerkennung ihres Abschlusses warten.

Rückschlag für syrische Ärzte durch Stimmung gegen Zuwanderung

Auch auf syrische Ärzte wird Druck ausgeübt, um eine Zulassung zu erhalten, während der Ruf nach mehr Abschiebungen immer lauter wird. Nach der tödlichen Messerattacke eines syrischen Asylbewerbers in Solingen im August 2024 wurden Forderungen konservativer Politiker laut, keine syrischen Flüchtlinge mehr aufzunehmen, und man forderte, abgelehnte Asylbewerber nach Syrien abzuschieben, was derzeit nicht möglich ist.

Obwohl laut deutschen Medienberichten jedes Jahr mehr Ärzte ins Berufsleben eintreten, reicht dies nicht aus, um mit dem demografischen Wandel Schritt zu halten. Denn unter anderem gehen mehr Ärzte in Rente als jüngere nachrücken. Darüber hinaus hat eine große Zahl von Ärzten begonnen, in Teilzeit zu arbeiten. Einem Bericht des Fernsehsenders "ZDF" zufolge arbeiteten im Jahr 2023 nur noch 85 Prozent der Allgemeinmediziner in Vollzeit. Im Jahr 2009 lag diese Zahl noch bei 98 Prozent.

Blick auf Menschen im weißen Kittel bei einer Demonstration. auf ihren Transparenten steht unter anderem: "Halbtot in Weiß" oder "Mathe für Ärzte: von acht bis acht macht acht Stunden"
Deutsche Ärztinnen und Ärzte fordern nicht nur mehr Geld, sondern bessere Arbeitsbedingungen - die lassen sich nur mit mehr Personal gewährleistenBild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Auch sind die Ärzte nicht gleichmäßig über Deutschland verteilt. In städtischen Gebieten gibt es ein Überangebot an Fachärzten, während die Deutschen auf dem Land teils weite Wege zurücklegen müssen, um einen Allgemeinmediziner zu sehen.

Deshalb sei es "mehr als inakzeptabel", so Freese vom Marburger Bund, "international ausgebildeten Ärzten unnötige Hürden in den Weg zu stellen".

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch und wurde ins Deutsche adaptiert.