Bürgerkrieg in Syrien: Wer kämpft gegen wen - und warum?
3. Dezember 2024Was ist bisher passiert?
Vier Jahre lang schien es ruhig im syrischen Bürgerkrieg, mit eher statischen Konfliktlinien - bis zur Offensive im Nordwesten, die sich gegen die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad richtet und die kurdische Bevölkerung in der Region bedroht.
Am Mittwoch starteten Kämpfer der islamistischen, pro-türkischen Haiat Tahrir al-Scham (HTS) die überraschende Initiative. Zwei Tage später vermeldete die HTS bereits die Einnahme von Syriens zweitgrößter Stadt Aleppo und umliegender Dörfer. Als nächstes strategisches Ziel gilt die Stadt Hama.
"Am Sonntag sind schwer bewaffnete Verstärkungstruppen der Assad-Regierung in Hama eingetroffen und haben einen Vormarsch Richtung Norden gestartet, bei dem sie einige Städte und Dörfer zurückerobert haben", sagt der Analyst Nanar Hawach von der International Crisis Group. Er mutmaßt gegenüber der DW, dass eine größere Gegenoffensive kurz bevorstehe - mit der nächsten Phase eines "mit hoher Intensität gekämpften syrischen Bürgerkriegs, der in den nächsten Wochen und Monaten noch einmal von vorne beginnt".
Welche oppositionellen Gruppen sind an den Kämpfen beteiligt?
Die HTS ist aktuell die maßgebliche oppositionelle Kraft. Sie wurde von den USA 2018 als ausländische Terrororganisation eingestuft und unterhält Verbindungen zu Al-Kaida, die sich ebenfalls auf den US-Terrorlisten wiederfindet. Die HTS kontrolliert die nordwestsyrische Region Idlib, in der sich rund vier Millionen syrische Binnenvertriebene aufhalten. Idlib ist die letzte Bastion der Rebellen, nachdem Assads Truppen im Verlauf des Krieges einen Großteil des Staatsgebiets zurückerobert hatten.
Bei der aktuellen Offensive geht es jedoch nicht nur darum, Assad wieder Gebiete abzutrotzen: Parallel haben von der Türkei unterstützte Einheiten der selbsternannten Syrischen Nationalen Armee (SNA) - eine weitere wichtige oppositionelle Kraft - im Nordosten die Operation "Dämmerung der Freiheit" gestartet. Der Nordosten wird von den kurdischen Demokratischen Kräften Syriens (SDF) kontrolliert. Die Türkei betrachtet die SDF als Terroristen und hat in dem von ihnen kontrollierten Gebiet selbst immer wieder Angriffe durchgeführt. Ankara kontrolliert auch einige grenznahe syrische Gebiete und dürfte sich von den SNA-Vorstößen eine Erweiterung der Pufferzone erhoffen, in die sie syrische Flüchtlinge abschieben kann.
Welche ausländischen Akteure unterstützen das Assad-Regime?
Während Assad militärisch unter Druck gerät, kann er sich der Treue seines wichtigsten Verbündeten sicher sein: "Wir unterstützen selbstverständlich weiter hin Baschar al-Assad und pflegen Kontakte auf angemessener Ebene, um die Lage zu analysieren", sagte der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow. Russland unterstützt Assad bereits seit Ausbruch des Bürgerkrieges 2011. Seit 2015 ist das russische Militär ganz direkt involviert. Ungezählte Luftschläge auf Assads Gegner halfen den Truppen des Regimes dabei, in weiten Teilen des Landes wieder die Oberhand zu gewinnen.
Die guten Verbindungen zwischen Moskau und Damaskus reichen zurück bis in die Sowjetzeit. Aus Sicht von Russlands Staatschef Wladimir Putin dürfte der russische Beistand mehrere Vorteile haben: Er bot damit eine Alternative zur westlichen Kritik an Assad und konnte zugleich Russlands strategischen Einfluss in der Region stärken. Das russische Militär sowie Söldner konnten Kampferfahrung sammeln, die ihnen später in der Ukraine zugute kam. Und die Unterstützung Assads dürfte auch den Schulterschluss mit dem Iran erleichtert haben, der inzwischen ein wichtiger Verbündeter für Russland ist.
Für den Iran ist das Assad-Regime ein wichtiger Verbündeter in der sogenannten "Achse des Widerstands", zu dem etwa auch die libanesische Hisbollah zählt. Ähnlich dem Kreml hat auch der iranische Präsident Massud Peseschkian in einem Telefonat mit Assad jegliche benötigte Unterstützung zur Niederschlagung des Aufstands zugesichert. Die in London ansässige oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte vermeldete am Montag, rund 200 Kämpfer von schiitischen Milizen aus dem Irak seien unter iranischem Kommando auf Pickups nach Syrien eingereist, um eine Gegenoffensive der Armee bei Aleppo zu unterstützen.
Warum wird gerade jetzt gekämpft?
"Diese pro-türkische Offensive ist eine Folge der geschwächten iranischen Front im Nahen Osten", sagt der Nahostexperte und UN-Berater Lorenzo Trombetta der DW. Die vom Libanon aus operierende Hisbollah ist nach einem Jahr Krieg gegen Israel geschwächt. Sie wird vom Iran finanziert, ausgerüstet und trainiert, während die USA, Deutschland und weitere Länder sie als Terrorgruppe einstufen. Vor einer Woche hat die Hisbollah eine Waffenruhe mit Israel geschlossen, die bislang weitgehend hält.
Israel hat in den vergangenen Monaten auch den Iran direkt angegriffen und seine Angriffe auf iranische Stellungen innerhalb Syriens ausgeweitet. Dabei wurden auch Nachschublinien zwischen Syrien und dem Libanon getroffen.
Assads zweiter Hauptverbündeter Russland ist militärisch durch seinen Angriffskrieg in der Ukraine gebunden. Dort intensiviert Putin die Kriegsanstrengungen massiv - mutmaßlich, um während des Regierungswechsels in den USA zu seinen Gunsten Fakten zu schaffen.
Ähnliches dürften auch HTS und SNA in der aktuellen Umbruchphase in Syrien versuchen. Welche Folgen das haben wird, ist aus Sicht von ICG-Experten Nanar Hawach noch unsicher - nur eines stehe fest: "Leider tragen Zivilisten die Hauptlast dieser Zusammenstöße."