Australian Open: Die Götter leben noch
13. Januar 2019Fangen wir mit dem Wetter an. Es könnte wieder einmal heiß werden in Melbourne, ist ja schließlich Hochsommer in der australischen Metropole. Was die Tennis-Fans aus aller Welt auch in diesem Jahr nicht davon abhalten wird, in den Melbourne Park zu strömen - zum ersten Tennis-Highlight der neuen Saison. Und was die Veranstalter dazu verleitet hat, in diesem Jahr - endlich, endlich - die Regeln für die Profis zu ändern. Auch die Männer dürfen in der Hitze künftig längere Pausen machen, um bei 40 Grad Celsius und mehr in der prallen Sonne auf dem heißen, blauen Hardcourt nicht zu kollabieren. Und: Zum ersten Mal in der Turniergeschichte wird der entscheidende Satz in den Einzeln im Tiebreak ausgespielt.
Die Helden der Tour werden es dankbar aufgenommen haben. Sie kommen zwar alle, mehr oder minder erholt, aus ihrem Weihnachtsurlaub. Aber sie sind ja nicht gerade jünger geworden, was gerade der deutsche Nachwuchsheld Alexander Zverev dem siegreichen Schweizer Roger Federer bei der Siegerehrung nach dem Finale des Mixed-Turniers Hopman Cup bittersüß um die Ohren schleuderte: "Du bist 30 oder so ... ! Lass' uns doch auch mal gewinnen, nur einmal den Hopman Cup", meckerte Zverev und machte dazu eine abwehrende Geste. Der siegreiche Schweizer, genau 37 Jahre alt, feixte im Hintergrund. Zverev hatte - neben seiner eher schweigsamen Partnerin Angelique Kerber - in Perth zwar die Lacher auf seiner Seite, den Pokal nahm aber der Schweizer mit seiner Partnerin Belinda Bencic mit. Blöd gelaufen für Team D.
Der Oberschenkel, der Knöchel ...
Also Federer. Wenn der in Melbourne so gut spielt wie beim eher lockeren Vorbereitungs-Turnier Hopman-Cup, dann können sich die Youngsters wie Zverev, Tsitsipas, Kyrgios und wie sie alle heißen, noch ein wenig gedulden. Besonders dem jungen Deutschen dürfte die Aussicht auf ein weiteres frühes Ausscheiden bei einem Grand Slam-Turnier geradezu körperliche Pein verursachen. Gilt doch der 21-Jährige bislang als etwas unvollendetes Talent, das gerade bei den vier großen Events des Jahres hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Körperliche Pein? Vielleicht war das auch der Grund, dass es von Zverev kurz vor Beginn der Australian Open hieß, er habe Probleme im Oberschenkel. Und danach mit einem umgeknickten Knöchel. Man kann aber davon ausgehen, dass der ehrgeizige Zverev alles daran setzt, sein erstes Spiel in Melbourne gegen den Außenseiter Aljaz Bedene, Nummer 67 der Weltrangliste, zu absolvieren. Und dann wird man sehen.
Dass Federer im Vorfeld der Australian Open derart gute Laune wie bei der beschriebenen Siegerehrung mit Zverev hatte, dürfen seine Fans weltweit als gutes Zeichen werten. Der Meister ist gut drauf, hat hier 2017 und 2018 gewonnen. Überhaupt kann man sagen: Die Götter leben noch. Oder wieder. Jedenfalls, wenn es um den anderen Gott aus Manacor auf Mallorca geht. Rafael Nadal (32), der gerade in Australien so viele packende Matches hingelegt hat, sich aber über seinen zunehmend brüchiges Knochen-, Knorpel-, Muskel- und Sehnen-Gerüst zu sorgen hat, ist zum Beginn des Turniers wiederhergestellt. Die Veranstalter der Australian Open, des in Fachkreisen und sozialen Medien kurz nur als "AO" firmierenden Turniers, freuten sich darüber derart, dass sie bei Twitter nach der Auslosung schon einmal den möglichen Weg von "Rafa" ins Finale vorzeichneten. Dabei liegt sein letzter Turniereinsatz Monate zurück.
So etwas könnte man fast als voreingenommen bezeichnen. War es aber nicht, weil es solche "Road to the title"-Tweets für jeden Top-Profi gab. Auch für den Weltranglistenersten Novak Djokovic, der ohne Weiteres der Top-Favorit ist. Der Sport-Informationsdienst SID erinnerte sich daran, dass der Serbe "noch vor einem Jahr auf der Suche nach seiner Form und einem höheren Sinn des Lebens" war. Vorbei. Mit altem Team und alter Spielfreude kann Djokovic ohne Probleme die harten Fünf-Satz-Matches bestimmen, auf die es ja in der Rod-Laver-Arena zu Melbourne ankommt. Auch damit haben die Youngsters ja mitunter so ihre Probleme.
Und die Frauen? Simona Halep ist an Position 1 gesetzt, die Deutsche Angelique Kerber an Position 2. "Angie" zeigte sich beim Hopman-Cup und überhaupt in den ersten Wochen des Jahres - mit ihrem neuen Trainer Rainer Schüttler - in ansehnlicher Form. Ihre Erstrundengegnerin ist eine gewisse Polona Hercog aus Slowenien. Halep und Kerber sind die Favoritinnen der Show, vielleicht auch noch Titelverteidigerin Caroline Wozniacki aus Dänemark. Die "Göttinnen" früherer Tage dürften sich ordentlich strecken müssen, um in Australien zu reüssieren.
Fast jede kann fast jede schlagen
Maria Scharapowa, an 30 gesetzt, hat nach ihrer Doping-Affäre nie zurück zu alter Dominanz gefunden, Serena Williams muss gleich in der ersten Runde gegen die zumeist respektlos agierende deutsche Tatjana Maria antreten. Gleichwohl wird Williams, die weiter nach dem 24. Grand-Slam-Sieg trachtet, wieder für eine "big show" gut sein. Eine andere Ex-Göttin, Viktoria Asarenka, dürfte in der ersten Runde des Turniers die Deutsche Laura Siegemund ziemlich sicher aus dem Weg befördern. Viele Augen richten sich in der neuen Saison auf die japanische US-Open-Siegerin Naomi Osaka, die - trainiert vom Deutschen Sascha Bajin - manche für die kommende Nummer 1 halten. Aber Obacht: Wer mit Barbara Rittner, dem "Head of Womens Tennis" des Deutschen Tennis-Bundes spricht, der erfährt: In der Frauen-Konkurrenz kann an einem guten Tag eigentlich fast jede Spielerin eine eigentlich besser eingeschätzte Gegnerin schlagen. Und die deutsche Nummer 2, Julia Görges, könnte auch davon profitieren.
Soweit die Prognosen. Die Götter leben noch, wie gesagt. Wie zum Beispiel der Schotte Andy Murray, der nach Hüftoperation, langem Leiden und verletzungsbedingter Auszeit viel zu lange pausieren musste. Jetzt tritt Murray wieder an, und die australischen Tennis-Fans werden sich darüber freuen. Hatte der fünffache Finalist Murray doch zuletzt 2016 für einen sehr emotionalen Moment gesorgt, als er verkündete, dass er jetzt schnell nach Hause zurückfliegen müsse, weil seine Frau ja ein Kind erwartete.
Murray vor Karriere-Ende
Murray denkt inzwischen an das Karriere-Ende.
Hier in Australien muss er nun gegen den respektlosen Spanier Roberto Bautista Agut antreten, der mit breiter Brust und frischem Turniersieg Doha im Gepäck nach Melbourne kommt. Kann sein, dass die Anhänger des Briten deshalb schon in der ersten Runde Mitleid mit ihrem Helden haben müssen. Und zwar nicht nur, weil Murray sich nach der Hüft-OP zuletzt sehr unrund über den Platz bewegte. Für eine Prämie von ca. 2,56 Millionen Euro (im Fall des Turniersieges) kann man so etwas schon mal machen. Die Verlierer der ersten Runde watscheln übrigens mit 46.920 Euro davon.