Auschwitz war ein "Industrieapparat zur Tötung von Menschen"
26. Januar 2025Oświęcim. Eigentlich keine wichtige Stadt. Ein polnischer Ort mit gut 10.000 Einwohnern, den die deutsche Wehrmacht 1939 besetzte, annektierte und in Auschwitz umbenannte. In dieser Gegend errichteten die Nationalsozialisten ab 1941 das größte deutsche Vernichtungslager überhaupt, das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.
Hier ermordeten die Nazis bis Ende Januar 1945 nach gesicherten Angaben mindestens 1,1 Millionen Menschen, meist Juden, aber auch Roma und Sinti und Angehörige weiterer Minderheiten. Warum hier? Warum Auschwitz? "Der Ort ist unter dem Aspekt ausgesucht worden, dass er verkehrstechnisch im Zentrum Europas liegt und mit den Deportationszügen zu erreichen ist. Das waren auch logistische Überlegungen", sagt Christoph Heubner, der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK), im Interview der DW.
Die Buchhaltung des Todes
Logistische Gründe. Es sollte schnell gehen und möglichst viele treffen. Die Mörder waren gut im Planen, im massenhaften Töten, in der Buchhaltung des Todes.
Dabei hatte der deutsche Massenmord an verschiedenen Menschengruppen bereits vorher begonnen. Bald nach dem deutschen Angriff auf Polen Anfang 1939 gab es in Osteuropa zahlreiche Massen-Erschießungen. Auch diese Verbrechen sind gut belegt.
Als Hitler-Deutschland mit seinen Armeen dann in großen Teilen Europas herrschte, sollten die Juden aus dem Leben völlig verschwinden. Dazu gab es in einer Villa am Wannsee westlich von Berlin, damals ein Gästehaus von Polizei und SS, am 20. Januar 1942 eine "Besprechung". 15 Männer aus dem NS-Regime trafen sich für eineinhalb Stunden, um die Organisation der massenhaften Verschleppung und Ermordung der europäischen Juden zu klären und zu perfektionieren. Einer der Beteiligten, SS-Sturmbannführer Rudolf Lange, hatte noch am Tag zuvor in der Nähe von Riga über 900 Jüdinnen und Juden erschießen lassen und reiste dann nach Berlin.
Wer heute in die Gedenkstätte "Haus der Wannsee-Konferenz" kommt und das Faksimile des einzigen erhaltenen Protokolls dieser 90 Minuten sieht, liest nirgends die Worte "Ermordung" oder "Tötung". Die Rede ist nur von "Endlösung" - alle Beteiligten wussten, was das bedeutete. Geplant wurde die Einrichtung weiterer Vernichtungslager. Und ab März 1942 fuhren Deportationszüge aus weiten Teilen Europas zu den Mordstätten ins besetzte Polen. Jüdische Menschen sollten "verschwinden".
Mit der Bahn in den Tod
Dieses Konzept lenkt den Blick auf einen weiteren Aspekt. Denn Auschwitz begann letztlich an vielen Bahnsteigen in Deutschland und Europa. Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau hatte einen eigenen Gleisanschluss. Die Häftlinge wurden nach dem Verlassen der Züge zur sogenannten Rampe getrieben. Von der Rampe ging es für viele gleich in die Gasöfen und die Ermordung, andere kamen zunächst als Arbeitskraft ins KZ.
In mehreren deutschen Städten sind Erinnerungsorte der Deportation in den Tod gewidmet, so in Köln, Stuttgart, Hamburg und Wiesbaden. Sehr bekannt ist das "Mahnmal Gleis 17" am Berliner Bahnhof Grunewald. Es wird auch immer wieder von Politikern und anderen offiziellen Delegationen aus Israel besucht. An diesem Bahnhof starteten etwa 35 Züge mit 17.000 Juden allein nach Auschwitz-Birkenau.
Auch aus zahlreichen europäischen Ländern transportierten die Nazis mit der Bahn, häufig in Viehwaggons, Jüdinnen und Juden nach Auschwitz und in andere Lager. Die Züge rollten aus NS-besetzten Gebieten in Mittel- und Osteuropa, auch aus dem besetzten Frankreich, Belgien und den Niederlanden, Italien, Ungarn, Griechenland und teilweise vom Balkan.
Anita Lasker-Wallfisch aus Breslau, die im Juli 2025 ihren 100. Geburtstag begeht, kam als Mädchen mit dem Zug nach Auschwitz und überlebte mit Glück das Lager - auch, weil sie ein Instrument, Cello, beherrschte und damit im "Mädchenorchester" gebraucht wurde. Sie war von Dezember 1943 bis November 1944 in Auschwitz und kam dann ins KZ Bergen-Belsen. 2018 berichtete sie in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus. "Wenn man nicht direkt bei der Ankunft in die Gaskammer kommt, überlebt man in Auschwitz sowieso nicht lange - maximal drei Monate." Ihr Musizieren habe ihr die Chance gegeben, zu überleben.
"Die Transporte waren sehr zahlreich, und es kam vor, dass das Krematorium V nicht alle Menschen fasste, die mit dem Transport angekommen waren", schilderte Lasker-Wallfisch. "Die, die in den Gaskammern keinen Platz hatten, erschoss man. In vielen Fällen warf man Menschen bei lebendigem Leibe in die brennenden Gruben. Auch das habe ich gesehen." Auschwitz-Birkenau war eine Tötungsmaschine. Mit Industrieöfen.
Brillen und Menschenhaar
Wer heute die Gedenkstätte besucht und im Museum in mehreren Baracken verweilt, verstummt vor Erschrecken. Meterhohe Haufen von Menschenhaar, von Brillen, große Vitrinen voller Prothesen oder letzter Habe. Zeugnisse vor der Ermordung.
Am 27. Januar 1945 erreichten Soldaten der Roten Armee das Lager. Christoph Heubner (75), der als langjähriger Vizepräsident des Auschwitz-Komitees viele Überlebende begleitete, fasst deren Schilderungen zusammen: "Es war ein Moment des absoluten Stillstandes. Die Befreier, junge Soldaten aus der Ukraine, aus Russland, aus anderen damaligen Teilrepubliken der Sowjetunion, standen vor den Toren von Auschwitz und sie trauten ihren Augen nicht. Sie hatten schon viel gesehen zuvor. Aber nicht das, was da stand, nämlich Tote auf zwei Beinen. Erst als man die Gesichter und die Augen sah, begriffen sie: Diese Skelette sind am Leben."
"Schier unvorstellbare Unmenschlichkeit"
Wer als Häftling in Auschwitz war, behielt die Nummer, die die Nazis ihm auf den Arm tätowiert hatten. Und die schier unvorstellbare Unmenschlichkeit dieses Ortes ließ sie vielfach nicht los. "Die unvorstellbarsten Verbrechen an unschuldigen Menschen kamen langsam in die Öffentlichkeit. Das Ausmaß der Katastrophe war gar nicht zu fassen", sagte Lasker-Wallfisch 2018 im Bundestag.
"Es war ein Tatort eines staatlich organisierten Verbrechens", sagt Heubner. "Und das Verbrechen bestand darin, dass man einen Industrieapparat zur Tötung von Menschen aufgebaut hat." Bis in Deutschland eine breitere Aufarbeitung der Gräuel von Auschwitz begann, dauerte es Jahrzehnte. Nun leben gerade noch die letzten Zeugen.