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Venedig zeigt Doku zu Jerry-Lewis' Holocaust-Film

Scott Roxborough
30. August 2024

Eigentlich sollte nie jemand "The Day The Clown Cried" zu Gesicht bekommen. Doch nun werden Ausschnitte des Films über einen Clown im Konzentrationslager auf dem Filmfestival in Venedig gezeigt.

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Jerry Lewis hat eine Filmklappe in der Hand und schneidet eine Grimasse.
Jerry Lewis am Set (1972)Bild: Express Newspapers/Getty Images

Der legendäre US-Komiker Jerry Lewis begann 1972 mit den Dreharbeiten zu einem Film, der es niemals in die Kinos schaffen sollte. "The Day The Clown Cried" (Der Tag, an dem der Clown weinte) erzählt die Geschichte eines deutschen Zirkusclowns, der Hitler beleidigt und daraufhin in ein Konzentrationslager kommt, wo er später Kinder "aufheitert", die in die Gaskammer geschickt werden. Allein schon diese Handlung ist schwer verdaulich - doch erst die komplizierte Produktionsgeschichte und das anschließende Verschwinden haben den Film unter Cineasten zu einem Mythos gemacht.

"Wenn man den Leuten sagt: 'Jerry Lewis schrieb, führte Regie und spielte die Hauptrolle in einem Drama über einen KZ-Clown, der Kinder in die Gaskammern führt', heißt es: 'Was? Warum habe ich noch nie von diesem Film gehört, warum habe ich ihn noch nie gesehen?'", berichtet der Journalist und Filmkritiker Shawn Levy, Autor von "King of Comedy: The Life and Art of Jerry Lewis" im DW-Interview.

Venedig zeigt Dokumentation

Bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig wird nun erstmals Material aus "The Day The Clown Cried" zu sehen sein.

Jerry Lewis schaut in den Sucher einer großen Filmkamera.
Lewis als Darsteller und RegisseurBild: STF/AFP/Getty Images

Der Dokumentarfilm "From Darkness to Light" des deutsch-australischen Dokumentarfilmers Eric Friedler beleuchtet die Entstehungsgeschichte, zeigt das Making-of des Films sowie Jerry Lewis' jahrzehntelanges Hadern mit seinem Werk. Die Doku enthält mehrere Minuten Originalmaterial sowie eines der letzten Interviews, die Lewis vor seinem Tod zu dem Film gab.

In Venedig läuft die Doku in der Sektion Classics, die Dokumentationen über das Kino gewidmet ist.

Der "verrückte Professor" möchte ernst genommen werden

Lewis, der 2017 im Alter von 91 Jahren gestorben ist, war eine Legende des US-amerikanischen Showbusiness. Weltbekannt wurde er durch seine Slapstick-Komödien wie "Cinderfella" (Deutscher Titel: Aschenblödel) und "Der verrückte Professor". Anfang der 1970er- Jahre - seine Karriere war ins Stocken geraten - wollte er ernster genommen werden.

Filmszene: Labor mit vielen Schläuchen und Flaschen, Lewis mixt als verrückter Professor Flüssigkeiten zusammen, neben ihm blättert eine Frau in einem Buch und schaut erstaunt.
Mit Slapstick und Grimassen wurde Jerry Lewis berühmtBild: Sammlung Richter/picture alliance

Ihm wurde die Hauptrolle in "The Day The Clown Cried" angeboten, basierend auf einem Drehbuch der Publizistin und späteren Fernsehproduzentin Joan O'Brien und Charles Denton, damals Fernsehkritiker beim Los Angeles Examiner. Die ohnehin schon grausame Geschichte sollte so enden, dass der Clown eines Tages beschließt, die Kinder auf dem Weg in die Gaskammern zu begleiten und mit ihnen zu sterben. Wohlgemerkt, es sollte eine Komödie sein.

Irgendetwas an der Geschichte schien Lewis, der Jude war, zu gefallen, denn er stürzte sich in die Arbeit. Er reiste nach Dachau und Auschwitz, um zu recherchieren, und machte eine Grapefruit-Diät, damit er für die Rolle mager aussah. Außerdem schrieb er das Drehbuch um, damit es besser zu seinem Slapstick-Stil passte, fügte Witze und Patzer ein und änderte den Namen der Hauptfigur: Aus Karl Schmidt wurde Helmut Doork. "Dork" bedeutet in der englischen Sprache Idiot oder Trottel.

"Dieser Film wird niemals veröffentlicht werden"

Die Produktion von "The Day The Clown Cried" war von Anfang an mit juristischen und finanziellen Problemen behaftet. Lewis schoss zwei Millionen Dollar aus seinem inzwischen schwindenden Vermögen dazu. Während der Dreharbeiten in Schweden und Paris wurde das Geld knapp. Als die Produktion abgeschlossen war, hielt das schwedische Studio einen Teil des Filmmaterials und die Originalnegative zurück, weil es behauptete, Lewis schuldete ihm 600.000 Dollar.

Unbeeindruckt davon kehrte Lewis mit dem ersten Rohschnitt des Films in die USA zurück. Er führte ihn Joan O'Brien vor, die als ursprüngliche Autorin das letzte Wort darüber hatte, ob der Film veröffentlicht werden konnte. Es lief gar nicht gut. O'Brian war entsetzt über die Szenen, die offenbarten, welche Änderungen sich der Komiker an dem Originalskript erlaubt hatte.

Zwei als Clowns geschminkte Männer reiben die Nasen aneinander.
Lewis (r) und der französische Schauspieler Pierre Etaix, der Doorks Konkurrenten spieltBild: STF/AFP/Getty Images

"Sie hat weinend den Raum verlassen", erzählt Lewis-Biograf Shawn Levy. "Sie sagte: 'Dieser Film wird niemals veröffentlicht werden, ich werde Euch niemals die Rechte dafür geben.'"

Verlorenes Meisterwerk oder komplettes Desaster?

Nur eine Handvoll Menschen haben den Rohschnitt von "The Day The Clown Cried" gesehen, die Reaktionen waren gemischt. Der französische Filmkritiker Jean-Michel Frodon fand den Film gut und schrieb 2016 in dem Filmblog "Sences Of Cinema":"Die bizarre Natur dieses Films ist nicht seine Schwäche, sondern seine Stärke." Anders sah es der US-Comedian Harry Shearer, der in der Comic-Serie "The Simpsons" mehreren Figuren seine Stimme lieh. In einem Interview mit dem "Spy Magazine" 1992 beschrieb er den Film als "drastisch falsch", seinen "Pathos und seine Komik irrsinnig deplatziert".

Lewis mit geschminktem Clownsgesicht schaut nachdenklich nach unten.
Haben bereits die Dreharbeiten Lewis belastet?Bild: STF/AFP/Getty Images

Lewis selbst äußerte sich zeitlebens mit gemischten Gefühlen zu seinem Werk. "Dieser Film muss gesehen werden", schrieb er 1982 in seiner Autobiografie. Im Jahr 2013 sagte er auf dem Filmfestival in Cannes: "Ich schäme mich für die schlechte Arbeit... Sie war schlecht, schlecht, schlecht. Ich habe einen Fehler gemacht."

Eric Friedler hat für seine Recherchen an "From Darkness to Light" zahlreiche originale Filmszenen gesehen. "Viele Szenen fand ich großartig, und es gab Szenen, die schlecht waren, schlecht gedreht, in denen [Lewis] schlecht war, und andere, in denen er wirklich gut war", so Friedler 2016 nach der Premiere von 'Der Clown', einer früheren Dokumentation über die Entstehung von "The Day The Clown Cried". "Ich glaube, er hat sich verirrt... Wenn er mehr Zeit gehabt hätte, hätte er vielleicht einen Weg finden können, aus dem Stoff eine Tragödie oder eine Tragikomödie zu machen", so Friedler.

Warum der komplette Film nie gezeigt werden wird

Jerry Lewis unterhält sich mit einer Frau und einem Mann.
Lewis mit seinem schwedischen Cast: Harriet Andersson spielt Doorks Ehefrau, Ulf Palme dessen FreundBild: Express Newspapers/Getty Images

2015, zwei Jahre vor seinem Tod, schenkte Lewis der Library of Congress sein persönliches Archiv, darunter auch Material aus "The Day The Clown Cried". Die Schenkung war jedoch an die Bedingung geknüpft, dass das Filmmaterial frühestens in zehn Jahren gezeigt werden darf. Fans, die 2025 mit einer Veröffentlichung rechnen, werden allerdings enttäuscht sein, denn der Film darf aus rechtlichen Gründen gar nicht veröffentlicht werden: Die verstorbene Drehbuchautorin Joan O'Brien hat durch eine testamentarische Verfügung den juristischen Finger draufgelegt. Lewis-Biograf Shawn Levy nennt den Film im DW-Gespräch ein "historisches Dokument" und fügt hinzu: "Es wird niemals ein kommerzieller Film werden."

Vielleicht ist das auch besser so. Es hat mehrere Versuche gegeben, das Originaldrehbuch von O'Brien und Denton neu zu verfilmen. Berichten zufolge sollte bei einem Chevy Chase die Hauptrolle spielen. Angeblich ist auch eine neue Version in Arbeit, die in Europa gedreht werden soll. Doch Levy glaubt, dass das Geheimnis um die "verlorene Jerry Lewis-Holocaust-Komödie" vielleicht wertvoller ist als der Film selbst - und so wird er wohl eins der größten Mysterien Hollywoods bleiben.

Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch