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Aufbruchstimmung im Reich der Mitte

Nina Werkhäuser30. November 2003

Beim Besuch von Gerhard Schröder in China (1.-4.12.2003) sollen weitere Möglichkeiten der Kooperation zwischen Deutschland und China gefunden werden. Deutsche Geschäftsleute in der Volksrepublik melden nicht nur Erfolge.

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Boomtown SchanghaiBild: dpa

Wenige Tage vor der Reise von Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Volksrepublik haben deutsche Unternehmen Handelshemmnisse in dem asiatischen Staat beklagt. Euphorie und Skepsis liegen dicht beieinander, wenn deutsche Unternehmer über ihre Erfahrungen in China sprechen. Der ungebrochene Wirtschaftsboom fasziniert Geschäftsleute wie Udo Hoffmann, der in Peking eine Werbeagentur aufgebaut hat. Aber auch die Risiken sind allgegenwärtig. Den chinesischen Markt sieht der Geschäftsmann als Abenteuerspielplatz.

Laut Hoffmann werde in China derzeit Geschichte gemacht und das Umfeld dafür sei höchst kreativ. Unvermeidbar sei es in dem Kontext, manchmal einen sehr gefährlichen Weg einzuschlagen, aber das reizt Hoffmann. Vor zehn Jahren noch musste jede einzelne Fotokopie von einem Parteifunktionär genehmigt werden, erinnert sich der Werbefachmann mit Grausen. Heute sei vieles leichter, aber nicht unbedingt legal.

Es müsse viel Pionierarbeit geleistet werden und nicht jeder Vorgang wäre gesetzlich abgesichert. Oftmals erfordere die Arbeit vor Ort, die Sicherheit und Gemütlichkeit, die es mal in Deutschland gegeben habe, aufzugeben. Eine der Spielregeln lautet: Den Wust an alten und neuen Gesetzen kann kein Ausländer mehr durchschauen. Udo Hoffmann hat es aufgegeben, sich auf den neuesten Stand zu bringen, persönliche Kontakte hält er für wichtiger. Für viele deutsche Unternehmer ist das eine Umstellung.

Neue Allianzen

Mit seiner kleinen Werbeagentur ist Hoffmann flexibler als Großkonzerne, die sich auf dem chinesischen Markt etablieren wollen. Viele von ihnen sind per Gesetz gezwungen, Joint Ventures mit chinesischen Firmen einzugehen. Auch die Allianz hat einen chinesischen Partner und verkauft unter dem Namen Allianz-Dazhong seit 1998 Versicherungen in China. Ein hartes Geschäft, denn noch liege der Marktanteil der ausländischen Versicherungen bei unter zwei Prozent, sagt Geschäftsführer Benno von Canstein in seiner Repräsentanz in Schanghai.

Die Dominanz der drei großen staatlichen Versicherer liege bei etwa 95 Prozent Marktanteil, sei also sehr ausgeprägt, betont von Canstein. Sein Unternehmen werde bezogen auf das Vertriebssystem nicht unmittelbar in breitem Umfang konkurrieren können. Die Etablierung von Zweigstellen in den letzten, entlegensten Winkeln des Landes, wofür die einheimischen Dienstleister über 20 Jahren benötigt hätten, werde niemand in fünf Jahren nachholen können.

Wettbewerb um jeden Preis

Die Größe und der Bevölkerungsreichtum Chinas bieten große Chancen, aber zuerst muss dieser riesige Markt erobert werden. Das erfordert nicht nur Geduld, sondern auch gut ausgebildetes Fachpersonal. Doch das sei nicht immer verfügbar, klagt von Canstein. So sucht die Allianz-Dazhong verzweifelt nach Versicherungsmathematikern, von denen es in China viel zu wenige gibt. Drei eigens ausgebildete Kräfte seien von Konkurrenten mittels üppiger Gehalte abgeworben worden. Unter solchen Bedingungen sei es immens schwierig, als Joint Venture mit einem lokalen chinesischen Partner mitzuhalten.

Abgesehen von Versicherungsmathematikern gibt es in Schanghai aber fast alles. Scheinbar über Nacht wachsen neue Wolkenkratzer aus dem Boden. London oder Berlin wirken wie langweilige Dörfer gegen die boomende Metropole. Genau diese brodelnde Energie ist es, die Manager von Canstein an der chinesischen Wirtschaft schätzt: "Unternehmergeist, eine gesunde Neugier an den Tag legen, den Markt erforschen, gucken, was möglich ist. Flexibilität, das ist etwas, was ich faszinierend finde. Flexibilität, Mobilität, Unternehmergeist, Wagemut, alle diese Dinge prägen diesen Aufbruch in der Stadt."

Die andere Seite der Medaille: Die Konkurrenz ist groß, der Markt teilweise noch staatlich reguliert, die Produktpiraterie floriert. Und was keiner so genau vorhersagen kann: Wie wird es weitergehen in einem Land, in dem die sozialen Gegensätze wachsen und sich alles wandelt, nur nicht das Einparteien-Regime? Werbefachmann Udo Hoffmann kennt die Probleme und will trotzdem in China bleiben - alles andere wäre ihm zu langweilig: "In China geht die Post ab!"