Auf Augenhöhe mit Berggorillas
29. Juni 2012Zwei Dutzend Touristen haben sich am frühen Morgen am Rande des Bwindi Impenetrable Nationalparks im Südwesten Ugandas versammelt. Sie werden heute die seltenen Berggorillas in ihrem Wald besuchen. Auch Kathrin Paul und ihre Tochter Teresa gehören dazu. "Ich bin Tierarzthelferin und habe einfach einen Hang zu Tieren", erzählt Teresa strahlend. "Wenn Mutti schon mal hierhin fährt, dann muss ich natürlich mit!" Mutter und Tochter warten gespannt darauf, die imposanten Tiere einmal "live" zu sehen.
Nur in Uganda, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo gibt es Berggorillas - insgesamt sind es nur noch etwa 800. Die Art gilt daher als vom Aussterben bedroht. Knapp die Hälfte des gesamten Bestands lebt hier, in Bwindi. In jahrelanger Arbeit hat man einige der Gorillagruppen an Menschen gewöhnt. Wer umgerechnet 400 Euro auf den Tisch legt, darf die Menschenaffen besuchen.
Sehr viel anstrengender als ein Zoobesuch
Gaad ist der Fremdenführer vor Ort. Er versammelt alle Touristen um sich. "Denkt daran: Ihr geht zu den Berggorillas", ruft er. "Ihr müsst also die Berge hochklettern. Wer dafür nicht fit genug ist, soll zu Hause erst mal joggen gehen und dann wiederkommen." Die Touristen lachen. Dann wird Gaad ernst und erklärt die Regeln: "Wir wollen nicht, dass ihr in direkten Kontakt mit den Gorillas kommt. Sie können sich sonst Krankheiten von euch einfangen. Mindestabstand sind daher sieben Meter." Außerdem seien in Gorillanähe Essen und Trinken verboten, führt er weiter aus. "Und wenn ihr Fotos macht, dann nur ohne Blitzlicht!"
Jede Gorillagruppe darf pro Tag nur einmal für eine Stunde Besuch bekommen, von maximal acht Touristen. Gaad teilt die Wartenden daher in Achtergruppen ein. Jede Gruppe besucht eine andere Gorillafamilie. Er selbst wird Kathrins und Teresas Gruppe führen. "Ich weiß, ihr seid aufgeregt und wollt alle die Gorillas sehen", ruft Gaad. "Also dann mal los!" Er marschiert voraus, Teresa, Kathrin und sechs andere Touristen folgen, außerdem sechs Einheimische, die sich als Träger ihren Unterhalt verdienen. Aus Sicherheitsgründen laufen auch zwei bewaffnete Soldaten mit.
Auf einem schmalen Pfad, der sich am Berg hochschlängelt, muss die Gruppe zunächst etwa vierhundert Höhenmeter überwinden. Die sogenannten Tracker sind schon vor einer Stunde losgelaufen. Sie lokalisieren die Gorillas und weisen Gaad den Weg. Über Walkie-Talkie ist dieser ständig mit ihnen in Kontakt.
Gorillakot bringt Licht ins Dunkel
Die 400 Euro Trackinggebühr gehen zu einem Teil in die Erhaltung und Pflege des Nationalparks, dem Lebensraum der Berggorillas. Um zu beurteilen, ob die Artenschutzbemühungen erfolgreich sind, führt Martha Robbins, Biologin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, alle fünf Jahre eine Gorilla-Volkszählung in Bwindi durch.
"Klar, bei den Gorillas, die jeden Tag Besuch bekommen, kann man leicht beurteilen, ob ihr Bestand sinkt oder wächst", sagt sie. "Aber die Hälfte der Tiere sind nicht an Menschen gewöhnt. Sie leben in der Mitte des Parks, wir sehen sie nicht und wir haben keine Ahnung, was da vor sich geht." Nur eine Zählung bringe Licht ins Dunkle.
Vergangenes Jahr haben Robbins und ihr Team den 330 Quadratkilometer großen Nationalpark erneut durchkämmt. Sie halten dabei vor allem nach Schlafnestern Ausschau. Gorillas schlafen am Boden und bauen sich dafür jeden Abend ein neues Nest. Die Forscher haben Gorillakot aus den Schlafnestern gesammelt und im Labor das Erbgut isoliert. Die genetischen Analysen laufen noch. Endgültige Ergebnisse erwartet Robbins Ende dieses Jahres. Aufgrund der für jedes Individuum einzigartige Sequenz an DNA kann sie dann ganz genau sagen, wie viele Individuen im Wald leben. Und ob der Bestand sinkt oder steigt.
Belohnung nach hartem Kampf
Nach anderthalb Stunden ist Gaad mit seinen Touristen oben, auf über 1800 Meter angekommen. Vorher ein fest angelegter Wanderpfad, wird der Weg nun ungemütlich. Kathrin und Teresa kämpfen sich mit den anderen Touristen durch übermannshohes Dickicht, klettern über umgefallene Bäume, die den Weg versperren und werden regelmäßig von knapp ein Zentimeter großen Ameisen attackiert.
"So, diese drei Jungs hier sind die Tracker", stellt Gaad schließlich drei weitere Führer vor, die bei einer Pause zur Gruppe stoßen. "Sie haben die Gorillas gefunden und führen uns jetzt dorthin." Alle beginnen aufgeregt, ihre Kameras startklar zu machen, als ein großes Raunen durch die Gruppe geht: Der erste Gorilla hat sich bereits unbemerkt der Gruppe genähert und legt sich jetzt ganz gelassen etwa fünfzehn Meter entfernt ins Gras. Teresa drückt begeistert auf den Auslöser.
Nach und nach führt Gaad seine Gruppe zu den insgesamt fünf Gorillas. Alle kauern sich leise hin und fotografieren eifrig. Damit sie freie Sicht haben, schlägt Gaad mit der Machete jeweils einiges vom dichten Gestrüpp weg. Zwar sieht es nicht so aus, als ließen sich die Gorillas dadurch stören - aber trotzdem: Stresst das tägliche Touristenspektakel die Gorillas nicht? Zwar tendierten die Tiere dazu, etwas weniger zu fressen, wenn die Touristen da seien, aber ansonsten habe sich ihr Verhalten nicht verändert, so Martha Robbins. "Wir sehen auch keine Anzeichen dafür, dass beispielsweise die Geburtenrate niedriger wäre.
Wenn überhaupt, machen sich die an Menschen gewöhnten Gruppen sogar besser als einige der anderen, eben weil sie jeden Tag besucht und intensiv beobachtet werden." Allerdings sei es wichtig, dass der Besuch wie bisher auf acht Touristen und eine Stunde pro Tag beschränkt bleibe, betont die Affenforscherin.
Die Mühen haben sich gelohnt
Nach genau einer Stunde drängt Gaad zum Aufbruch. Noch ein letztes Foto - dann geht es durchs dichte Gestrüpp zurück. "Es war sehr beeindruckend", schwärmt Teresa. "Ich kann jetzt verstehen, warum Dian Fossey Tag und Nacht mit den Tieren verbracht hat." Die US-amerikanische Verhaltensforscherin Dian Fossey hat bis zu ihrer Ermordung im Jahr 1985 für den Schutz der Berggorillas gekämpft.
Seit den 80er Jahren ist der Berggorilla-Bestand tatsächlich langsam wieder gestiegen. Aber Martha Robbins mahnt: "Auch wenn ihr Bestand wächst, dürfen wir nicht selbstgefällig sein und glauben, dass wir uns keine Sorgen mehr um sie machen müssen", sagt sie. "Ihr Lebensraum ist sehr klein und es gibt so wenige von ihnen, dass wir noch immer extrem wachsam sein müssen. Wir müssen uns weiterhin viel Mühe geben, sie zu schützen."