Japans Regierungslager steht vor Wahlsieg
10. Juli 2022Trotz der Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Shinzo Abebei einer Wahlkampf-Veranstaltung ist in Japan nur zwei Tage später ein neues Oberhaus gewählt worden. Die Wahllokale schlossen um 20.00 Uhr (Ortszeit, 13.00 Uhr MESZ). Laut ersten Umfragen auf Basis von Wählerbefragungen zeichnet sich ein Sieg des Regierungslagers von Ministerpräsident Fumio Kishida ab. Dessen Liberaldemokratische Partei LDP und ihr Juniorpartner Komeito dürften erwartungsgemäß ihre bisherige Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer sichern. Die größte Oppositionspartei, die Konstitutionelle Demokratische Partei, muss bei der Wahl Verluste befürchten.
Laut dem Sender NHK errangen die beiden Regierungsparteien zusammen voraussichtlich 69 bis 83 der zur Wahl stehenden 125 Mandate. Die LDP allein baute ihren Anteil demnach von bisher 55 auf künftig 59 bis 69 der zur Wahl stehenden Sitze aus. Zudem haben die Koalitionspartner im Oberhaus bereits 70 derjenigen Mandate, die diesmal nicht zur Wahl standen. Alle drei Jahre wird die Hälfte der Mandate neu vergeben. Das offizielle Wahlergebnis wird am Montag erwartet.
Wieder Diskussion um pazifistische Nachkriegsverfassung?
Die LDP regiert in Japan mit zwei kurzen Unterbrechungen seit der Parteigründung 1955. Viele Bürger sehen im zersplitterten Oppositionslager keine echte Alternative. Kritiker beklagen politische Apathie. Der erwartete Wahlsieg dürfte die Machtposition Kishidas, der erst seit neun Monaten amtiert, in einer Zeit stärken, in der Japans wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise bedroht ist. Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine und des Machtstrebens Chinas will seine LDP zudem eine starke Erhöhung der Militärausgaben.
Nach der Wahl könnte nun auch die Debatte um die von der LDP seit Langem angestrebte Änderung der pazifistischen Nachkriegsverfassung wieder an Fahrt gewinnen. Es zeichnete sich ab, dass das Lager der Befürworter einer Verfassungsänderung auch nach der Oberhauswahl auf die hierfür in beiden Kammern nötige Zweidrittel-Mehrheit kommt. Neben den Koalitionsparteien befürworten auch die oppositionelle Democratic Party for the People und die konservative Nippon Ishin eine Änderung.
Attentat löst Entsetzen aus
Die Wahl stand unter dem Eindruck des tödlichen Attentats auf den früheren Ministerpräsidenten Abe. Der langjährige Regierungschef und einflussreiche Politiker gehörte wie sein Zögling Kishida der LDP an. Die Polizei hatte unmittelbar nach den Schüssen auf Abe bei einer Wahlkampfveranstaltung am Freitag den mutmaßlichen Täter festgenommen. Am Montagabend wird laut japanischen Medien eine Totenwache für den früheren Ministerpräsidenten abgehalten. Sein Begräbnis soll demnach am Dienstag im engsten Kreis stattfinden.
Die Gewalttat, die von einem 41-jährigen Ex-Marinesoldaten begangen wurde, sorgte im In- und Ausland für Entsetzen. Regierungschef Kishida hielt trotz des Attentats am Termin für die Wahl zum Oberhaus fest. "Wir dürfen auf keinen Fall dulden, dass während einer Wahl Gewalt eingesetzt wird, um die Meinungsäußerung zu unterdrücken", erklärte Kishida. Er habe "eine Verantwortung, diese Oberhauswahlen auf freie, gerechte und sichere Weise abzuschließen".
Die letzten Wahlkampfauftritte waren begleitet von starken Sicherheitsvorkehrungen. Es ist in Japan üblich, dass Politiker dabei kaum Abstand zu Bürgern halten. Als Kishida jedoch in den Präfekturen Yamanashi und Niigata seine letzten Auftritte absolvierte, waren viele Sicherheitskräfte im Einsatz, Bürger wurden mit Metalldetektoren überprüft. "Wir werden niemals Gewalt nachgeben. Lasst uns die Demokratie beschützen", rief Kishida den Menschen zu.
Diskussion um Sicherheitsvorkehrungen
Unterdessen räumte Japans Polizei Mängel beim Schutz von Abe ein. In einem Schild eines Wahlkampfautos des örtlichen Kandidaten, für den Abe die Rede hielt, seien mehrere Einschusslöcher entdeckt worden, hieß es am Samstag ohne nähere Angaben. "Es ist unbestreitbar, dass es Probleme mit der Sicherheit gab", sagte der Chef der Präfekturpolizei von Nara, Tomoaki Onizuka.
Der noch am Tatort festgenommene Attentäter Abes sagte laut Medien aus, er habe aus Hass auf eine religiöse Gruppierung gehandelt, die Abe unterstützt habe. Seine Mutter habe dieser "bestimmten Organisation" hohe Summen gespendet, was sie ruiniert habe. Den Namen wollen weder Polizei noch Japans staatstragende Medien bisher nennen.
Das Online-Magazin "Gendai Business" will jedoch nun aus Ermittlerkreisen erfahren haben, dass es sich um die umstrittene Vereinigungskirche des verstorbenen koreanischen Sektengründers San Myung Mun handele. Die auch als Mun-Sekte bekannte Vereinigungskirche hat Mitglieder in vielen Ländern, darunter auch in Japan, und unterstützt konservative politische Anliegen. Politiker wie der frühere US-Präsident Donald Trump und Abe gelten als ihr freundlich gegenüber eingestellt. Mun, der stark anti-kommunistisch gesinnt war, gründete sie 1954. Dank einer ergebenen Gefolgschaft baute er ein Firmenimperium auf, das ihn zum Milliardär machte.
cwo/qu/haz/kle (afp, rtr, dpa)