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Politik

Atomwaffenverbot in Kraft - ohne Deutschland

Nina Werkhäuser
22. Januar 2021

An diesem 22. Januar tritt der neue Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft. Er verbietet und ächtet den Besitz von Kernwaffen. 51 Länder haben ihn bereits ratifiziert. Deutschland ist nicht dabei.

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USA Demo zur Unterstützung des Atomwaffenverbotsvertrags in New York
USA Demo zur Unterstützung des Atomwaffenverbotsvertrags in New YorkBild: Clare Conboy/ICAN

Für die Gegner von Atomwaffen ist der 22. Januar ein historischer Tag: Der Atomwaffenverbotsvertrag, der 2017 unter dem Dach der Vereinten Nationen ausgehandelt wurde, tritt in Kraft. Er verbietet den Vertragsstaaten, Atomwaffen zu produzieren, zu lagern, zu verkaufen oder zu nutzen.

"Ein Meilenstein", jubelt ICAN, die Internationale Kampagne für die Abschaffung der Atomwaffen. Mit einem Countdown auf ihrer Website fieberten die Atomwaffen-Gegner dem Tag des Inkrafttretens entgegen. Nun werde "viel mehr Druck ausgeübt auf die Atomwaffenstaaten, dass sie ihre alten Versprechungen von der nuklearen Abrüstung endlich auch umsetzen", sagte Leo Hoffmann-Axthelm, Repräsentant von ICAN in Brüssel, der Deutschen Welle. Für ihren Einsatz gegen Atomwaffen bekam die Kampagne 2017 den Friedensnobelpreis.

Stillstand bei der nuklearen Abrüstung

In den letzten Jahren stagnierte die Abrüstung von Atomwaffen, von denen es weltweit schätzungsweise 13.400 gibt. Gut 90 Prozent davon sind im Besitz der USA und Russlands. Außerdem verfügen China, Frankreich, Großbritannien, Pakistan, Indien, Nordkorea und Israel über Atomwaffen. Derzeit investieren die Nuklearmächte viel Geld, um ihre Atomwaffen zu modernisieren und damit schlagkräftiger zu machen.

Modernisierung statt Abrüstung - viele Nicht-Atomwaffenstaaten wollten diesen Zustand nicht länger hinnehmen. Bei den Vereinten Nationen führten sie Verhandlungen über einen Vertrag, der Atomwaffen ächtet und ihren Besitz verbietet. Im Juli 2017 nahmen 122 Staaten den Vertrag in New York an. Nachdem er inzwischen von 51 Staaten ratifiziert worden ist, kann er nun in Kraft treten.

UN der Atomwaffenverbotsvertrag wird angenommen, New York
Mit großem Beifall wurde der Atomwaffenverbotsvertrag (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons) am 7. Juli 2017 bei den Vereinten Nationen angenommenBild: Clare Conboy/ICAN

Ablehnung der Nuklearmächte

Beigetreten sind dem Vertrag bisher vor allem Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens. Die Resonanz aus Europa blieb hingegen mau: Aus der Europäischen Union sind nur Österreich, die Republik Irland und Malta mit von der Partie. Die größte Lücke besteht aber seitens der Nuklearmächte: Sie lehnen den Vertrag rundweg ab.

Gleiches gilt für die 30 Mitgliedsstaaten der NATO. Das verwundert nicht: Atomwaffen sind für die Verteidigungsstrategie des transatlantischen Bündnisses essenziell. "Solange Nuklearwaffen existieren, wird die NATO ein nukleares Bündnis bleiben", erklärte die NATO am 15. Dezember 2020. Da das Atomwaffenverbot nur die Vertragsstaaten rechtlich bindet, sieht sich das Bündnis dadurch zu nichts verpflichtet. 

Deutschland hält sich fern

Diese Haltung teilt die Bundesregierung, die zur Abschreckung US-Atomwaffen auf deutschem Staatsgebiet vorhält. "Nukleare Teilhabe" nennt sich dieses Konzept der NATO. Schätzungsweise 20 US-Atombomben lagern auf dem Luftwaffen-Stützpunkt Büchel in Rheinland-Pfalz im Südwesten Deutschlands. Im Ernstfall müssten Piloten der deutschen Luftwaffe die Bomben zum Ziel fliegen und abwerfen. In der Übung "Steadfast Noon" probt die Bundeswehr dieses Szenario regelmäßig zusammen mit europäischen Verbündeten.

Ein Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag kommt für die Bundesregierung daher nicht infrage. Einige Staaten betrachteten Atomwaffen nach wie vor als ein Mittel der militärischen Auseinandersetzung, begründete Regierungssprecher Steffen Seibert die Haltung Deutschlands im Oktober 2020. "Solange das so ist und Deutschland und Europa davon auch bedroht sind, besteht aus unserer Sicht die Notwendigkeit zum Erhalt einer nuklearen Abschreckung."

Fliegerhorst Büchel
​​Die Bundesregierung hält an der Stationierung von US-Atombomben auf dem Fliegerhorst Büchel festBild: picture alliance / dpa

Eine eigene Kategorie von Waffen

Was aber kann ein Verbotsvertrag bewirken, den die Besitzer von Atomwaffen und ihre Verbündeten ablehnen? Nicht viel, mutmaßt Jonas Schneider, Atomwaffen-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Zwar sei der Vertrag mit großen Vorschusslorbeeren bedacht worden, doch er werde nicht zu einem Paradigmenwechsel bei der nuklearen Abrüstung führen. "Die Staaten, die Kernwaffen besitzen, profitieren davon ganz immens, verteidigungspolitisch und in ihren Beziehungen zu anderen Staaten", gibt Schneider zu bedenken. "Sie sind zum Beispiel sehr wertvolle Kooperationspartner für andere."

Hinzu komme, dass Atomwaffen durch konventionelle Waffen, auch in größerer Zahl, schlichtweg nicht ersetzt werden könnten. "Ihre Abschreckungswirkung ist im Grunde singulär." Die Abrüstung von Atomwaffen könne nur schrittweise und in Zusammenarbeit mit den Nuklearmächten erarbeitet werden, argumentiert der Atomwaffen-Experte. Im "luftleeren Raum" funktioniere sie nicht. 

"Alle müssen mit am Tisch sitzen"

Diese Sicht der Dinge teilen die Unterstützer des Verbotsvertrags nicht. Von Atomwaffen gehe eine so große Gefahr für die Menschheit aus, dass die Nuklearmächte diese Frage nicht unter sich alleine ausmachen könnten. "Es braucht diesen Vertrag, um deutlich zu machen, dass Atomwaffen alle etwas angehen, dass alle mit am Tisch sitzen müssen", betont Leo Hoffmann-Axthelm von ICAN.  

Der Atomwaffen-Gegner setzt darauf, dass der Vertrag den Diskurs über Atomwaffen nachhaltig verändern wird. "In zehn Jahren werden Politiker, Journalisten, Akademiker und die Bevölkerung im Hinterkopf haben, dass Atomwaffen völkerrechtlich geächtet sind. Deswegen werden sie nicht mehr ein solches Statussymbol sein, sondern eher etwas, wofür man sich schämen muss."

Japan 75 Jahre nach Hiroshima
Im August 1945 wurde die japanische Stadt Hiroshima durch eine US-Atombombe zerstört Bild: picture-alliance/dpa/Peace Memorial Museum

Beitritt in fünf bis zehn Jahren?

Nach Ansicht von Hoffmann-Axthelm ist es "nur eine Frage der Zeit", bis Deutschland dem Vertrag beitreten wird. Er rechnet damit in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Möglich wäre das: Auch ein Land, das Atomwaffen auf seinem Staatsgebiet lagert, könnte den Vertrag ratifizieren. Es müsste sich dann aber zum Abzug der Atomwaffen innerhalb einer bestimmten Frist verpflichten.

Atomwaffen-Experte Schneider von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik ist da deutlich skeptischer: Falls sich Deutschland oder ein anderer NATO-Staat dem Vertrag anschließen sollte, wäre er "innerhalb des Bündnisses isoliert und politisch stigmatisiert", prognostiziert er. "Dieser Staat würde keinesfalls zu einem neuen Vorreiter für nukleare Abrüstung innerhalb der NATO avancieren."

Mehrheit gegen Atomwaffen

Während die Bundesregierung den Vertrag ablehnt, ist die Unterstützung in der Bevölkerung beachtlich: In Umfragen befürworten mehr als zwei Drittel der Bundesbürger einen Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag. Knapp 170 Bundestagsabgeordnete, mehr als 100 deutsche Städte und vier Bundesländer haben die Bundesregierung zu diesem Schritt aufgefordert. So auch Rheinland-Pfalz, wo die US-Atomwaffen stationiert sind.

Protest gegen Nuklearwaffen und die Spannungen zwischen USA und Nordkorea in Berlin
In Berlin demonstrieren Atomwaffen-Gegner für Deutschlands Beitritt zum VerbotsvertragBild: Emmanuele Contini/NurPhoto/picture alliance/dpa

Die Bundesregierung hält dagegen, dass sie grundsätzlich auch für eine Welt ohne Atomwaffen sei - nur sei der Verbotsvertrag nicht der richtige Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Ein Vertrag zur Abrüstung von Atomwaffen, an dem die Nuklearmächte nicht beteiligt sind, nütze nichts, ist Bundesaußenminister Heiko Maas überzeugt.

Maas hält den Atomwaffensperrvertrag von 1970 für den geeigneteren Rahmen, um Nuklearwaffen abzurüsten. Ihm haben sich 191 Staaten angeschlossen, darunter fünf Länder, die Atomwaffen besitzen. Deutschland ist ebenfalls Mitglied.

Allerdings sind unter dem Dach des Atomwaffensperrvertrags (Englisch: Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, kurz NPT) zuletzt keine Fortschritte in der nuklearen Abrüstung erzielt worden.

Bahnbrechend oder wirkungslos?

So ist der neue Atomwaffenverbotsvertrag schon am Tag seines Inkrafttretens hoch umstritten: Die Skeptiker sind überzeugt, dass er weitgehend wirkungslos vor sich hindümpeln wird: Keine einzige Atomwaffe werde dadurch von der Erde verschwinden. Die 89-jährige Setsuko Thurlow, die 1945 den Atombomben-Angriff auf Hiroshima überlebte, ist da anderer Meinung: Sie sieht den Anfang vom Ende der Atomwaffen gekommen. 

Nina Werkhäuser Reporterin