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Astypalea - Zukunftslabor für Nachhaltigkeit

5. November 2021

Die Ägäis-Insel Astypalea soll in fünf Jahren komplett 'grün' werden. Ein Pilotprojekt der griechischen Regierung mit VW, das zeigen will: Nachhaltige Energie ist schneller möglich, als alle denken.

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Griechenland - Astypalea | Kyriakos Mitsotakis, VW-Chef Herbert Diess bei der Anlieferung von Elektroautos
Ein VW ID.4 auf der Insel AstypaleaBild: Alexandros Vlachos/REUTERS

E-Mobilität - VW macht griechische Insel zum Modellprojekt

Die gerade mal 96 Quadratkilometer große griechische Insel Astypalea in der südlichen Ägäis gilt als Geheimtipp. 1300 Einwohner leben auf Astypalea, es gibt einige Strände und ein paar archäologische Stätten, eine venezianische Festung und eine pittoreske Hauptstadt. Dieses idyllische Eiland soll, geht es nach dem Autobauer Volkswagen, zum "ambitioniertesten CO2-neutralen Klimaprojekt weltweit" werden. Für VW-Chef Herbert Diess ist die Insel ein "Zukunftslabor für die Dekarbonisierung Europas".

In einem Pilotprojekt in Form einer öffentlich-privaten Zusammenarbeit (Public Privat Partnership) wollen der VW-Konzern und die griechische Regierung Astypalea in fünf Jahren zu einer nachhaltigen Insel umbauen. Sämtliche schmutzigen Verbrenner-Autos, 500 an der Zahl und an die tausend Scooter sollen zukünftig elektrisch fahren. Zusätzlich sind Car-Sharing und ein On-Demand-Shuttle-Service für den öffentlichen Nahverkehr geplant. Alles gespeist von Solar -und Windenergie.

"Wir erforschen hier in Echtzeit, was die Menschen zum Umstieg auf die E-Mobilität bewegt und welche Anreize es für den Übergang zu einem nachhaltigen Lebensstil braucht", hatte Diess beim Treffen mit Regierungschef Kiriakos Mitsotakis im Juni auf Astypalea gesagt. Die Insel sei ideal, weil sie von der Einwohnerzahl und den vorhandenen 1500 Fahrzeugen her überschaubar sei und man gut beobachten könne, wie die Umstellung der Mobilitätsangebote und der Energie die Gemeinschaft verändere.

Griechenland E-Autos für griechische Insel Astypalea |
VW-Chef Herbert Diess (Mitte) bei der Schlüsselübergabe an den Bürgermeister von Astypalea, Nikolaos Komineas im JuniBild: Socrates Baltagiannis/dpa/picture alliance

Erste Testfahrten auf der Insel 

Jetzt ist es November und die ersten E-Autos fahren auf der Insel. Drei E-Autos vom Typ ID.4 hat VW für die Luftfahrtbehörde, die Hafen- und die Insel-Polizei zur Verfügung gestellt. Sechs Ladestationen für zwölf Autos wurden von VW installiert. Bei insgesamt nur 70 Straßenkilometern auf der Insel müssen die Autos mit über 400 Kilometern Batterie- Reichweite sowieso nicht allzu oft geladen werden.

Man sei zufrieden, "die fahren sich gut", so der Kommentar eines Polizeioffiziers. Aber klar, die Autos seien groß, da müsse man sich erst dran gewöhnen. Die Straßen auf der Insel sind klein und nicht überall gut ausgebaut. Wenn sich dort zwei von den SUV-großen E-Autos treffen, wird es eng.

In der Hauptstadt Chora ist es im Spätherbst ruhig, die Touristen sind mitsamt ihren Autos abgereist. Das Wetter ist schön, ein guter Zeitpunkt für die ersten Versuchsfahrten für die Bewohner. Das Interesse ist groß. Es gibt eine kurze Einweisung in die Automatik und den Touchscreen, der sämtliche Regler und Anzeigen auf der Konsole ersetzt. Dann geht es, begleitet von dem Test- Assistenten, zur Probefahrt.

Die Reaktionen sind einhellig: "Fährt sich super! Und vor allem schön ruhig", schwärmt ein Paar, das sich bereits zum Kauf entschlossen hat. Doch sie sind aus Athen und kommen damit nicht in den Genuss der für Astypalea erhöhten Subventionen. Mit bis zu 12.000 Euro und damit doppelt so viel wie üblich, bezuschusst die griechischen Regierung den Kauf der E-Autos. Zusammen mit der ebenso erhöhten Abwrackprämie und den Fahrzeugen, die quasi zum Selbstkostenpreis angeboten würden, käme man auf fast auf die Hälfte des normalen Preises, sagt Maik Stephan, der VW-Projektleiter auf Astypalea.

Noch viel Überzeugungsarbeit nötig

Klingt nach einem verlockenden Angebot. Der VW Finance Service bietet vor Ort, gemeinsam mit lokalen Bankenvertretern, eine Finanzierungsberatung an. Cafe-Besitzer Makis Printzios ist noch nicht überzeugt. "Klar, E-Mobilität ist die Zukunft, aber ich habe ein Auto, und das ist noch ganz ok." Er will erstmal abwarten, wie sich das Projekt entwickelt.

 Griechenland Polizeiauto VW ID4 und E-Scooter,  Astypalea,
E-Auto und E-Scooter für die örtliche Polizei auf AstypaleaBild: DW

Zudem gäbe es dringendere Probleme, wie Wasserknappheit, Abfall in der Landschaft, der desolate Zustand der Straßen. Die Besitzerin einer nahen Taverne sieht das ähnlich, da sei die Kläranlage, die ständig stinkt, also repariert werden müsste und es gäbe noch nicht mal einen Kinderarzt auf der Insel.

Es müsse noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, gibt Bürgermeister Nikolas Komineas zu. Die Infrastrukturprobleme hofft er im Rahmen des Gesamtprogramms Nachhaltige Insel zu lösen.

Astypalea sei ein Pionierprojekt, soll Vorbild werden für andere Inseln und könnte so auch mehr Touristen anziehen. Vor allem solche mit ökologischem Bewusstsein. Komineas setzt vor allem auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Sein Herzensprojekt sind elektrischen Shuttlebusse, die erstmal die zwei alten Verbrenner ergänzen. Sie bringen Einwohner wie Touristen in die Hauptorte und später als On-Demand-Service dann über die ganze Insel. Die Vision ist klar, langfristig soll die Anzahl der Autos reduziert werden. Auch die Touristen sollen möglichst ohne eigenes Auto auf die Insel kommen.

"Wir wünschen uns natürlich, dass die Menschen freiwillig auf ihr Auto verzichten und mit der Fähre kommen und hier den Mobilitäts-Service nutzen, aber niemand wird gezwungen", betont auch Maik Stephan von VW.

Griechenland E-Autos für griechische Insel Astypalea |
Geladen wird mit SolarstromBild: Socrates Baltagiannis/dpa/picture alliance

Veränderungen brauchen Zeit, auch auf Astypalea

Als erstes konkretes Angebot für Touristen wurden im Sommer 15 E-Autos an die lokalen Autovermieter zum Testen verteilt. Ein junges französisches Paar, das gerade seinen Verbrenner-Mietwagen tankt, ist begeistert von der Idee, leider wussten sie nichts von der Möglichkeit, ein E-Auto zu leihen. Das ganze Projekt E-Mobilität sei sehr plötzlich gekommen und die Einwohner nicht informiert, meint Tankwart Kostas Vergoulis. Die E-Mobilität würde ihn seinen Job kosten, aber das dauere noch, hofft er. Veränderungen würden hier Zeit brauchen, auch auf seiner Insel.

Corona und der Lockdown haben das ganze Projekt um Monate zurückgeworfen, erzählt der Bürgermeister. Die Gespräche zwischen VW, griechischer Regierung und ihm waren online. Umso wichtiger sei das erste öffentliche Treffen jetzt im Herbst mit den Inselbewohnern.

Die dreistündige Veranstaltung sollte die rund fünfzig Anwesenden von der Bedeutung der griechisch-deutschen Zusammenarbeit zu überzeugen. VW beschwor denn auch die "grüne" Ausrichtung des Konzerns - auch den Griechen ist Dieselgate noch im Gedächtnis - und präsentierte sich als umfassender Infrastrukturanbieter von Elektromobilität über Ladestationen bis hin zu autonomen Fahrzeugen.

Viele Fragen, nicht alle beantwortet: Informationsveranstaltung für die Bewohner
Viele Fragen, nicht alle beantwortet: Informationsveranstaltung für die BewohnerBild: DW

Modellprojekt für Energieunabhängigkeit

Griechenland will zum Motor regenerativer  Energie in Europa werden. Premier Mitsotakis hat vor kurzem vorgezogenen Kohleausstieg von 2028 auf 2025 verkündet. In Astypalea will man zeigen, wie die Energieumstellung gehen kann. Das alte Dieselkraftwerk, eine besondere Dreckschleuder, soll möglichst bis 2026 abgeschaltet werden. In einem ersten Schritt, so erläuterte die Staatssekretärin für Energie, Alexandra Sdoukou, wird ein Solarpark mit Speicher entstehen, der den Ladestrom für die E-Autos erzeugt und für einen Teil des Inselstroms sorgt. Maximal zwei Windturbinen sollen den restlichen Energiebedarf befriedigen. Astypalea sei dabei Vorbild auch für andere kleine Inseln, die ihre Energie nicht per Unterwasserkabel vom Festland beziehen.

Griechenland Altes Dieselkraftwerk, Astypalea
Das alte Dieselkraftwerk auf AstypaleaBild: DW

Mit E-Scooter in die Zukunft?

Eine Aussage, die auch die Kritiker beruhigen soll. Denn die Bedenken sind groß, dass auf der Insel, wie schon auf anderen, ein industrieller Windpark errichtet werden könnte. Das würde den Charakter der Insel komplett zerstören, sagt einer der jüngeren Teilnehmer am Rande des Meetings. Bei dem abendlichen Treffen blieben viele Fragen unbeantwortet, zum Beispiel, ob die Elektro- Autos die Insel verlassen können, und wenn ja, wie lange?

Für die Geschäftsfrau Zoi Nikopolou eine entscheidende Frage, denn wie sie verbringen auch andere Geschäftsleute, die hauptsächlich vom Tourismus leben, mehrere Wochen im Winter in Athen. Dann bräuchte sie ja zwei Autos, eines für Astypalea und eines für Athen. Überhaupt sieht sie eher einen Bedarf an öffentlichem Nahverkehr und E-Scootern. "Die Autos stehen die meiste Zeit rum, und für die kurzen Distanzen hier wäre ein Scooter wesentlich praktischer", davon ist sie überzeugt.

Die meist alten, knatternden und stinkenden Mopeds gehen den meisten Insulanern schon lange auf die Nerven. Kein Wunder, dass die E-Scooter von VW auf besonderes Interesse stoßen. Mit 3000 Euro inklusive Subvention sind die Zweiräder für fast alle erschwinglich. Sie würden hörbar mehr Ruhe in die Orte bringen. Ein Anfang für die Umstellung auf Elektromobilität? Der Bürgermeister fährt jedenfalls auf seinem E-Scooter schon mal voran in die Zukunft.