Europa trifft Asien in Mailand
16. Oktober 2014"Mailand wird eine Brücke zwischen Europa und Asien sein", schreibt die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" vor dem größten Gipfeltreffen, das die oberitalienische Industriemetropole je gesehen hat. Die Zahlen sind beeindruckend: rund 50 Regierungschefs aus Asien und Europa sind eingeladen, dazu die Chefs der Staatenbündnisse EU und ASEAN. Sie bringen rund 2000 Delegierte in die Stadt mit. Dazu kommen Tausende Polizisten und Journalisten. Zusammengenommen machen die ASEM-Mitglieder, die in einem Bogen von Westeuropa über Russland und Asien bis nach Australien reichen, 60 Prozent der Weltbevölkerung aus. Die Hälfte der Wirtschaftsleistung der Welt wird in Europa und Asien erbracht. "Zwei Tage lang wird die Welt auf uns schauen", meint der Reporter des "Corriere della Sierra" etwas pathetisch.
In der Tat ist das Interesse der Medien an diesem 10. ASEM-Gipfel seit der Gründung 1996 größer als sonst, so die italienischen Organisatoren. Das liegt wohl vor allem daran, dass sich in Mailand am Donnerstag der russische Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko treffen sollen. Nicht auf dem eigentlichen Gipfel, sondern in einem Fünf-Sterne-Luxushotel, in dem Putin übernachtet, werden sich die beiden Präsidenten vermutlich sehen, um über einen dauerhaften Waffenstillstand in der Ost-Ukraine, den Abzug der russischen Truppen von der Grenze zur Ukraine und die Gasversorgung zu sprechen. Die Ukraine ist nicht Mitglied von ASEM. Poroschenko reist also extra für das Treffen mit Putin an.
Nur ein Debattierklub?
Das asiatisch-europäische Treffen selbst, bei dem es um eine verantwortliche Partnerschaft für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Entwicklung gehen soll, macht selten Schlagzeilen mit den Inhalten. Auch der Vorsitzende des Gipfels, der EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, räumt ein, dass ASEM oft nur als Debattierklub wahrgenommen wird. "Kann man einen Dialog-Prozess dafür kritisieren, dass geredet und diskutiert wird?", fragte Van Rompuy in einer Rede im September. "Es ist ja kein Geheimnis, dass die zahlreichen bilateralen Treffen am Rande des eigentlichen Gipfels überaus wichtig sind." Die ASEM-Gipfel sind nur informelle Zusammenkünfte, Beschlüsse werden nicht gefasst. Van Rompuy findet sogar, dass die Supergipfel mit 50 Teilnehmern ein Beitrag zum Klimaschutz sind: "Tausende von zusätzlichen Flugmeilen würden nötig, wenn man die vielen bilateralen Treffen in Mailand alle einzeln nacheinander abwickeln wollte."
Der ASEM-Experte David Fouquet vom "Europäischen Institut für Asien-Studien" sieht die Einstellung der Europäer zu den Treffen eher skeptisch. "Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Asiaten eher konkrete Fortschritte bei wirtschaftlichen und sozialen Fragen und bei der Zusammenarbeit machen wollen. Die Europäer hingegen ziehen es vor, ASEM weiter als bloße Quasselbude zu behandeln", schreibt Fouquet in einer Analyse zu den vorbereitenden Konferenzen vor dem eigentlichen Gipfel. Viele große Mitgliedsstaaten könnten ASEM eher als Vehikel sehen, um eigene Interessen in bilateralen Gesprächen durchzusetzen.
China zum Beispiel ist auf eine Vertiefung der bilateralen Beziehungen mit der EU erpicht, erklärte die chinesische Botschafterin bei der EU in Brüssel, Yang Yangi. China wünscht sich wohl vor allem einen starken Ansprechpartner in Brüssel, der für die ganze EU verhandeln kann. Der chinesische Premier Li Keqiang setzt, so eine Analyse des "Europäischen Instituts für Asien-Studien", auf den neuen Mann an der Spitze der EU-Kommission. Jean-Claude Juncker, der schon 1996 als Luxemburgs Regierungschef am ersten ASEM-Treffen teilnahm, wird in Peking offenbar als China zugetan wahrgenommen.
Wirtschaftliche Fragen und zwanglose Gespräche
Der Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Asien spielt in Mailand eine große Rolle. Auch die Annäherung Russlands und Chinas vor dem Hintergrund der EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland wurde auf einem Treffen der Wirtschaftsführer aus beiden Kontinenten diskutiert. Rund 300 führende Manager aus beiden Kontinenten trafen sich schon vor dem eigentlichen Gipfel. Bei den Gesprächen ging es auch um bessere Verkehrsanbindungen, Internet- und Datenverkehr zwischen Europa und Asien.
Das politische Führungspersonal soll sich am Freitag in einer "Erholungsrunde" genannten Gesprächsformation ganz zwanglos über sicherheitspolitische Bedrohungen durch islamistischen Terror und über Territorialkonflikte im südchinesischen Meer oder der Ukraine unterhalten. Erholsam soll die Runde vor allem werden, weil die Regierungschefs frei reden können. Die Gipfelregie sieht vor, dass es keine Aufzeichnungen und keine Pressestatements bei diesen Gesprächen gibt. Die Menschenrechte werden, so EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, regelmäßig angesprochen. Konkrete Probleme werden dann in spezielle Seminare zu Menschenrechten abgeschoben. Ob die andauernden Proteste der Studenten für mehr Demokratie in dem zu China gehörenden Hongkong zur Sprache kommen, ist fraglich. Kritik schlägt dem thailändischen Militärmachthaber entgegen. Italienische Menschenrechtsgruppen und thailändische Oppositionelle wollen am Donnerstag in der Mailänder Innenstadt gegen General Prayuth Chan-ocha demonstrieren, der im Sommer durch einen Putsch an die Macht kam.
"Verschlanken und fokussieren"
Etwas Konkretes erhofft sich EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy in Mailand beim Klimaschutz: "Wir werden uns bemühen, einen internationalen Konsens zu formen, der dann zu einem ehrgeizigen Plan zur Reduzierung der Treibhausgase weltweit führt." Bislang haben die großen Schwellenländer, darunter China, ambitionierte Klimaschutz-Ziele verhindert. In einem Jahr soll darüber bei einer Mammutkonferenz der Vereinten Nationen in Paris entschieden werden.
In Mailand werden mit Kroatien und Kasachstan Mitglied Nummer 52 und 53 in den euro-asiatischen Klub aufgenommen. Vor 18 Jahren war das informelle Treffen mit gerade einmal der Hälfte an Staaten gestartet. "Wenn Größe ein Gradmesser für Erfolg ist, dann sind wir erfolgreich", sinnierte Van Rompuy vor dem ASEM-Gipfel. "Nicht alle Teilnehmer sind aber an allen Themen interessiert. Das führt dazu, dass die Liste der behandelten Themen immer länger wird. Verschlankung und eine höhere Fokussierung bei den Treffen sind die notwendigen Lösungen für das Problem, " gab Van Rompuy seinem Nachfolger als EU-Ratspräsident und damit als ASEM-Präsident mit auf dem Weg. Vom 1. Dezember an übernimmt der ehemalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk das Amt.